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Kultur: Bochumer Schauspielhaus: Kunst statt Kohlezüge

Herr Hartmann, Herr Oberender - wer avanciertes Theater machen will, geht in die Metropolen. Was in aller Welt wollen sie in der Provinz?

Herr Hartmann, Herr Oberender - wer avanciertes Theater machen will, geht in die Metropolen. Was in aller Welt wollen sie in der Provinz?

Hartmann: Wir wollen hier nicht Theater für Berlin oder München zeigen. Und auch nicht im Wettstreit zu dort. Wir wollen Theater machen. Und dafür haben wir in Bochum einen hervorragenden Humus. Oberender: Es gibt ja auch einen Vorteil der so genannten Provinz. Es fehlen die Profilierungszwänge der Theater der Hauptstadt. Zugleich aber ist Bochum eben kein Provinztheater, sondern war immer von überregionaler Bedeutung. Der Mythos ...

...von Zadek, Peymann, Haußmann, die Ihre Vorgänger waren ...

Oberender: Der Mythos des Hauses ist intakt - und entsprechend hoch der Anspruch. Dennoch ist die Arbeitssituation hier entspannter als in den Metropolen.

Kann man sich in Bochum mehr ausruhen?

Hartmann: Keineswegs!

Oberender: Das Haus wird ganz anders getragen. Die Stadt Bochum klebt Plakate mit dem Slogan: Wir machen Theater! Undenkbar in Berlin.

Hat Berlin auch nicht nötig.

Oberender: Stimmt. Aber hier stellt das Theater ein anderes Moment der Identifikation dar.

Hartmann: Ich wollte einen Ort, an dem ich meine Arbeit wieder als künstlerische Recherche begreifen konnte.

Bochum ist eine Stadt von nicht einmal 500.000 Einwohnern, sein Schauspiel ein Stadttheater wie viele andere. Warum muss es darüber hinaus auch noch so etwas wie ein Avantgarde-Theater sein?

Hartmann: Natürlich wollen wir eine tonangebende Rolle spielen. Aber es geht nicht darum, das alte Instrument "Ensembletheater" nun in eine Projektbühne zu verwandeln. Wir setzen auf junge Regisseure, Autoren und Schauspieler, die dieses Instrument erneuern und mit den Erfahrungen unserer Generation kurzschließen. Das Bochumer Publikum ist in dieser Hinsicht durchaus verwöhnt und anspruchsvoll.

Was hat den jungen Autor Thomas Oberender gelockt, von Berlin weg zu gehen?

Oberender: Der Mythos Bochum ...

Hartmann: ... "tief im Westen" ...

Oberender: ... zeigt sich auch durch eine besondere Form der Anteilnahme, der ich beim Einkaufen oder bei der Wohnungssuche begegne, wenn ich sage, ich arbeite am Schauspielhaus. Der Theaterberuf ist hier ein Würdeberuf geblieben. Natürlich ist die Theaterliebe der Bochumer bei zuletzt 37 Prozent Platzauslastung ziemlich erkaltet. Das Privileg des Neustarts muss sich also auch statistisch bewähren. Als Autor und Dramaturg reizt mich der Punkt Null, an dem ich hier einsteige. Hier gibt es einen "Westen", den es in Berlin nicht mehr gibt. Auch das verlockt.

Hartmann: Wenn 65 Prozent des Kulturetats einer Stadt in ihr Theater fließen, dann gibt es entweder Hass oder Stolz. Hier hat man sich für den Stolz entschieden. Es ist ja auch ein Risiko, das die Stadt Bochum mit mir als einem vergleichsweise jungen Theatermacher eingeht. Ich merke aber überall starke Neugier. In vielen großen Städten ist man sich einfach zu fein, etwas zu mögen.

Kann in Bochum wirklich besser Theater machen als in München oder Berlin?

Hartmann: Auf jeden Fall. Wegen der direkteren und unverbildeteren Art jenseits aller schnellen Moden, in denen sich die Menschen in den großen Städten polarisieren lassen - etwa für oder gegen Castorf. Eine Fähigkeit der Bochumer, die man mit der des Burgtheater-Publikums in Wien vergleichen kann.

Oberender: Mich freut, dass man das Land, jetzt da die Kohlezüge nicht mehr fahren, nochmal mit Kunst aufheizt.

Wie aber heizen Sie den zuletzt bei Haußmann schon etwas ermüdeten Theaterliebhabern wieder ein? Mit bemerkenswert vielen Klassikern setzen Sie offenbar aufs Bewährte.

