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Nichts ist gut. Janne (Aenne Schwarz) kann mit Piet (Andreas Döhler) nicht über ihre traumatische Erfahrung sprechen.

© NFP

"Alles ist gut" im Kino: Bloß nicht Opfer sein

Seit einem Jahr wird über MeToo diskutiert, über die Grenze von Übergriff und Missbrauch. Aber Eva Trobischs Debüt „Alles ist gut“ ist kein Themenfilm.

Sie sind betrunken, haben sich beim Klassentreffen kennengelernt. Er greift nach ihr, sie sagt: „Nee, lass mal.“ Sie lallen, sie lachen, kleines Gerangel, dann liegt Janne auf dem Boden – und Martin auf ihr. Der Sex ist kurz und schmerzlos. Martin verlässt wortlos die Wohnung.

Dies ist die Geschichte einer Vergewaltigung und ihrer Folgen. Nein, falsch. Janne, die Protagonistin von „Alles ist gut“, würde das stigmatisierende Wort nie benutzen. Sie ist kein Opfer, sie lässt nicht zu, dass diese paar blöden Minuten ihr Leben beherrschen. Janne schweigt, macht einfach weiter, im neuen Job als Lektorin bei einem Münchner Verlagshaus. Eigentlich wollte sie mit ihrem Freund Piet, einem Schriftsteller, raus aufs Land. Sie starten neu durch nach der Insolvenz ihres Kleinverlags. Jetzt haben sie Stress, weil Janne diese Stelle annimmt. Dummerweise taucht auch noch Martin am neuen Arbeitsplatz auf, behelligt sie mit seinen Schuldgefühlen. Janne wehrt ab. Dies ist die Geschichte einer existentiellen Verstörung. Nichts ist gut in Jannes Leben.

Bestes Debüt auf dem Locarno Filmfestival

Eva Trobisch hat mit „Alles ist gut“, der auf dem Filmfestival in Locarno den Preis für das beste Debüt erhielt, ihren ersten Langfilm gedreht, einen Film von stiller, nachhaltiger Wucht. Mit leichter Hand greift sie das schwere Thema Missbrauch auf, puzzelt Jannes Geschichte aus scheinbar improvisierten, aber punktgenauen Szenen zusammen. Volatile Figurenkonstellation, mobile Kamera (Julian Krubasik), grandiose Hauptdarstellerin, die Burg-Schauspielerin Aenne Schwarz. Man mag kaum glauben, dass es sich um ein Regiedebüt handelt.

„Wie frei sind wir in unserer Selbstbestimmtheit, wo sind die Grenzen, sozial, emotional, leiblich?“, fragt Eva Trobisch. Wir treffen uns im Café an einem der letzten Sommertage, unser Gespräch ist umbrandet von Stimmengewirr. „Janne ist eine gebildete, selbstständige Frau“, erklärt sie. „Sie gehört zur Kindergeneration der Feministinnen erster Stunde, ist sozialisiert mit dem Bewusstsein, dass sie alles erreichen kann. Und sie will gleichzeitig Frau sein, hat diese Top-Girl-Mentalität.“ Eineinhalb Minuten schlechter Sex der der attraktive neue Job? Janne guckt lieber nach vorn. Das unterdrückte Geschlecht? Sie lässt sich die Deutungshoheit über ihr Leben nicht nehmen.

Frauen wie Janne gibt es bislang kaum im deutschen Film. Aenne Schwarz zeigt sie manchmal mit dem Profil einer jungen klassischen Schönheit, mal wirkt sie kindlich, mal strafft sie den Rücken und schreit still in sich hinein oder wird zur toughen Lebensberaterin ihres Chefs. Janne ist immer in Bewegung, die Kamera wird ihrer nie habhaft. Nicht leicht, sie zu beschreiben. Worte legen Personen schnell fest.

„Unsere Wahrnehmung ist ausschnitthaft“, sagt Trobisch. „Deshalb gucken wir Janne nicht ständig ins Gesicht.“ Die Regisseurin hat etwas gegen die Verfügbarkeit der Welt, gegen das Dingfestmachen. Deshalb zwingt sie ihre Figuren nicht in einen narrativen Bogen, schützt sie mitunter vor dem Kamerablick. „Wir können nur mal reingucken in ihr Leben.“

Von innen nach außen arbeiten

Eva Trobisch, 1983 in Berlin geboren, ist selbst ein zierliche, toughe Person. Sie begann am Theater, studierte an der HFF München, ging nach New York, wo sie das Handwerk des durchgetakteten Erzählens lernte. Es war „Malen nach Zahlen“, sagt sie. An der London Film School, wo sie dann ihren Master in Screenwriting machte, wurde dagegen „von innen nach außen gearbeitet, das lag mir mehr. Regieanweisungen im Drehbuch durften höchstens zwei Zeilen lang sein.“ So schrieb sie das Drehbuch zu „Alles ist gut“ wie ein Theaterstück. Die deutschen Fördergremien hatten damit ziemliche Probleme.

