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Kultur: Bleischwere Plackerei

Vielleicht wäre er ja heute ein Rockstar.Dann würde der arme B.

Vielleicht wäre er ja heute ein Rockstar.Dann würde der arme B.B., dieser im weißen Mutterschoß aufgewachsene Baal, den es aus den schwarzen Wäldern in die kalten Städte zog, die E-Gitarre in den Verstärker stöpseln, ein paar Akkorde schrammeln und seine rebellischen Verse ins Mikro krächzen.Begleiten ließe sich der von willigen Frauen und dicken Virginias träumende, von dunklen Schößen und pissenden Tannen reimende Barde dann vielleicht von drei wild und wuchtig ihr Schlagwerk malträtierenden Trommlern.Das wäre schon laut und schräg und würde - gestern wie heute - die bürgerlichen Spießer ein bißchen erschrecken.Aufnahmebereiter wäre sie dann hoffentlich für einige Lektionen der "Taschenpostille", die man ja nicht sinnlos in sich hineinfressen, sondern gebrauchen sollte.

Wofür man Brechts sich ironisch an biblische Belehrungen abarbeitenden Bittgesänge und Exerzitien, Chroniken und Psalmen heute noch gebrauchen könnte, verrät uns Nino Sandow leider nicht.Der Schauspieler und Regisseur hat zwar die frühen Gedichte Brechts (die 1926 als "Taschenpostille", ab 1927 als "Hauspostille" erschienen) nach Lust und Laune geplündert und sich aus den Tagebüchern des angehenden Verseschmiedes ein paar pubertäre Zoten herausgepickt.Das könnte eine freche, jeden dichterischen Denkmalschutz verspottende Angelegenheit werden."Ich kommandiere mein Herz" wird dann aber, wenn die E-Gitarre ausgestöpselt, die Trommeln weggepackt sind und die vier Akteure sich aufmachen, in grauen Anzügen und mit grinsenden Minen durch Brechts lyrisches Dickicht zu stapfen, eine bleischwere, uninspirierte Plackerei.

Trotz riesiger Videowand und verschwommener Bilder, trotz brechtischer Regiekommandos aus dem Off und leiernden Kinderstimmen aus dem Nirgendwo ist das ganze kein multimediales Happening, sondern allenfalls ein szenischer Schmarren.Jens-Karsten Stoll klimpert schläfrig auf dem Klavier, Thomas Martius spuckt Tagebuchnotizen aus.Nino Sandow und Hermann Beyer nölen sich durch die Gedichte, erinnern an die "Kindsmöderin Marie Farrar" oder singen im Duett den "Großen Dankchoral".Ein lässig vorgezeigter Boxhandschuh will Brechts Vorliebe für den Faustkampf kommentieren, und wenn Sandow und Beyer wie Schlachtvieh kopfüber am Bühnenhimmel baumeln, sollen wir uns wohl vorm bösen Kapitalismus fürchten.Irgendwie kommen die Taschenpostillen-Taugenichtse von Hölzchen auf Stöckchen, doch voran kommen sie nicht.Daß ihre manchmal komisch-absurden, manchmal einfach nur kindisch-blöden Einfälle die bösen und lüsternen Gedichte neu erschließen, kann man nicht behaupten.

Zum Glück sind Brechts Texte stark genug, die szenisch ziellosen und gesanglich unergiebigen Zurichtungen zu überstehen.Verunglückte Ozeanflüge und andere theatralische Mißverständnisse - Brecht hat sie in seinem Jubeljahr mit Würde ertragen.Möge die Feierer bald ein Ende haben.

nächste Vorstellungen 3.,12.,17.Dezember, jeweils 19 Uhr 30.

FRANK DIETSCHREIT

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