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Beziehungsdrama "Sommer '04": Wenn Gefühle verrückt spielen

Was passiert, wenn sich eine attraktive erwachsene Frau und ein neckisches Girlie in einen 38-jährigen Sportler verlieben und um seine Gunst werben?

Berlin - Dieser heikle emotionale Konflikt steht im Mittelpunkt der lakonischen Charakterstudie "Sommer '04", den Stefan Krohmer mit einem exzellenten Ensemble an der Ostseeküste inszeniert hat. Martina Gedeck bestätigt mit einer herausragenden Leistung als innerlich zerrissene Frau im moralischen Dilemma ihren Ruf, zu den besten deutschen Schauspielerinnen zu gehören.

Die 40-jährige Miriam (Martina Gedeck) und ihr Lebensgefährte André (Peter Davor) verbringen mit ihrem 16-jährigen Sohn Nils (Lucas Kotaranin) und dessen zwölfjähriger Freundin Livia (Svea Lohde) entspannte Ferientage in ihrem Haus an der Schlei. Die scheinbare Idylle an der Ostseeküste wird gestört, als Livia beim Segeln den 38-jährigen Amerikaner Bill (Robert Seeliger) kennenlernt. Er hat sich nach enttäuschenden Erfahrungen in der oberflächlichen amerikanischen Jetset-Sportwelt hierher zurückgezogen.

Verloren im Taumel der Gefühle

Miriam beobachtet besorgt, wie sich zwischen der unbedarften Livia und dem attraktiven Segler zarte Bande entwickeln. Sie fühlt sich für Livia verantwortlich und will eingreifen. Doch bei der ersten Aussprache mit Bill erliegt sie selbst seinem Charme und beginnt eine Affäre mit ihm. Nach und nach verliert sie die Kontrolle über ihre Gefühle und auch die Ereignisse. Sie weiß nicht mehr, ob sie Bill, der seine Liebe zu Livia gesteht, verachten oder lieben soll, und wie sie ihrem Partner und ihrem Sohn begegnen soll. Bei einem Segelausflug der Familie kommt es zu einem folgenreichen Vorfall.

Zum siebten Mal haben der Regisseur Stefan Krohmer und der Drehbuchautor Daniel Nocke bei dem subtilen Psychodrama "Sommer '04" zusammengearbeitet. Seit dem TV-Film "Macht man eigentlich anders" (1999) bilden sie ein Erfolgsduo, das zweimal mit dem Grimme-Preis in Gold geehrt wurde. Nach der von Kritikern viel gelobten Satire "Sie haben Knut" (2002) über die Alternativszene der achtziger Jahre legen sie mit "Sommer '04" ihre zweite gemeinsame Kinoarbeit vor, die es sogar in die renommierte Nebenreihe "Quinzaine des Réalisateurs" der Filmfestspiele von Cannes schaffte.

Bildwelten wie bei Eric Rohmer

Vordergründig erinnert die heitere Szenerie an der Schlei an die filmischen Sommertändeleien des französischen Meisterregisseurs Eric Rohmer. Doch unterschwellig köcheln im Familienkreis die Frustrationen und Konflikte, die sich - angestoßen durch das Auftauchen eines faszinierenden Fremden - bald Bahn brechen. So diffizil Krohmer/Nocke die Sehnsüchte und emotionalen Verwerfungen, die nonkonformistischen Impulse und die Seelenpein des Quintetts auch protokollieren, so unterkühlt bleibt mit Ausnahme des dramatischen Höhepunkts die atmosphärisch dichte Inszenierung. Von sommerlicher Hitze - wie der Filmtitel andeutet - oder gar von dramatischen Zuspitzungen ist hier nichts zu spüren.

Den vielen Dialogen, die oft hochgestochen anmuten, ist die Bemühung anzumerken, das Milieu eines pseudoliberalen Bürgertums zu durchleuchten, das bei aller vordergründigen Kultiviertheit eine fragwürdige Toleranzpose einnimmt, die wahre Gefühle zu ersticken droht. Zwischen den vielen Beziehungsgesprächen und Annäherungsversuchen sorgen zum Glück einige Segelszenen für Dynamik und visuelle Abwechslung.

Talent in Sicht

Neben Martina Gedeck hält sich die junge Svea Lohde erstaunlich gut: Mit ihrer natürlichen Ausstrahlung ist sie mehr als frühreifes Früchtchen mit Lolita-Ambitionen, sondern etabliert sich selbstbewusst als ernstzunehmende Rivalin im Liebesreigen. Hier offenbart sich ein Talent, dessen Name man sich merken sollte.

"Sommer '04", Deutschland 2006, Drama, 97 Minuten, FSK: 12, Regie: Stefan Krohmer, Darsteller: Martina Gedeck, Robert Seeliger, Peter Davor, Svea Lohde, Lucas Kotaranin u.a., Kinostart: 19. Oktober 2006

(Von Reinhard Kleber, ddp)

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