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Yulia Deyneka gratuliert Aribert Reimann. Rechts Daniel Barenboim

© Peter Adamik

Boulez Saal: Muezzin trifft Scheherazade

Saisonfinale im Berliner Pierre Boulez Saal: Eine Uraufführung von Aribert Reimann mit Daniel Barenboim, Yulia Deyneka und Eric Jurenas

Ein lauer Sommerabend in der Musikmetropole Berlin: Auf dem Weg vom S-Bahnhof Brandenburger Tor zum Pierre Boulez Saal trifft man erst auf die Menschentrauben, die vor der Komischen Oper auf den Beginn von „My Fair Lady“ warten. Ein paar hundert Meter weiter eilen Scharen weiterer Kulturbürger über den Bebelplatz zur Staatsoper, wo gleich Glucks „Orfeo ed Euridice“ beginnt. Drüben im Konzerthaus hat zwar am Sonntag schon die Sommerpause begonnen – auf dem Gendarmenmarkt aber bauen sie die Tribünen auf fürs „Classic Open Air“-Festival, das am heutigen Donnerstag startet. Und der Boulez Saal, dieses Anatomische Theater, bei dem sich das Publikum wie die Medizinstudenten im Kreis versammelt, um live dabei zu sein, wenn unten in der Mitte Musik seziert wird, ist auch zum letzten Saisonkonzert ausverkauft, wie so oft.

Am Montag hat Daniel Barenboim noch die letzte, umjubelte Aufführung von „Macbeth“ mit Anna Netrebko und Placido Domingo dirigiert, jetzt sitzt er am Flügel, um das neueste Werk von Aribert Reimann aus der Taufe zu heben. Goethes West-Östlichen Diwan hat sich der 82-jährige Komponist vorgenommen – was läge auch näher, wenn man einen Kompositionsauftrag von der Barenboim-Stiftung erhält. An die bekanntesten, bereits von Kollegen wie Franz Schubert vertonten Gedichte mochte Reimann sich allerdings nicht heranwagen. Lieber hat er nach Fragmenten und Entwürfen aus dem Nachlass geforscht.

Hauptdarstellerin in diesem Kaleidoskop ist die Bratischstin

Und weil er sich erinnerte, wie ihn beim Jerusalem-Besuch 1975 der Ruf des Muezzin beeindruckte, vertraute er Goethes Gedankensplitter einem Countertenor an – auf dass er sie „wie ein Evangelist“ vortrage, „ohne Gefühlsbelastung“. Eric Jurenas tut das bei der Uraufführung mit raumgreifenden Trompetentönen.

Seine mäandernden Vokallinien werden von abstrakt- perkussiven Interventionen des Klaviers begleitet. Die Hauptrolle in dem „Sinnig zwischen beyden Welten“ betitelten Zyklus’ aber spielt Yulia Deyneka. Weil die Solo-Bratscherin der Staatskapelle auf ihrem Instrument so eloquent erzählen kann, wird sie in diesem orientalischen Kaleidoskop zu einer Schwester der Scheherazade. Mal lässt sie ihre warme Violastimme lieblich und einschmeichelnd klingen, mal leidenschaftlich-ruppig – und selbst das Flirren der heißen Wüstenluft vermag sie mit dem Bogen einzufangen.

Ungemein spröde wirkt dagegen, wie Michael Barenboim und Kian Soltani Ravels Sonate für Violine und Violoncello exekutieren. Da wird nicht der geringste Versuch unternommen, das Publikum anzusprechen, mitzunehmen. Ganz nach innen ist der Interpretenblick gerichtet, der Hörer vermag nicht einmal zu ergründen, ob die beiden wenigstens selber Spaß an der Sache haben.

So kann auch keine wirkliche Kommunikation mit Daniel Barenboim in Beethovens Klaviertrio Opus 70/2 gelingen. Was für ein Kontrast: Die Jungen spielen nur die Noten, der Maestro aber spielt das Stück – mit Verve, Gefühl und auratischer Präsenz.

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