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Kultur: Bewegliches Ziel

Rückendeckung ja, Artenschutz nein: Warum die Kultur nicht im Grundgesetz verankert werden muss

„Es wird empfohlen, Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen.“ So stand es in der Vorlage der Koalitionsgruppe Kultur und Medien für die Verhandlungen zur großen Koalition. Wir bitten recht sehr: Rot-Schwarz ist dieser Bitte nicht nachgekommen und hat die Passage gestrichen. 2 von 142 Seiten der Koalitionsvereinbarung sind der Kultur gewidmet – gefolgt von einer halben Seite zum „Sportland“ Deutschland. Das Staatsziel Kultur taucht nicht mehr auf.

Muss Deutschland um seinen Status als Kulturnation fürchten? Stellt die künftige Bundesregierung Theater, Literatur, Kunst, Musik und Film wieder ganz hinten an, nachdem die Kultur mit der Installierung eines Staatsministers in sieben Jahren Rot-Grün eine handfeste öffentlichkeitswirksame Aufwertung erfuhr?

Der Verzicht auf den Staatsziel-Passus stößt jedenfalls auf harsche Kritik: Hans Joachim Otto, kulturpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, schimpft, die Kunst sei „extrem kurz gekommen“. Die designierte Bundeskanzlerin habe „offensichtlich ein bisschen vergessen, was sie noch vor der Wahl gesagt hat, nämlich dass Kultur etwas Zentrales für unsere Gesellschaft sei“. Auch der Deutsche Kulturrat befürchtet „erhebliche Verschlechterungen“. Dabei betont der Koalitionsvertrag jedoch gleichzeitig, dass Kulturförderung keine Subvention sei, sondern „Investition in die Zukunft“. Eine prima Formulierung, stellt sie doch klar, dass die Kultur kein Bittsteller ist. Subventionen droht der Abbau, Investitionen nicht.

Was ist eigentlich ein Staatsziel? Es klingt gut, nach Selbstverpflichtung und Idealen, die in der Politik so schmerzlich vermisst werden. Artikel 20 des Grundgesetzes versammelt einige davon: Demokratie, Föderalismus, Rechts- und Sozialstaatlichkeit zum Beispiel, also die basics der Republik: Dass wir nicht in einer Monarchie leben wollen und die soziale Schere nicht zu weit auseinander klaffen möge. Auch der Umweltschutz und der Tierschutz sind im Grundgesetz verankert, als der Wille zum schonenden Umgang mit den Ressourcen der Natur.

Aber die Kultur braucht kein Schonprogramm. Sie ist keine aussterbende Art. Wer den Untergang des Abendlandes befürchtet, wenn das Grundgesetz ihr keine Fürsorgepflicht garantiert, der schießt ein Eigentor. Denn er unterstellt Schwäche statt Stärke, setzt voraus, dass Kultur sich nicht von selbst versteht, dass sie gepflegt und gestreichelt werden muss, wenn sie überleben soll. Ohne Umweltschutz sterben die Bäume. Ohne Kulturschutz, sagen viele, sterben die Theater, werden Orchester wegsanktioniert. Aber der Vergleich hinkt. Denn die Bäume und die Eichhörnchen können sich nicht wehren, keine Lobby-Arbeit betreiben oder in Unterausschüssen ihr Recht einklagen. Die Kultur hingegen wird von Menschen veranstaltet, die sich mit Energie und Fantasie einmischen können, wenn ihrer Arbeit das Aus droht. Sie haben die Chance dazu – und die Pflicht. Und zu viel Staat hat der Kultur schon immer geschadet, nicht nur in Unrechtsregimen.

Kultur ist ein unscharfer Begriff. Sie ist nicht die Kunst und auch nicht der Kulturbetrieb, sondern das lebendige Amalgam der Selbstverständigung einer Gesellschaft. Sie reicht von der Meinungsfreiheit bis zur Musikschule, von der Traufhöhe zur Bio-Ethik, von der Regietheater-, der Rechtschreib- und der Sterbehilfe-Debatte bis zur Wohnlichkeit der Städte, von Simon Rattle bis Helge Schneider. Diese Kultur der Nation ändert sich täglich. Sie zum Staatsziel zu erklären, wäre Humbug. Oder wohlfeile Symbolik.

Denn nicht der Staat prägt oder verankert sie, sondern der Souverän, die Bürger. Ein gewitzter, profilierter, auch unbequemer Kulturstaatsminister kann da viel ausrichten: als einer, der Diskurse anzettelt, als eine, die falsche Selbstverständlichkeiten aufkündigt. Noch hat Angela Merkel die Chance, sich dafür eine starke Persönlichkeit ins Kanzleramt zu holen, eine, die nicht nur Parteien- und Länderproporzkriterien erfüllt. Und für die Kunst im engeren Sinn, für das Buch oder die Neue Musik, existieren längst Schutzmechanismen wie die Buchpreisbindung oder das Urheberrecht. Wobei etwa Orchestertarifverträge nicht für die Ewigkeit gelten: Sie werden wohl oder übel den neuen Finanzverhältnissen angepasst werden müssen. Deshalb ist der Verzicht auf andere empfohlene Passagen im Koalitionsvertrag auch besorgniserregender.

Gestrichen ist das Bekenntnis zur Künstlersozialversicherung, ebenso der Wille zur Beibehaltung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für den Kultur- und Medienbereich. Gleichzeitig wollen die schwarz-roten Koalitionäre das Bürgerengagement stärken (Stichwort Stiftungsrecht), bei Hartz IV die besonderen Belange freiberuflicher Künstler berücksichtigen und mehr Anreize für privates Filmkapital schaffen, wie sie in anderen EU-Ländern bereits existieren.

Das sind keine Regierungsbeschlüsse, sondern Absichtserklärungen: Rückendeckung ja, Artenschutz nein. An dieser Zusage wird schwarz-rote Kulturpolitik gemessen werden. Gut, auch der Kulturbetrieb bleibt nicht verschont, wenn der Bundeshaushalt saniert wird. Wer das nicht wahrhaben will, lebt im Wolkenkuckucksheim. Aber es wäre gelacht, wenn das friedlich über die Bühne ginge: Auf Proteste gegen existenzbedrohende Streichkonzerte kann sich die künftige Regierung gefasst machen. Hilf dir selbst, dann wird dir geholfen. Jammern gilt nicht.

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