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Kultur: Bravo! Endlich!

Wieviel einfacher war es doch, während des Kalten Krieges ein französischer Intellektueller zu sein! Die Welt zerfiel übersichtlich in zwei Teile, einen schwarzen und einen weißen.

Wieviel einfacher war es doch, während des Kalten Krieges ein französischer Intellektueller zu sein! Die Welt zerfiel übersichtlich in zwei Teile, einen schwarzen und einen weißen.Der schwarze Teil - das waren die Vereinigten Staaten und ihre Satelliten, der weiße die Sowjetunion, China, Nordvietnam, Kuba und, als das beim besten Willen nicht mehr ging, le tiers monde, die Dritte Welt.Damals hätten Luftangriffe von amerikanischen Bombern auf Jugoslawien, einen der Anführer der Dritten Welt, zu Massenaufmärschen und wütenden Protesten geführt.Jetzt sind sie - fast ganz - ausgeblieben.Seit den "ethnischen Säuberungen" in Kroatien und Bosnien hat Jugoslawien, der Verbündete in zwei Weltkriegen, bei den Franzosen alle Sympathien verspielt.Als im Juli 1995 das Gemetzel von Srebrenica bekannt wurde, riefen Regisseure und Schauspieler, unter ihnen Ariane Mnouchkine, in einer Erklärung zu militärischem Einschreiten auf.Auch die derzeitigen Lufteinsätze der NATO werden von der Prinzipalin des Theaters in der Cartoucherie - wo, wie der Name anzeigt, ursprünglich Munition fabriziert wurde - lebhaft begrüßt.

Damit ist sie in bester Gesellschaft.Auch die Philosophen Alain Finkielkraut, Bernard Henri Levy und André Glucksmann halten militärische Gewalt für die einzige Sprache, die Slobodan Milosevic versteht."Bravo! Endlich!", ruft Glucksmann der NATO zu."Die ethnischen Säuberungen zu legitimieren, wäre der moralische Selbstmord Europas." Er erinnert daran, daß das Kosovo erst seit 1913 - nach einem anderen Balkankrieg - zu Serbien gehört.Wenn Milosevic nicht einlenke, müsse man die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen.So denkt wohl auch die französische Regierung.Soeben hatte sie sich noch mit den Amerikanern über Kommandostellen gezankt.Jetzt nimmt Frankreich wie selbstverständlich an der NATO-Offensive teil.Premierminister Jospin schließt nicht einmal den Einsatz von Bodentruppen aus.Die Kommunisten in seinem Kabinett, die sich vom Luftkrieg distanzieren, läßt er gewähren.Sie haben sich auch vom Euro distanziert.Am Lauf der Welt geändert haben sie nichts.

Natürlich gibt es auch Intellektuelle, die gegen das NATO-Unternehmen protestieren.Sie stehen entweder den Kommunisten nahe oder der extremen Rechten.Es ist die alte Geschichte: Les extrêmes se touchent.Den Protestanten paßt die ganze Richtung nicht.Sie sind gegen die Globalisierung der Wirtschaft, gegen die Europäisierung Frankreichs und gegen die Amerikanisierung Europas.Zu ihnen gehört der rechtgläubige Gaullist Max Gallo, der sich vor den Zumutungen der Moderne am liebsten in die glorreiche Epoche Napoleons flüchtet, ebenso wie der Soziologe à la mode Pierre Bourdieu, der mit zwei Dutzend Gesinnungsgenossen dazu aufrief, die Bombenangriffe einzustellen und in der Nationalversammlung die französische Zusammenarbeit mit der NATO zu überprüfen.Statt des Westens sollten sich die Nachbarstaaten um eine Lösung des Konflikts bemühen.Es ist das Rezept, nach dem das Haus Wettin die Sachsen ihrem Schicksal überließ: "Macht euern Dreck alleene!"

Jean-François Kahn, der Herausgeber der Wochenzeitschrift "Marianne", ereifert sich über die Heuchelei, mit der sich Staaten, die ihren eigenen sezessionistischen Bewegungen mit Polizeigewalt entgegentreten, von den Amerikanern in einen Krieg zugunsten der Kosovo-Albaner ziehen lassen.Was derzeit auf dem Balkan vorgehe, sei ungefähr so, als fordere die "internationale Staatengemeinschaft" von Frankreich, im Elsaß 30 000 NATO-Soldaten zu stationieren, um dort die Autonomie zu überwachen.Auch Régis Debray wettert gegen die "europäischen Schlafwandler", die blind der "tugendhaften Einfalt Hollywoods" folgen.Die amerikanische Außenpolitik, manichäisch, impulsiv, gedächtnisschwach, sehe sich als Zuchtmeister aller Bösewichter auf Erden und Herrn über Leben und Tod "in einer Region, die leider an einem Übermaß von Gedächtnis krankt".Für das Selbstgefühl sei eine solche Außenpolitik gewiß sehr befriedigend, Probleme gelöst würden damit jedoch nicht: "Gute Absichten machen noch keine gute Politik." Jacques Attali warnt bereits vor einem Rachekrieg, den das gedemütigte Serbien eines Tages mit russischer Hilfe gegen Westeuropa führen werde.Aber hatte er in seinem dreibändigen Tagebuch ("Verbatim") nicht auch einen künftigen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich, eine ethnische Säuberung Amerikas und eine Anpassung der Fußballregeln an das Rugby prophezeit? Zumindest das letztere bleibt uns hoffentlich erspart.

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