zum Hauptinhalt
Deutsche Einwanderer bei der Einfahrt des Schnelldampfers „Bremen“ in den Hafen von New York, 1937.

© bpk / Bernd Lohse

Bildband "Das deutsche New York": Und wer entwarf die Brooklyn Bridge?

Berlin ist hip - auch bei Amerikanern. Ziemlich vergessen ist dagegen, welche kulturellen Spuren die Deutschen in New York hinterließen. Ilona Stölkens Bildband sammelt sie, Überraschungen inklusive.

Der Amerikaner ist nicht nur in Paris. Oder in London, Rom, Venedig und vorm Heidelberger Schloss. Egal, wie der Berlinhype weitergeht, die Amerikaner strömen inzwischen in die deutsche Hauptstadt, und das Berghain ist in New York fast schon so bekannt wie die Münchner Wiesn. Umgekehrt hat die touristische oder zumindest die lebenskulturelle Begeisterung der Deutschen für die USA etwas nachgelassen. Seit dem konservativen Backlash unter Bush, seit Nine-Eleven, der Finanzkrise und der NSA.

Aber der Tourismus berührt nur die Oberfläche. Die amerikanisch-europäischen Wurzeln gründen tiefer, als Politik, Pop oder Hollywood vermuten lassen. Zudem wird oft vergessen, dass die alte Neue Welt nicht nur angelsächsisch geprägt war, garniert mit mediterranem Kolorit, von Sinatra bis zur Mafia. Das führt jetzt Ilona Stölkens Band „Das deutsche New York“ am Beispiel der amerikanischen Metropole höchst anschaulich und oft überraschend vor Augen.

Wer weiß heute schon, dass New Yorks berühmteste Brücke, die Brooklyn Bridge von Manhattan über den East River zum einstigen Vorort Brooklyn, von einem deutschen Ingenieur und Unternehmer stammt? Der Bauherr hieß Johann August Röbling und hatte sich 1831 als Sohn eines thüringischen Tabakhändlers mit (immerhin) 3000 Talern nach Amerika aufgemacht. Röbling ging nicht aus materieller Not. Aber der Absolvent der Berliner Bauakademie, der auch Hegels Vorlesungen besuchte und Freidenker war, hielt als Erfindergeist die Enge und Bürokratie in der deutschen Kleinstaaterei nicht aus. Schon auf der Überfahrt nach New York hatte der Fünfundzwanzigjährige dem Schiffskapitän technische Vorschläge zur Verbesserung der sanitären Anlagen gemacht.

Aus Johann Röbling wurde bald John Roebling; er konstruierte die 1867 eröffnete Suspension Bridge über den Ohio River und entwarf dann für New York die mit 486 Metern bis dato längste Hängebrücke der Welt: 5000 Arbeiter waren 14 Jahre am Werk und bildeten noch über den Tod ihres Schöpfers hinaus „ein grandioses Spinngewebe aus 14 000 Meilen Stahlseil“ (Ilona Stölken), das 1883 mit dem größten Feuerwerk aller damaliger New Yorker Zeiten eingeweiht wurde. Im Jahrzehnt darauf baute ein Nachfahre des aus dem badischen Walldorf bettelarm eingewanderten Pelzhändlers, Westernpioniers und Immobilienspekulanten Johann Jacob Astor in Manhattan – noch ein Superlativ jener Zeiten – das damals größte und luxuriöseste Hotel der Welt: das Waldorf-Astoria.

Viele Superlative verbinden sich mit den Deutschen in New York. Auch die bis zum Einsturz des World Trade Centers größte Katastrophe der Stadt. Es war der 15. Juni 1904, als die Sonntagsschule der lutherischen St.-Markus-Gemeinde mit 1300 deutschstämmigen Passagieren an Bord des Ausflugsdampfers „General Slocum“ zu einem alljährlichen Picknick nach Long Island aufgebrochen war und kurz nach dem Ablegen von der Eastside Manhattans im Laderaum plötzlich Feuer ausbrach. 1021 Passagiere, die meisten Frauen und Kinder, kamen ums Leben, die geborgenen Toten mit ihren verhüllten Gesichtern, so zeigt es die Fotografie eines New Yorker Magazins, bedeckten weithin das Ufer des East River. 33 Jahre später brannte dann im Himmel über der Stadt der deutsche Zeppelin „Hindenburg“ – eine Zäsur der Luftschifffahrt.

Ilona Stölkens Blick reicht tief.

Natürlich erzählt das Buch auch von den deutschen Einwanderern, die vor allem im 19. Jahrhundert, zumeist aus purer Not und via Bremerhaven, ihre Heimat verließen. Etwa sieben Millionen landeten in den USA, um 1850 bildeten die Deutschen sogar die größte Gruppe der Immigranten und fast ein Viertel der amerikanischen Population. Hinzu kamen in den dreißiger und frühen vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die jüdischen und andere deutsche und deutschsprachige Emigranten, die vor Hitler und dem NS-Terror in die USA geflüchtet waren. Namen wie Albert Einstein, Thomas Mann, Theodor W. Adorno, die junge Hannah Arendt, die Theaterkünstler Max Reinhardt, Erwin Piscator, Bertolt Brecht oder der bayrisch-anarchische Autor Oskar Maria Graf, der in Lederhosen in den Bars von Manhattan saß, durchgeistern das Buch. Wie auch der langjährige amerikanische Außenminister Henry Kissinger.

Aufschlussreich aber ist Ilona Stölkens Blick auf den Alltag der weniger Prominenten und die sozialhistorische Dimension, die tiefer reicht, als es die jährliche deutsch-amerikanische Steubenparade verrät. Der Umzug wird erst seit 1957 auf der 5th Avenue veranstaltet, zusammen mit einem Volksfest im Central Park. Namensvetter war General Friedrich Wilhelm von Steuben, der 1777 aus Preußen kam, um mit George Washington für die amerikanische Unabhängigkeit zu kämpfen. Bis heute nehmen Trachtenvereine, Feuerwehren, Schützenvereine und Gesangsgruppen aus ganz Deutschland an der Parade teil.

In New York leben heute mindestens eine halbe Million Deutschstämmige. Schon Manhattans Lower Eastside war einst die größte deutsche Siedlung außerhalb Deutschlands, und nördlich von Harlem, in den Washington Heights, lebten zehntausende, von den Nazis vertriebene jüdische Flüchtlinge, die ihr Viertel selbstironisch als „Fourth Reich“ bezeichneten. Ilona Stölkens reich illustriertes Buch geht all diesen Spuren detailliert nach und gibt ein ausgezeichnetes Abbild deutscher und amerikanischer Geschichte.
Ilona Stölken: Das deutsche New York. Eine Spurensuche. Lehmstedt-Verlag, Leipzig 2014. Zahlreiche Abbildungen, 280 Seiten, 29,90 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false