Hartmann: Es geht nicht um Konzessionen ans Publikumsinteresse. Wenn das Theater nicht von innen brennt, lässt es auch die Besucher kalt. Wir spielen zwar Schiller, aber eben seine selten gespielte Komödie "Der Parasit". Mit Dostojewski, Gorki und Bruckners Adaption eines Kleist-Stoffes begegnen dem Publikum große Namen, aber nahezu unbesetzte Werke. Und wir haben sieben Uraufführungen zeitgenössischer Autoren im Spielplan. Das Bewährte ist für uns etwas, an dem sich auch das Theater und die Zuschauer bewähren müssen. Für Shakespeare brauchen wir noch Zeit.

Auf den ersten Blick sind Sie beide sehr unterschiedliche Theatermenschen: Oberender der eher grüblerische Denker und Poet, Hartmann der sehr versierte, könnerische Macher. Gibt es zwischen Ihnen beiden eine gemeinsame Theatervision?

Hartmann: Absolut. Darüber haben wir uns gefunden.

Oberender: Es gibt eine emphatische Brücke zwischen uns, das ist die Bewunderung für Botho Strauß. Ich habe Matthias Hartmann über seine 1998 auch beim Berliner Theatertreffen gezeigte Inszenierung von "Der Kuss des Vergessens" kennen gelernt. Und jemand wie Strauß ist nun mal ohne eine komplexe Theater-Philosophie nicht zu denken.

Hartmann: In Thomas Oberender habe ich jemanden gefunden, der meine Sehnsucht, mit Theater umzugehen, versteht und immer wieder auf den Prüfstein stellt.

Was macht denn Matthias Hartmann für ein Theater, Herr Oberender?

Oberender: Seine Musikalität und moderne Art der Bühnenschönheit gefallen mir. Es ist ein Theater, das Kraft hat.

Hartmann: Was Oberender und mich verbindet, sind vornehmlich die inhaltlichen Fragen: Kann Theater noch an eine politische Bewegung oder Weltanschauung appellieren? Oder wird es gerade da politisch, wo es auf andere Kräfte schaut, die der Geschichte und des Herzens nämlich. Es gibt auch eine Politik der Formen.

Das heißt, die Ästhetik ist das Politische?

Hartmann: In der Art und Weise, wie Menschen beim Zuschauen berührt und verändert werden, liegt erst einmal die heiligste politische Pflicht des Theaters. In den vielen Diskussionen mit Thomas Oberender ist eine zusätzliche Dimension hinzu gekommen, die Suche nach einem anderen Ton im Theater: der Versuch, eine Form von unpathetischem Pathos zu begründen, die Gratwanderung zwischen Selbstverständlichkeit und Poesie. Wir arbeiten aus unserem Lebensgefühl, das sich aus den Schnittmengen von ernster Musik und intelligenter Popmusik speist, und hoffen, dass es sich überträgt.

Also weiterhin, wie bei Haußmann, Rockmusik im Bochumer Theater?

Hartmann: Wie altmodisch müssen die Kids Theater finden, damit sie Rockmusik dort für ein modernes Zeichen halten? Ich halte also diesen Weg für anbiederisch und falsch.

Die Partys, für die das Bochumer Theater unter Haußmann berühmt war, werden nicht mehr stattfinden?

Beide: Oh doch!

Hartmann: Aber wir wollen das Theater auch auf eine andere Weise entgrenzen und zu einem Lebensort machen. Es gibt ein Lesecafé, in dem unsere Textbücher ausliegen. Und wir werden einen "Theater-Oscar" für die beste Aufführung verleihen.

Sie, Herr Oberender, kommen ursprünglich aus dem tiefen Osten, Jena. Sie, Herr Hartmann, aus dem tiefen Westen, Osnabrück. Gibt es keine Konflikte zwischen Provinz-Ossi und Provinz-Wessi?

Hartmann: Er ist westlicher als ich!

Oberender: Ich hoffe doch!

Hartmann fährt Porsche. Und Sie?

Oberender: Fahrrad!

Hartmann: Ich neige manchmal dazu, in gefährdeten Momenten zu ideologisieren und schaffe mir Weltkonzepte. Das relativiert Thomas, weil er in einer Diktatur aufgewachsen ist und eine andere Form der Skepsis hat.

Herr Hartmann[Herr Oberender - wer avanciertes Th]

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