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Kultur: Beton, Steine, Scherben

Maler der Trümmer-Stadt: Werner Heldt in der Berlinischen Galerie

Als Billy Wilder im Herbst 1945 – zwölf Jahre, nachdem er Deutschland hatte verlassen müssen – nach Berlin zurückkehrte, war er tief erschüttert: „Wir flogen über Berlin, und ich sah die Trümmerwüste. Es sah aus wie das Weltende. Trümmer, Trümmer, Trümmer, Berlin lag in Asche.“ Die Reichshauptstadt war eine Hauptstadt der Ruinen, untergegangen im Bombenkrieg der Westalliierten und im Sturmangriff der Roten Armee. Auf jeden Bewohner, errechneten später Statistiker, entfielen im Schnitt dreißig Kubikmeter Trümmermasse.

Sechzig Jahre später fällt es schwer, sich das Ausmaß der Zerstörung vorzustellen. Die Trümmergrundstücke sind längst wieder bebaut, die letzten Einschusslöcher an den Hausfassaden wurden nach der Wende wegsaniert. Was bleibt vom Berlin der ersten Nachkriegsjahre, sind Fotos und Erinnerungen. Und die Bilder von Werner Heldt. Sie heißen „Haus am Abgrund“, „Totes Mädchen“ oder – so der Titel einer berühmten, 1949 entstandenen Lithographie-Mappe – „Berlin am Meer“. Zu sehen sind menschenleere Stadtlandschaften, Häuser, die mit ihren tiefschwarz verschatteten Fensterhöhlen wie Totenköpfe wirken, dazwischen Geröllgebirge.

Werner Heldt war kein Realist, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit waren bei ihm immer fließend. Er selber attestierte sich einen „halluzinanten Blick“. Seine kargen, eine eigenartige Schönheit ausstrahlenden Bilder bemühen sich nicht um ein topographisch korrektes Abbild der Trümmerstadt, aber sie haben die zwischen Beklemmung und Euphorie schwankende Atmosphäre des Nachkriegs präzise eingefangen. Die Berlinische Galerie würdigt den Maler der Berliner Häuser und Straßen jetzt mit einer Hommage, die rund vierzig Zeichnungen, Grafiken und Gemälde aus eigenen Beständen versammelt.

Man kann der Kabinettausstellung zweierlei vorwerfen: Sie ist zu klein und sie kommt zu spät. Im letzten Jahr wurden in Berlin gleich zwei Heldt-Jubiläen übergangen, sein hundertster Geburts- und sein fünfzigster Todestag.

Die Ausstellung setzt mit Arbeiten ein, bei denen der unweit der Parochialkirche geborene Pastorensohn noch deutlich erkennbar im Schatten seines frühen Vorbilds Heinrich Zille steht. In den „nächtlichen Straßenbildern“ bewegen sich schemenhaft verwischte Figuren durch verwinkelte Gassen, eine Gaslaternen-Romantik, die an E.T.A. Hoffmann erinnert. Anfang der Dreißigerjahre, nach einem Besuch im Pariser Atelier von Maurice Utrillo, nähert sich Werner Heldt dem Surrealismus. Die Häuser, die er nun malt, sehen in ihrer schematischen Einfachheit wie Holzspielzeuge aus, man blickt auf in ihrer Stille eingefrorenen Vorortstraßen wie auf eine leere Theaterbühne. „Die größte Wirklichkeit meines Lebens war dann“, schreibt der an Depressionen leidende Künstler, „wenn es die Intensität der Träume erreichte“.

Nach Hitlers Machtergreifung flieht Heldt für drei Jahre nach Mallorca und konvertiert zum Katholizismus. Als der spanische Bürgerkrieg ausbricht, kehrt er wieder nach Berlin zurück. Er schließt sich einer Gruppe um den Bildhauer Hermann Blumenthal und den Maler Werner Gilles an, die im Atelierhaus Klosterstraße eine halb abstrakte Formensprache weiterentwickeln. Was er vom Jubel der Volksgenossen hält, formuliert er in einer Kohlezeichnung, auf der er eine gesichtslose Menschenmenge zeigt, Titel: „Aufstand der Nullen“. Bald nach Kriegsende, das er in britischer Gefangenschaft erlebt, steigt Werner Heldt zum Star der Berliner Kunstszene auf. Eine ihm angetragene Professur lehnt er ab.

Der Bildhauer Hans Uhlmann, ein Freund, schwärmt 1947 über eines von Heldts Bilder: „Alles ist darin, in dieser Bildfläche, alle Traurigkeit und Hoffnung, Sehnsucht, Rausch und Nüchternheit der großen Städte, über die Sintflut und Krieg hinweggegangen ist.“ Erhart Kästner, der in der Adenauer-Ära als Großschriftsteller gilt, widmet Heldt ein hymnisches Gedicht: „Sie ist ihm nie zu vergessen, / die zärtliche Leere, zu welcher / es dieser Maler gebracht hat. / Leere Gassen, Hohlwege. / Alles ist voller Höhlung und Ansog, / alles ist voller Erwartung. / Alles quillt über vor Leere, / alles ist voller Bedarf.“ Die Kargheit der unmittelbaren Nachkriegszeit schien in diesem Künstler, der für seine zumeist kleinformatigen Sujets das Papier der Leinwand vorzog, ihren Meister gefunden zu haben.

Das Meer tauchte seit den Dreißigerjahren immer wieder als Metapher in Werner Heldts Bildern auf. Nun erheben sich die Trümmer zu Dünen zwischen den Ruinen der Stadt, das Leben kehrt zurück zu seinem vorzivilisatorischen Untergrund, dem Sand der Mark Brandenburg. Berlin liegt am Meer.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128 (Kreuzberg), bis 15. Mai, Mo-Sa 12-20, So 10-18 Uhr.

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