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© Bernhard Schulz

Bitte stolpern: Ulrich Rückriem auf Mies van der Rohe

Nur alle fünf Jahre holt die Neue Nationalgalerie 40 Bodenreliefs des Bildhauers Ulrich Rückriem aus dem Lager – gerade ist es wieder so weit. Das sollte man nicht verpassen.

Von Bernhard Schulz

Die lichtdurchflutete Halle der Neuen Nationalgalerie regt immer wieder zur Auseinandersetzung mit dem leeren Raum an. Berühmt ist die Lichtinstallation, die Jenny Holzer an den Deckenstreben anbringen ließ und die mit ihren unentwegt laufenden Schriftbändern permanente Unruhe verbreitete.

Ein Gegenstück ist die Arbeit des Bildhauers Ulrich Rückriem, die nach ein paar Jahren im Depot anlässlich des 85. Geburtstags des Künstlers erneut, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum, installiert wurde. Rückriem, der für seine wuchtigen, durch Bohrungen und Schlitze zugleich verletzlich wirkenden Steinskulpturen berühmt ist, hatte 1998 vierzig Granitplatten schneiden lassen, im exakt gleichen Format wie das Bodenraster, in dem der Architekt Ludwig Mies van der Rohe die Ordnung seines Bauwerks im Kleinen vorführt. 120 Zentimeter beträgt die Kantenlänge eines Quadrats. Rückriem nimmt das Maß auf, verteilt aber seine Platten im Raum; ob nach Zufallsprinzip oder in einer bestimmten Anordnung, ist zunächst einmal unerheblich.

Ein Eingriff in die Ordnung von Mies van der Rohe

Tatsächlich werden die Platten so verteilt, dass in den Längs- und Querbahnen der von Mies verlegten Bodenplatten jeweils nur ein Rückriem-Stein Platz findet. Dessen Unterseite ist glatt geschnitten, die Oberseite jedoch mit allem Relief belassen, das auf die Arbeit im Steinbruch verweist, wie sie in der von Hand ausgeführten Tätigkeit des Bildhauers fortbesteht. Rückriem, 1938 in Düsseldorf geboren, ist gelernter Steinmetz, eine Ausbildung, die er mit dem Architekten Mies teilt.

Der Besucher nimmt Rückriems Platten als Störung wahr, oder jedenfalls als Eingriff in die makellos rationale Ordnung des Mies’schen Bauwerks. Es ist, als ob aus dem Untergrund heraus sich die Natur ihr Recht verschaffte; jener Untergrund, aus dem der Stein genommen wurde, auch der, der vom Architekten vorgesehenen, ganz und gar geglätteten und insofern künstlichen Bodenplatten. Eine verwandte Arbeit schuf Rückriem für einen der Innenhöfe des Reichstagsgebäudes, „Doppel-Skulptur-Boden-Relief“, bei der gleichfalls roh belassene Platten mit dem vorhandenen, glatten Bodenbelag kontrastieren. Rückriems Werken ist stets ein Moment der Irritation eigen; zumeist, indem der Künstler seine mehr oder minder gewaltigen Steinblöcke zerteilt und dann entlang der kaum wahrnehmbar bleibenden Schnittkanten wieder zusammenfügt.

Alle fünf Jahre – so ungefähr –, müssen Rückriems Bodenplatten ausgelegt werden, so ist es mit dem Künstler vereinbart. Gut so; denn sein Werk altert nicht, so wenig wie die wunderbar restaurierte Glashalle Mies van der Rohes. Beide stehen in Kontrast zueinander und sind doch gleichermaßen Ergebnis rationaler Überlegungen. Es ist diese Spannung, die sich dem Auge mitteilt, so still wie unausweichlich.

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