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Kultur: Bin im Netz

Kindheitsmuster: „Spider“ von David Cronenberg

Darf man einer Geschichte trauen, die ein Psycho-Wrack in ihren Mittelpunkt stellt? Dennis Cleg kehrt nach London zurück. Entlassen aus einer Heilanstalt, schleicht er leise brabbelnd die Straßen entlang. Sucht die Orte seiner Vergangenheit auf, ja, besucht die Vergangenheit selbst. Steht neben sich selbst als kleiner Junge und erlebt seine Kindheit noch einmal traumatisch – große Gelegenheit für Ralph Fiennes, der Reihe seiner getriebenen Antihelden ein besonders geschundenes Exemplar hinzuzufügen.

Cleg trägt den Spitznamen Spider. Weil er sich seine Vergangenheit buchstäblich zusammenspinnt? Oder ist er ein Gefangener im eigenen Netz? Regisseur David Cronenberg deutet es durch visuelle Hinweise an. Er filmt durch Gitter. Er postiert Cleg vor der Spinnennetz-Architektur eines Gaswerks. Er lässt ihn an den Mustern englischer Ziegelhäuser vorübergehen. Später beginnt Cleg tatsächlich, ein Gewirr aus Fäden und Schnüren durch sein Zimmer zu ziehen. Verirrung und Verwirrung sind die Folge. Irgendwann ist es der Zuschauer selbst, der im Netz zu zappeln scheint.

Cronenberg, neben Atom Egoyan und Denys Arcand einer der Großen des kanadischen Kinos, liebt solche Spiele: Er nutzt die scheinbare Eindeutigkeit der Bilder, man denke nur an „Naked Lunch“ und an „Existenz“ – und gleichzeitig ist nur schwer erkennbar, welche Erzählwelt gerade vorgegaukelt wird. In „Spider“ – basierend auf dem Roman von Patrick McGrath – ist bis kurz vor Schluss nie sicher, was wirklich in Clegs Vergangenheit geschah.

Übrigens: „Spider“ ist ein ruhiger Cronenberg-Film. Keine Horroreffekte, keine Faszination für menschliches Fleisch. Und: Wie immer bei Cronenberg ruht das Ganze auf einem stabilen intellektuellen Unterbau. Deshalb schadet es keineswegs, nach dem Kinobesuch die Freud-Gesamtausgabe aus dem Bücherschrank zu ziehen oder im „Vokabular der Psychoanalyse“ zu blättern. Stichworte: „Familienroman“ und „Ödipus-Komplex“.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Hackesche Höfe, Kinowelt Friedrichshain, Kulturbrauerei, Kosmos, Rollberg

Julian Hanich

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