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Kurvig. Luigi Colanis Sessel-Plastik (1965) korrespondiert mit Peter Behrens „Der Kuss“ (1898).

© Colya Zucker

Luigi Colani und Jugendstil: Boliden brauchen Bildhauer

Natürlich futuristisch: Das Berliner Bröhan-Museum konfrontiert den Designer Luigi Colani mit dem Jugendstil.

„Ich bin ein Bildhauer, und kein ganz schlechter“ – um markige Sprüche war der in Berlin geborene Designer Luigi Colani nie verlegen. Seine Entwürfe sollten „Arschtritte, Backpfeifen, Schmähungen für die Industrievorstandsetagen“ sein. Für Fotos posierte er auf phallischen Boliden mit Playboy-Schnauzer und Schlaghose bis das großspurige Auftreten seine zukunftsweisenden Entwürfe in den Schatten stellte.

Das Bröhan-Museum befreit jetzt Colanis Objekte von der Selbstdarstellung des Designers. Die prächtige Ausstellung „Colani und der Jugendstil“ mit Leihgaben aus der privaten Sammlung Gerd Siekmann bindet die organischen Formen historisch ein. Gleichzeitig verändert die Gegenüberstellung den Blick auf die Exponate des Museums.

Luigi Colani hat sich selbst auf den Jugendstil bezogen. In den 70er Jahren ließ er sich vom späteren Museumsgründer Karl H. Bröhan durch dessen Sammlung führen. Wie die Künstler des Jugendstils signierte Colani seine Entwürfe.

Er nannte sich Designer und machte das Wort in Deutschland überhaupt erst populär. 1928 als Lutz Colani in Berlin geboren, studierte er erst Bildhauerei an der Hochschule der Künste, dann Aerodynamik an der École polytechnique in Paris. In der französischen Hauptstadt bewunderte er die berühmten U-Bahneingänge von Hector Guimard. In der Ausstellung ist nicht nur ein Métro-Gitter zu sehen.

Da liegt auch ein Türknauf von Guimard neben einem Joystick von Colani. Die Verwandtschaft ist augenfällig, beide Objekte schmiegen sich in die Hand. „Ich möchte nicht für jedes Ding eine neue Hand gestalten müssen“, formulierte Colani seine Philosophie.

Natürliches Leben in futuristischer Abstammung

Im Bröhan-Museum sind viele dieser optischen Überraschungen zu erleben. Wie die Künstler des Jugendstils war auch Colani in seinen Formen ein großer Verführer. Da korrespondiert Colanis geschweifter Kunststoffstuhl harmonisch mit dem Motiv „Der Kuss" von Peter Behrens.

Sein blauer Kinderhocker Ringnor wirkt wie ein Nachfahre von Richard Riemerschmids Armlehnstuhl für die Dresdner Werkstätten. Die Gegenüberstellung legt die Gene frei und macht auch die gedankliche Verwandtschaft sinnfällig – die Beziehung zu den Formen der Natur. „Neunzig Prozent Natur, zehn Prozent Colani – höchstens" lautete die Formel des Designers.

[Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a, bis 24. 1., Di-So 10-18 Uhr]

In seinem visionären Buch „Ylem“ entwickelte Luigi Colani 1971 ein Modell für ein künftiges, ein natürliches Leben in futuristischer Anmutung. Das Manifest erschien als Loseblattsammlung in einem feuerwehrroten Kunststoffkoffer. Wie ein Pilz steht das Haus der Zukunft in einer steinigen Landschaft.

Sehnsucht nach Natur

Küche, Schlaf- und Badezimmer sind als Kugelräume übereinander angeordnet. Colanis Bäder sind Wellness-Oasen, mit samtenen Couchelementen, Tauchbecken und Fitness-Geräten. An die Grenzen des Geschmacks stößt ein curryfarbenes Doppelwaschbecken.

In seinem Spiegel glänzt allerdings Henry van de Veldes Kerzenleuchter vollkommen modern. Colani wollte das Badezimmer befreien von steriler Zweckmäßigkeit und den Raum für sinnliche Erlebnisse öffnen bis hin „zu Toiletten für ein lustvolles sich Entleeren“.

Die Sehnsucht nach der Natur entsprang der Erfahrung industrieller Beschleunigung. Bei Hector Grimaud war es noch die U-Bahn. Luigi Colani träumte von Flugzeugen und realisierte windschnittige Autos. Er entwarf eine Karosserie, die der Käufer selbst auf das Chassis eines VW montieren konnte, als Käfer im Formel1-Mantel.

Berückend zart wirken die Skizzen zu diesen Objekten. Den weißen Zeichnungen auf schwarzem Grund wohnt ein Drehmoment inne, ein Schwung, der an die Skulpturen von Tony Cragg erinnert. Da führt Colani Natur und Geschwindigkeit zusammen.

Der feine Jugendstil erweist sich neben der farbberauschten Aerodynamik als überraschend robust. Die Ausstellung erinnert daran, dass der Aufbruch der Jugend aus einer Revolte hervorging.

Eine sehr konzentrierte Ausstellung

In den letzten Jahren hat das Bröhan-Museum immer wieder behutsam sein Themenspektrum ausgeweitet und dabei neue Verbindungen zu seinen Wurzeln, der eigenen Sammlung, hergestellt. Zeitgleich zu „Colani und der Jugendstil“ ist jetzt eine sehr konzentrierte Ausstellung mit Arbeiterfotografie der 1920er Jahre zu sehen.

Sie knüpft an den sozialkritischen Aufbruch der Berliner Secession an. Kurt Pfannschmidt in Leipzig, Richard Woike und Ernst Thormann in Berlin waren in der Weimarer Republik Mitglieder der Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands.

Ernst Thormann beobachtet barfüßige Kinder, die auf der Straße Pappkartons einsammeln oder Karren ziehen. Der Filmemacher Peter Badel hat den Nachlass des Fotografen übernommen samt Kamera und Dunkelkammer-Utensilien.

Filmisch erzählte Geschichte

Weil die Ausrüstung damals kostspielig war, folgten nur wenige dem Aufruf der kommunistischen Arbeiter Illustrierten Zeitung, Aufnahmen ihrer eigenen Situation einzusenden. Schwierig war das auch, weil die Fotografen entweder selbst arbeiten mussten oder die Arbeiter sonntags im Anzug spazieren gingen.

Besonders sicher, ruhig und schnell war Richard Woike. Er erzählt seine Geschichten filmisch, im Wechsel von Nahaufnahme und Totale. Da rückt er bei der Volksspeisung groß die abgestoßene Emailleschüssel mit der Makrele ins Bild. Daneben zeigt er eine alte Frau, die auf der Treppe sitzt, und die Schüssel auslöffelt.

Die Obdachlosen im Rinnstein fotografiert Woike mit dem anteilnehmenden Blick des Straßenfotografen. Und – erschreckend – die Bilder von den zusammengesunkenen Männern auf der Parkbank könnten auch heute aufgenommen worden sein. Aber wer schaut hin?

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