Die Regisseurin findet es übergriffig zu sagen, wie eine Darstellerin gucken soll. Lieber dreht sie viele Takes, der Widerstreit der Gefühle entsteht in der Montage. Hans Löw als Martin, Andreas Döhler als Piet, Tilo Nest als Verlagschef Robert, Lina Wendel als Jannes Mutter, sie kommen wie Aenne Schwarz vom Theater. Auch wenn Trobisch Respekt vor der Präzision von Film-Schauspielern hat: Die Risikofreude von Theaterleuten passt eher zu ihrer Arbeitsweise.

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Mit Eva Trobisch betritt eine neue Generation die Filmszene, in den Fußstapfen von Regisseurinnen wie Maren Ade, Valeska Grisebach, Asli Özge oder Nicolette Krebitz. Die Offenheit der Bilder, die beiläufige und doch komplexe Art des Erzählens, die Lakonie, der gelegentliche Zynismus der Heldin erinnert an die Produktionen der Berliner Komplizen-Filmer um Maren Ade. Ulrich Köhler, auch einer von ihnen, hat Trobisch beraten.

MeToo? Als die Debatte vor einem Jahr losging, saß Trobisch im Schneideraum. „Der Kampf gegen den Themenfilm war damit gewissermaßen eröffnet“, sagt sie. Zumal die Vergewaltigung – strafrechtlich trifft die Vokabel zu – zunächst nicht im Drehbuch stand. Eigentlich ging es um zwei Paare, um Janne und Piet und um den Verlagschef und seine neue Ehefrau, die ein Kind will. „Wenn die älteren Kinder nicht mehr mit einem reden, muss man halt neue machen“, sagt Robert.

Ein trauriger, ätzender Satz. Seltsamerweise versteht man den Mann, erlebt sogar Martin mit seinem schlechten Gewissen als beinahe sympathischen Täter. Eva Trobisch hat die Geschichte aus allen Perspektiven einmal geschrieben, vielleicht spricht sie deshalb von ihren Figuren, als seien es reale Freunde oder Kollegen. Und vielleicht resultiert aus den vielen Blickwinkeln eben deshalb eine klare Erzählhaltung. Ihre Ausgangsfrage: „Ich entscheide, was die Dinge mit mir machen: Lässt sich das unter allen Umständen durchhalten?“ So kamen die 90 Sekunden schlechter Sex ins Spiel. Der Missbrauch als extremste denkbare Probe aufs Exempel, als radikale Grenzverletzung.

Die Kultur des Aufräumens verhindert eine offene Diskussion

Die MeToo-Debatte findet Trobisch grundsätzlich wichtig. „Aber mich stört die Kultur des Aufräumens, das Frontendenken. Männer und Frauen müssen gemeinsam darüber nachdenken.“ Sie wünscht sich mehr Differenzierung. „Eine Vergewaltigung ist nicht dasselbe wie ein ’Du hast aber einen hübschen Hintern’-Spruch im Kopierraum. Mein Film formuliert auch Zweifel an der Behauptung, dass es den einen, richtigen Umgang mit einem sexuellen Übergriff gibt. Es gibt auch die freie Entscheidung der Frau.“ Selbst mit einem Mann schlafen, um im Job weiterzukommen, sei eine Entscheidung, die man treffen könne. Pauschale Antworten auf individuelles Erleben, auch das sei übergriffig.

Da kommt eine junge Regisseurin und bricht das MeToo-Raster auf. Trobischs Film benennt die unauflöslichen Paradoxien, die Zumutungen des freien Willens. Sie klopft auf den Holztisch: „Ich persönlich habe keinen strukturellen Machtmissbrauch in der Filmbranche erlebt. Aber natürlich fand ich als Praktikantin den Regisseur toll und habe alles dafür getan, dass er auch mich toll findet.“

Ihre Heldin zerbricht fast vor lauter freiem Willen. Es wird einem angst und bange um Janne, um ihre kräftezehrende Selbstbehauptung. Momente der Verschiebung schleichen sich ein, „Nein heißt Nein“ wird zur Übersprunghandlung. Am Ende hält Janne inne. Hier die Opfer, da die Täter: Neben diesem Raster öffnet sich ein Raum der Menschlichkeit.
In den Berliner Kinos Delphi, Delphi Lux, FT Friedrichshain, FSK, Passage

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