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Ring frei! Dimitrij Schaad, Aleksandar Radenkovic, Mateja Meded und Taner Sahintürk (v.l.) auf der Bühne und im "Dickicht"-Video von Hannah Dörr.

© imago/Martin Müller

Brechts „Dickicht“ im Gorki Theater: Das Chaos ist aufgebraucht

Boxkampf der Vereinzelten: Sebastian Baumgarten bringt Brechts „Im Dickicht der Städte“ im Maxim Gorki Theater incognito auf die Bühne.

Kämpfe ohne Anlass sind in Berlin nichts Ungewöhnliches. Das weiß jeder, der schon mal Ringbahn gefahren ist. Vermutlich war das zu Brechts Zeiten nicht anders, aber sein Stück „Im Dickicht der Städte“ hat der Dichter trotzdem nicht in der Hauptstadt, sondern in einem fernen Fantasie-Chicago angesiedelt. Begründung: „Im deutschen Milieu wären diese Typen romantisch.“ Das konnte Bert Old Brecht bekanntlich nicht ertragen.

„Diese Typen“, das sind der malaiische Holzhändler Shlink und sein Wahl-Opfer George Garga, Angestellter einer Leihbibliothek. In die platzt Shlink quasi aus dem Nichts herein, mit seiner verhutzelten Entourage und einem unmoralischen Angebot: Gargas Ansicht über ein Buch will er kaufen. Für ein hübsches Dollarsümmchen. Der brave Simpel bleibt standhaft und wird im Fortgang der befremdenden Szene gefeuert. Ring frei! „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes“, stellte der Autor einer späteren Fassung seines Stücks mit der Begeisterung des passionierten Boxfans voran, „sondern beteiligen Sie sich an den menschlichen Einsätzen, beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish!“

Klettern in Miniatur-Plattenbauten

Am Maxim Gorki Theater folgt Regisseur Sebastian Baumgarten dieser Aufforderung ziemlich werktreu. „Dickicht“ ist seine Version des erstmals 1923 aufgeführten Stücks betitelt, „nach Brecht“. Vermutlich eine Vorsichtsmaßnahme, um die notorisch klagewütigen Brecht-Erben in die Schranken zu weisen. Höchstens mischt Baumgarten andere Lyrik unter, etwa das Gedicht „Verwisch die Spuren“ aus dem „Lesebuch für Städtebewohner“, das sein schwarzgewandetes Ensemble anfangs aus dem Dunkeln zischt: „Wer nicht dabei war, wer nichts gesagt hat, wie soll der zu fassen sein! Verwisch die Spuren!“ Dabei klettern die Spieler über Miniatur-Plattenbauten mit Fotofassade, die Robert Lippok auf die Bühne gestellt hat – King Kongs im Asphaltdschungel.

Die eigentliche Verfremdung aber ist ein „Dickicht“-Film mit den Gorki-Schauspielern (Video: Hannah Dörr), der als groteskes, Fassbinder-mäßiges Melodram stumm im Hintergrund läuft und von der Bühne aus live synchronisiert wird. Hier wie dort sind die Gesten ins Absurde vergrößert, die Grimassen lustvoll ausgestellt. Alles sehr episch eben. Das Ensemble beherrscht den Stil perfekt.

Thomas Wodianka als Shlink ist ein brillanter Mephisto, der unvermittelt aufzutauchen pflegt wie der zeitreisende „Doctor Who“ aus der britischen Kultserie, die hier anzitiert wird. Till Wonka gibt den arglosen Kontrahenten Garga mit der ungerichteten Wut des Überforderten, Ensemblegast Norbert Stöß vom Berliner Ensemble ist großartig unter anderem als verarmter, verhärteter Vater John, Dimitrij Schaad trumpft auf als sabbernder, verkrüppelter „Pavian“ mit unerwarteten Reflexionsblitzen. Die Frauen – Mateja Meded als Gargas Verlobte Jane und Lea Draeger als seine Schwester Marie – spielen ihre Parts der Entehrten, in die Prostitution getriebenen Brecht-Frauen geradezu Volksbühnen-stylisch, mit ruppiger Ironie und kratzbürstigem Furor. Auf der schauspielerischen Ebene ist dieses „Dickicht“ ein Vergnügen.

Nihilistisches Muskelspiel mit Abgehängten

Dass der zweieinhalbstündige Abend trotzdem hier und da durchhängt, liegt weniger an Sebastian Baumgarten. Dessen Regie hat eigentlich nur einen echten Ausfall. Nämlich als die Lynchmeute, die sich gegen den „fremdhäutigen“ Holzhändler Shlink formiert, mit Bildern von Angriffen auf Asylbewerberheime illustriert wird. Die Analogie wirkt erzwungen, schaut her, hier wird politisches Theater gespielt! Ein Holzhammer-Moment, zum Glück nur ein kurzer.

Vor allem aber ist das Stück – zu dem Brecht unter anderem von Rimbauds „Sommer in der Hölle“ und Johannes V. Jensens Trashroman „Das Rad“ inspiriert wurde – in seiner Sinnverweigerung gelegentlich etwas selbstgefällig. Brecht lässt die nihilistischen Muskeln spielen mit diesem Boxkampf der Vereinzelten, so luzide und kristallscharf er auch geschrieben sein mag.

„Sie haben nicht begriffen, was es war“, hält Shlink gegen Ende dem Garga vor, als der Holzhandel ein paar Mal den Besitzer gewechselt hat und die Trümmer der ruinierten Existenzen sich auftürmen. „Sie wollten mein Ende, aber ich wollte den Kampf. Nicht das Körperliche, sondern das Geistige.“

Was es war, das bleibt tatsächlich unbegreiflich. Und wenn Garga schließlich den berühmten Satz spricht: „Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit“, dann beschleicht einen die Ahnung, dass darin nicht mehr aufgeblasene Wahrheit steckt als in einer Boxbude auf dem Jahrmarkt.

Die nächste Aufführung findet am 30. März um 19.30 Uhr statt.

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