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Die Schauspieler Karl Glusman und Aomi Muyock als Liebespaar in Gaspar Noés neuem Film "Love".

© Gaspar Noé

Bonjour Cannes (10): Der Himmel überm Lotterbett

Ist das jetzt ein 3D-Porno, oder doch eher ein unfreiwillig komischer Liebesfilm? Skandalregisseur Gaspar Noé stellt in Cannes seinen neuen Film „Love“ vor.

Der Held heißt Murphy, und damit das Publikum über den Namenswitz nicht im Unklaren bleibt, wird Murphys Gesetz schon früh in leinwandfüllenden Lettern eingeblendet: „Alles, was schiefgehen kann, geht auch schief.“ Auf Gaspar Noés „Love“ angewendet, seinen ersten Film seit „Enter the Void“ (2009), lautet Murphys Gesetz so: Ein Skandal mit Ansage ist bloß ein Skandal mit Ansage. Also: keiner. Und wird weggeguckt und durchgewinkt.

Tatsächlich hatten sich die liebesabenteuerlustigen französischen Kinofans und die hochseriöse, in Cannes versammelte internationale Filmkritik den außer Konkurrenz laufenden „3D-Porno“ eifrig im Kalender vorgemerkt. Ebenso tatsächlich agiert, wie in den sozialen Netzwerken vorab breit beraunt, in einer kurzen Szene ein dem Publikum entgegengereizter Penis in Großaufnahme inklusive Ejakulation, wobei die Kamera unter dem Körperflüssigkeitsbombardement hoffentlich keinen bleibenden Schaden genommen hat.

Sex, drugs'n'Liebesschmerz

Ansonsten aber will „Love“, worauf nicht zuletzt der explizite Titel hindeutet, mit seinen zahlreichen eher soften Sexszenen zuallererst als Liebesfilm verstanden sein. Genauer: als Chronik einer unter extremen Lustschmerzen erinnerten Liebe. Filmstudent Murphy (Karl Glusman) hat zwar mit der sehr jungen Omi (Klara Kristin) bereits einen zweijährigen Sohn namens Gaspar, trauert aber dramatisch seiner Ex Electra (Aomi Muyock) nach, die seit Wochen für alle Welt verschollen ist. Das Paar, einst den Drogen mindestens so sehr wie den gemeinsamen sexuellen Experimenten zugetan, hatte sich zwar zuletzt gründlich auseinandergekämpft - aber, so grübelt Murphy in seiner Kleinfamilienhölle, es wird doch nicht Selbstmord aus unauslöschlicher Liebe gewesen sein?

Verschlungene Zungen: Szene aus "Love" von Gaspar Noé.
Verschlungene Zungen: Szene aus "Love" von Gaspar Noé.

© Gaspar Noé

Dabei haben Leben und Lieben und Arbeiten - oder zumindest Murphys vages berufliches Zukunftsszenario - zu Beginn so famos ineinandergepasst. Einen legendären Churchill-Spruch leicht abwandelnd, will er Filme mit „Blut, Sperma und Tränen“ machen und singt bei jeder Party-Gelegenheit in Anwesenheit leicht beeindruckbarer Mädchen ein Hohelied auf die „sentimentale Sexualität“. Auch Electra mag sowas, und so hängt der Himmel überm Lotterbett mal voll jaulender E-Gitarren, mal voller Spinette, auf denen zum Sex allerlei geschmackvolle Barock-Petitessen gezupft werden. Blöd bloß, wenn den so heftig Liebenden auf der Club-Toilette oder im Vernissage-Gästeklo andere Vornamen hand- und schwanzfest dazwischen kommen, zum Beispiel der smarte Galerist Noé.

Gaspar Noés bislang persönlichster Film

Ein Kind namens Gaspar, ein Rivale namens Noé: „Love“ ist, kein Zweifel, Gaspar Noés bislang egomanischster, pardon: persönlichster Film. Kein Schocker wie „Irréversible“ von 2002, über dessen Vergewaltigungsszene mit Monica Bellucci damals ganz Cannes aus dem Häuschen war. Kein visuelles Abenteuer wie „Enter the Void“ mit seinen abenteuerlich langen Kamerafahrten und dem mysterösen Tokioter Love Hotel; dessen Modell steht in „Love“ nur noch als postmoderne Ritterburg auf dem Regal. Nein, hier regiert die unverstellte Bekenntnislust, eine wilde Liebesfeier und Liebesaustreibung, die anrührend sein könnte, wenn sie nicht meist so unfreiwillig komisch wäre.

Sonst noch was? Weil Murphy Amerikaner ist und Electra unbestimmbarer Herkunft, wird zwar Englisch gesprochen, Schauplatz aber ist durchweg Paris. Einmal geht's sogar aufs Polizeirevier: Murphy muss sich nach einer heftigen Handgreiflichkeit vom diensthabenden Oberkommissar - gespielt von keinem Geringerem als dem „Love“-Produzenten Vincent Maraval - über die libertäre französische Lebensweise aufklären lassen, späterer gemeinsamer Besuch im Swingerclub inklusive. Und noch später, als nach fast zweieinhalb Stunden das Electra-Liebesabenteuer restlos ausgeflackert ist, heult Murphy sich ausgerechnet bei seinem kleinen Sohn in der Badewanne aus: „Life is not easy!“ Schwamm drüber.

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