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Kultur: Blaue Blume, nacktes Fleisch

Die Berliner Fotografin Brigitte Maria Mayer inszeniert „Flucht und Vertreibung“ in romantischer Kühle

„Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war. Und Lots Weib sah hinter sich und ward zur Salzsäule.“ Flieht das Paar vor einer göttlichen Strafe, wie sie Moses in der Bibel beschreibt? Sind es Adam und Eva, die das durch ihre Schuld zerstörte Paradies hinter sich lassen? War New York vor dem 11. September 2001 etwa ein Paradiesgarten? Und warum sehen Adam und Eva aus wie Fotomodels aus einem Versace-Katalog?

Gerade weil das symbolisch aufgeladene Bild so widersprüchliche Assoziationen hervorruft, ist Brigitte Maria Mayer mit ihrer Fotomontage „9/11“ das treffende Stimmungsbild einer verunsicherten Welt gelungen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin widmet der 38-jährigen Fotokünstlerin jetzt eine Ausstellung. Die Monatge „9/11“ sollte eigentlich als Riesenformat auf dem Gebäude der Stiftung prangen. Doch ein Test ergab, dass die Folie an der Fassade Spuren hinterlassen würde. So muss die Bilderschau zumindest vorläufig ohne dieses Aufsehen erregende Aushängeschild auskommen.

„Flucht und Vertreibung“ heißt die Ausstellung in Foyer und Rotunde des Gebäudes von Architekt Thomas van den Valentyn. Die Vertreibungsszene „9/11“ passt zu diesem Motto, gehört aber eigentlich nicht zu dem Zyklus, den Mayer für diese Ausstellung erarbeitet hat. „9/11“ entstand als Auftragsarbeit für das Meininger Theater, das sich jedoch zunächst sträubte, das provokante Werk anzunehmen. Im Mittelpunkt der Werkschau steht eine Serie auf blauem Grund inszenierter bleicher Körper. Auf dem Bild „Klagende / Vor dem Palast“ sehen wir ein halbes Dutzend gebeugte, erschöpfte Menschen, die sich auf den Betrachter zuzuschleppen scheinen, ohne aufzublicken. Nackt und verletzlich stehen und liegen die Flüchtenden vor uns. Fotos und Fernsehbilder von Flüchtlingen aus Afrika, vom Kaukasus oder aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs sehen wir jeden Tag. Aber durch die distanzierte, künstliche Inszenierung erlaubt Mayer einen neuen Blick auf die Verfolgten: Die elegant ins Licht gesetzten Körper scheinen vor dem Blau des Raums zu leuchten, trotz ihrer Schwäche strahlen sie eine sonderbare Erhabenheit und zugleich romantische Kühle aus.

„Die Realität abzubilden, ist nicht mein Thema“, sagt die schmale, zierliche Frau im Gespräch. Und bezieht damit, wie Kurator Hans-Jörg Clement betont, eine Außenseiterposition. Tatsächlich erlebten Besucher der Documenta 11 im vergangenen Jahr die starke Dominanz dokumentarischer Techniken in der zeitgenössischen Fotografie, viele Künstler arbeiteten mit journalistischen Mitteln. Mayer setzt auf Inszenierungen und greift dazu auf Stilelemente unterschiedlichster Epochen zurück. So stellte sie bei einer früheren Arbeit Jacques-Louis Davids klassizistisches Gemälde„Tod des Marat“ fotografisch nach, allerdings leicht verfremdet: Ihr Marat ist in der Badewanne einer Überdosis Drogen erlegen.

Die Posen ihrer aktuellen Modelle hat Mayer zum Teil bei italienischen Friedhofsskulpturen des 19. Jahrhunderts entliehen. Doch ein anderer Stil ist noch einflussreicher: „Am stärksten prägt der Barock meine Arbeiten“, sagt Mayer. Das kommt davon, wenn man im katholischen Regensburg aufwächst: Schon als Kind war die heute in Berlin lebende Fotografin von der Pracht bayerischer Kirchen beeindruckt. „Barocke Kirchen, aber auch Gemälde, sind wie Bühnen angelegt“, sagt Mayer. Sie sind der Raum für Weltentwürfe. Die interessieren mich mehr als individuelle Lebensentwürfe.“

Mayers Name ist nicht nur durch ihre Fotoarbeiten bekannt. Auch als engagierte Nachlassverwalterin ihres 1995 verstorbenen Mannes Heiner Müller trat sie in Erscheinung. An der Außenfassade der Adenauer-Stiftung erinnert sie mit einem Zitat an den Toten. Wer aus Richtung Kulturforum kommend die Tiergartenstraße entlanggeht, trifft plötzlich auf das verstörende Schriftkreuz „Mein Fleisch Dein Hunger“.

Noch bis 30. Dezember, Mo – Fr 9 –17 Uhr. Konrad-Adenauer-Stiftung, Tiergartenstr. 35

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