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Mit Knoblauchkette. Die Blutsaugerinnen und ihr Musikchef. Foto: Gerhard F. Ludwig

© Gerhard F. Ludwig

Kultur: Bis(s) zum Migrantengrauen

Ewiges Lärmen: der Vampirella-Abend „Bloodshed in Divercity“ am Ballhaus Naunynstraße.

Volkan T. – Abkürzung für Terror – wirkt wie ein eher furchtloser Mensch. Aber vorsichtshalber trägt er an diesem Abend doch eine Knoblauchkette. Der imposant tätowierte Musiker ist am Ballhaus Naunynstraße als Leiter der „Akademie der Autodidakten“ fürs Ressort „Integration durch kulturelle Bildung“ verantwortlich. Und somit Fachmann für heranwachsende Problemfälle aller Couleur: „Migrantische und postmigrantische Jugendliche, Leute aus dem Knast, Schulabbrecher, Spielsüchtige“. Wer halt so durchs Mehrheitsraster fällt. Jetzt allerdings werden T. und mit ihm die Zuschauer im Ballhaus Naunynstraße von einer Spezies herausgefordert, die dem hartgesottensten Streetworker das Blut in den Adern gefrieren ließe: „Junge Frauen tageslichtferner Herkunft, im Volksmund auch Vampirinnen genannt.“ Da gibt’s ein paar Verhaltensregeln, die er in seiner Eröffnungsansprache dem Publikum mitgibt, etwa: Kreuze raus und Blickkontakt mit den Performerinnen vermeiden. Gott steht uns bei – Bis(s) zum Migrantengrauen.

„Bloodshed in Divercity“ heißt das Musikperformanceprojekt, das in der Regie von Simone Dede Ayivi an der Naunynstraße aus der Gruft gehoben wurde. Nach der Brachial-Erziehung jungmännlicher Migrantenlümmel mit Schillers Ästhetik im Smashhit „Verrücktes Blut“ steht jetzt das Blutvergießen im Zeichen feministischer Mädchenbildung auf dem Programm. So verkündet’s der musikalische Leiter T., ihm zur Seite Kompagnon Toby Dope. Aber um falschen Erwartungen vorzubeugen: abgesehen vom Aderrausch im Titel haben die beiden Projekte nicht viel miteinander zu tun. Beim Vampirella-Abend – entstanden nach Texten von Oliver Kontny und dem Ensemble – liegt der Akzent auf gehobenem Trash mit Hämatophilie-Hintergrund. Die Handlung ist eher ein blutroter Faden, der Auftritt der zum ewigen Leben und Lärmen verdammten Girlie-Band „Bloodshed“ nämlich, deren Performerinnen uralte Dracula-Mythen mit modernen Migrations-Märchen kurzschließen.

„Seit Alexander Persepolis brandschatzte, bin ich unterwegs“, verkündet eine Spielerin. „In den Schänken von Babylon und den Darkrooms von Sodom war das Blut mein Wein und meine Lust die Qual“, ergänzt ihre Kollegin. Womit die Problematik von fixen Herkunfts-Zuschreibungen trefflich markiert wäre. Es geht um das Prinzip Projektionsfläche: der Vampir als Fantasie-Erreger zwischen Horror und Hollywoodkitsch wird überblendet mit dem Blick auf die gefürchteten Geschöpfe nichtdeutscher Abstammung: „Wenn jemand mich und meine Zähne anguckt, dann sieht er die Pest, die Aristokratie, den Kapitalismus, sexuelle Freizügigkeit, die Überfremdung mitteleuropäischer Großstädte – und neuerdings sogar die ewige und reine Liebe.“

Durch dieses Spannungsfeld aus Exotik-Geifer, Ideologie-Ballast und Biologismen beißen und kalauern sich die frisch aufspielenden „Bloodshed“-Vamps zwischen den Songs: Nora Abdel-Maksoud am E-Bass und Elmira Bahrami an der Violine, Schlagzeugerin Salome Dastmalchi und Sängerin Pinar Erincin, Beatbox-Frau Theresa Henning und Gitarristin Marleen Lohse. Ein Sextett, das seine „Suck me“-Sexyness genauso zur Disposition stellt wie das neoliberale Selbstverwirklichungs-Mantra, das mittlerweile schon die Untoten trifft.

An den Instrumenten sind die Spielerinnen teils nicht ganz so versiert wie im fortgeschrittenen Vampir-Diskurs, aber hey, das ist beste Punk-Tradition. Man merkt dem Projekt an, dass es turbulente Entstehungsphasen durchlaufen hat. Das Ergebnis ist trotzdem: theatrale Frischzellenkur statt Bühnenblutkonserve.

Wieder vom 12. bis 17. Dezember.

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