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Kultur: Billard mit Sam

Eine Erinnerung von Raymond Federman

Ich spiele nicht schlecht Billard, aber nicht so gut wie Samuel Beckett, mit dem ich einmal gespielt habe. Nicht das amerikanische Billard mit den Löchern, sondern das Billard mit drei Kugeln – zwei weißen und einer roten. Eines Abends mit Sam und Ludovic Janvier (Ludo und ich, wir nannten Beckett immer Sam, weil er unser Kumpel war), es war nach einem guten Essen gegen zwei Uhr nachts, und wir beschließen, Billard spielen zu gehen. Wir waren alle ein bisschen blau. Wir finden ein offenes Café, Avenue du Maine, mit einem Billardtisch. Erica, meine Frau, war dabei. Aber sie spielte nicht. Sie guckte uns zu, saß auf einem Hocker, während sie einen Cognac schlürfte. Gut, schon klar, dass Sam beim Billard viel besser war als Ludo und ich. Verdammt viel besser.

Sam war gut in allem, was er tat. Beim Schach, am Klavier. In allem eben. Wir beschlossen, eine Partie um 50 Punkte zu spielen. Ludo fängt an. Er macht eine Serie mit drei Punkten. Dann ich. Ich mache vier. Dann ist Sam dran. Sam macht zwölf. Und so geht das weiter. Okay, ich werde nicht das ganze Spiel beschreiben, aber klar, Sam hat gewonnen. Wir bringen Sam nach Hause. Ich fuhr. Ich hatte ein kleines deutsches Auto. Wir umarmen uns zum Abschied. Sam sagt uns, wir spielen bald wieder mal.

Dann bringe ich Ludo nach Hause. Erica, die hinten sitzt, sagt uns, wisst ihr, Sam hat geschummelt. Gar nicht möglich! schreien Ludo und ich. Sam kann gar nicht schummeln. Doch doch, insistiert Erica. Er schummelt verkehrtrum. Wie soll er das geschafft haben, verkehrtrum zu schummeln, fragen Ludo und ich. Also gut, er machte zwölf oder vierzehn Punkte. Aber mit seinem Queue markierte er nur fünf oder sechs Punkte da oben, wo man die Punkte notiert. Er hätte euch in fünf Minuten erledigen können. Hätte fünfzig Punkte machen können, ohne dass ihr einen einzigen macht. Er hat extra daneben getroffen.

Ah Sam! Er traf extra daneben. Das ist es, was Sam am meisten auszeichnet: seine Großzügigkeit. His kindness. Sein Sinn für Humor. Aber vor allem die schweigsame Art, seine Zuneigung auszudrücken.

Das Vergnügen, das er dabei empfand, andere an der Nase rumzuführen. Ja, das war es. Sam hatte uns bei Billard an der Nase rumgeführt. Und ich bin sicher, er hatte Spaß dran, uns nicht an die Wand zu spielen.

Raymond Federman, geboren 1928 in Frankreich, wanderte 1947 in die USA aus. Der Romancier und Poet war Literaturprofessor in Buffalo und lebt heute in San Diego. 1989/90 war er DAAD-Stipendiat in Berlin. Auf Deutsch sind von ihm u. a. erhältlich: „Betrifft: Sarahs Cousin“, „Surfiction: Der Weg der Literatur“ (Suhrkamp Verlag). – Aus dem Französischen von Jan Schulz-Ojala

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