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Kultur: Bildnis mit Sohn

„Künstlerkinder“, eine Ausstellung in Emden.

„Kinder an die Macht!“ tönte es vor einigen Jahren aus dem Radio. Die Sache sieht heute bekanntlich anders aus, immer weniger Kinder kommen in Deutschland und Europa zur Welt. Dass ein Museum sich der Kinder als Ausstellungsthema annimmt, kommt ebenfalls nicht häufig vor. Eine Ausnahme bildet die Kunsthalle Emden mit „Künstlerkinder von Runge bis Richter, von Dix bis Picasso“.

140 Kinderdarstellungen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Werke von rund 50 Künstlern versammelt die Schau, darunter von Picasso, Chagall, Corinth, Max Beckmann, Otto Dix, Paula Modersohn-Becker, Gerhard Richter und Pipilotti Rist. Sie gewähren Einblick in die Privatsphäre der eigenen Familie, vergegenwärtigen aber zugleich das jeweilige Kindheitsbild ihrer Zeit. So strahlen die „Hülsenbeckschen Kinder“ von Philipp Otto Runge Natürlichkeit aus. Im Bildnis von Runges Frau Pauline mit Sohn Sigismund wird das eigene Kind – in der ikonografischen Tradition der Madonna mit dem Jesuskind – außerdem zum Hoffnungsträger: In der Romantik wurden regelrecht Heilserwartungen auf Kinder projiziert. Spätere Malergenerationen widmen sich sozialen Verhältnissen, wie bei Liebermanns Waisenhausbildern oder den lesenden, handarbeitenden Töchtern des alleinerziehenden Vaters Fritz von Uhde.

Im beginnenden 20. Jahrhundert wird das eigene Kind mitunter schon kurz nach der Geburt porträtiert. „Nichts ist schöner, als neugeborene Kinder zu betrachten. Wie kleine Weltweise, von fernher zugereist, liegen sie und atmen. Noch schwingt in kleinen Runzeln das Erschrecken über die Ankunft im offenen Leben nach“, schreibt Max Pechstein in seinen Erinnerungen. August Macke begeistert sich anlässlich der Geburt seines ersten Sohns Walter: „Das schönste Bildwerk ist aber doch der Mensch. Unser Junge ist mordsgesund, das Herz lacht einem.“ Sein „Porträt Walter Macke mit Häschen“ ist im Besitz der Emdener Sammlung.

Der Realist Otto Dix malt sich und seinen Sohn 1930 im „Selbstporträt mit Jan“. Wie ein heiliger Christophorus trägt er den Jungen auf den Schultern und hält den Pinsel als Signum seiner Profession in der Hand. Beim Thema Mütterlichkeit knüpfen die Künstler gern an Mariendarstellungen an, etwa wenn Marc Chagall seine Frau Bella mit Ida am Fenster malt. Der Katalog erwähnt auch jene Künstler, die wegen ihres Berufs auf Nachwuchs verzichtet haben, Ernst Wilhelm Nay oder Hans von Marées. Arnold Böcklin hingegen, Vater von 14 Kindern, sagte einmal: „Je mehr Kinder ich habe, desto mehr Lust habe ich zum Arbeiten.“ Auch Bilderbücher fehlen nicht als Zeugnisse der Hinwendung zum Kind: Konrad Felixmüller bediente sich bei den Reimen seiner Frau, als er für seine Söhne „Das ABC – Ein geschütteltes, geknütteltes Alphabet in Bildern mit Versen“ entwarf. Vier der 16 Farbholzschnitte sind in Emden zu sehen.

Und das Kind im Künstler? Kindliche Formensprachen finden sich bei Paul Klee, Picasso oder Alexej Jawlensky. „Kinder müssen wir werden, wenn wir das Beste erreichen wollen,“ erklärte Runge bereits 1840. Picasso soll angesichts von Kinderzeichnungen angemerkt haben: „Als ich so alt war wie diese Kinder, da konnte ich zeichnen wie Raffael. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich zeichnen konnte wie diese Kinder.“

Kunsthalle Emden, bis 20. Januar; Katalog (Kerber) 39,60 €.

Rocco Thiede

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