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Kultur: Bitter Lennon

Jede Gesellschaft braucht Helden.Helden des Geistes, Helden der Tat.

Jede Gesellschaft braucht Helden.Helden des Geistes, Helden der Tat.Menschen, an denen sich die sinnstiftenden Mythen einer Gemeinschaft erzählen lassen.Vorbilder, die die Normen verkörpern, die sich eine Gesellschaft selber gesetzt hat.Längst haben Stars aller Art die Rolle der Helden übernommen, jene natürlichen oder durch geschicktes Marketing aufgebauten Ausnahme-Menschen, die ihren Zeitgenossen den Wunsch einzupflanzen vermögen, so zu sein, wie sie selber.

Wohin das führen kann, zeigt an einem traurigen Exempel das neue Stück des in Berlin lebenden Theaterautors Lutz Hübner, "Herzmündung", uraufgeführt jetzt am Staatstheater Mainz.Da schwimmt einer sein ganzes junges Leben lang in der anonymen Masse mit, geht brav zur Kirche, unter den Heranwachsenden ein eher schüchterner Außenseiter, einer aus der amerikanischen Provinz, dann der erste Joint.Es ist die Zeit des Flower Power.Er verliebt sich, verlobt sich, wird aktives Mitglied im christlichen Jungmänner-Verein YMCA, und nach 25 Jahren eines bedeutungslosen Lebens schafft er sich Bedeutung durch eine Tat: ein Mann läuft Amok.Nein, er weiß genau, was er tut.

Einer will hervortreten ins Scheinwerferlicht, für einen kurzen Augenblick so berühmt werden wie sein Opfer: Es ist Mark Chapmann, der am 8.Dezember des Jahres 1980 John Lennon mit sieben Schüssen getötet hat.

Lutz Hübner, Jungdramatiker, Mitte der sechziger Jahre in Heilbronn geboren, hat sich nun interessiert für die Biographie jenes netten Jungen aus der Provinz, der, getrieben von inneren Stimmen zum Mörder wurde, und dessen Tat weniger dem konkreten Menschen als der Pop-Ikone galt, für die sich Chapman in seinen Wach-Träumen selber hielt, in einer seltsamen Mischung aus Neid und Bewunderung, Haß und Zuneigung.

Es ist ein komplexer Vorgang, wie aus dem von der Mutter verhätschelten Sohn, in den sie alle im eigenen Leben unerfüllt gebliebenen Sehnsüchte hineinprojiziert.Wie aus diesem heranwachsenden Jungen, der vergeblich Orientierung sucht im Leben, der von zu Hause ausreißt, um in den Zeiten von Vietnam und Woodstock "ein Freak zu werden", wie er sagt.Und doch wird er immer nur wieder auf sich selber zurückgeworfen, auf dieses leere suchende Etwas in ihm selber.

Schließlich scheitert auch der Versuch, sich selber das Leben zu nehmen, auf peinliche Weise.Es ist ein höchst komplexer Vorgang, wie aus diesem treibenden Jungen dann ein getriebener Täter wird in der fanatischen Sucht, sich selber ein deutliches Gesicht, eine strahlende Identität zu geben, und für den die mörderische Tat an jenem Sänger, dessen Musik die eigene Sozialisation mitbestimmte und von dessen Glanz er geblendet wird, ein erster wirklicher Ausbruch ist, zu sicher selber zu finden im Glanz des anderen.Es ist die Geschichte eines Mannes, aber auch die Geschichte einer Gesellschaft, die solche Biographien produziert.

Leider erzählt davon die Mainzer Inszenierung von Hartmut Wickert zu wenig.Auf einen Hochsitz, wie ihn Jäger zum Beobachten und Erlegen des Wildes sich bauen, hat Wickert den von Harald Koch gespielten Mark Chapman verbannt, dort oben hockt er die meiste Zeit, in eine knallrote Sergeant-Pepper-Uniform gewandet mit langen Rockstößen, die bis zum Boden reichen und dirigiert von hier aus das Zusammenspiel der Figuren um ihn herum.Ein Spiel der Distanzen, der Berührungslosigkeit, der Unnahbarkeit.Warum? Darauf gibt die Inszenierung keine Antwort.Aber sie persifliert und karikiert die Figuren, den bulligen amerikanischen Vater, der mit cholerischer Härte aus seinem Sohn einen "ganzen Mann" machen will (Heino Wolters), die gluckenhafte Mutter, die ihm von kleinauf einredet, etwas Besonderes zu sein, etwas Großes zu werden (Monika Dortsch), daneben wie aus dem Klischee-Bilderbuch entsprungen: die überdrehte nerviv-quäkige Verlobte mit toupiertem Blondhaar (Nicola Schößler), die verlausten Langhaarigen der Flower-Power-Generation, oder der schleimig geschäftige Oberfunktionär des YMCA.

Das Ganze wird auch nicht besser dadurch, daß die Regie am laufenden Band die Dialoge Hübners doppelt und dreifach sprechen läßt, mit leicht anderer Nuancierung nur, und damit die Figuren endgültig zu kunsthandwerklichen Pappmaché-Gestalten degradiert.

Für die innere Stimme Mark Chapmans, für das was ihn ihm gärt und denkt und treibt, hat Autor Hübner einen Chor der kleinen Leute seinem Stück eingeschrieben, die Inszenierung steckt junge Jugendliche in Tanzroben, als käme Chapmans psychotisches Gewölle aus dem Geiste eines bürgerlichen Abschlußballs; nun, dies ja wohl ganz und gar nicht.

Die Aufführung in Mainz ist unterlegt von einem musikalischen Teppich mit Songs und Melodien der Beatles und John Lennons, und dieser Klangteppich wird, mal untermalend, mal das Spiel akzentuierend, von einem leibhaftigen DJ hier eingespielt, der selber mit auf der weiten Bühne in der externen Spielstätte "Phönixhalle" steht - weit hinten, auf hohem Podest, über allem Irdischen schwebend (Ausstattung Marina Hellmann).Ein sprechendes Bild.Aber leider kein phönixhafter Aufstieg eines Textes in den Theaterhimmel.

Wieder am 14.und 25.April.

ECKHARD FRANKE

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