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Aida

© dpa

Bregenzer Festspiele: Beim Fuß des Pharao

Mit "Aida" auf der Seebühne und "König Roger" im Festspielhaus eröffnen die Bregenzer Festspiele.

Als der Bühnenbildner Paul Brown den Auftrag erhielt, für die Bregenzer Festspiele 2009 Giuseppe Verdis „Aida“ auszustatten, erinnerte er sich an die Verse von Percy Bysshe Shelley über den Ägypterkönig Ozymanidas. Der lässt zu seinen Ehren eine Monumentalstatue errichten, auf dass die Herrscher künftiger Generationen vor des Pharao Macht erzittern mögen. Vergeblicher Größenwahn: „Zwei mächt’ge Beine aus Stein, ohne Rumpf, steh’n in der Wüste“, heißt es in dem Gedicht, „nebenbei, halb verweht, zerschlagen, ruht das Gesicht im Sand.“

Shelleys Vergänglichkeitsvision haben Paul Brown und Regisseur Graham Vick an den Bodensee transferiert. Statt Wind und Sand sind es hier die Wellen, die das Symbol menschlicher Eitelkeit geschleift haben. Die Bregenzer Bühne ist auf ein Minimum der nötigen Spielfläche eingeschrumpft, von der 7000-Plätze-Tribüne blickt man auf zwei gigantische Füße, kobaltblau gestrichen und mit bronzenen Sternen übersät, wie der Bühnenbildner es in einem Pharaonen-Tempel in Karnak gesehen hat. Bruchstücke der Monumentalplastik liegen rings im Wasser verteilt. Die ärmlich gekleideten Menschen, die über breite Treppenstufen wuseln, schenken den Trümmern keine Beachtung, sie haben sich zwischen den historischen Resten, wucherndem Unkraut und Metallschrott eingerichtet. Das Ganze erinnert an Slums in Schwellenländern, an Elendsquartiere im heutigen Ägypten ebenso wie an verwahrloste Gegenden am Ufer des Ganges.

In diesem suggestiven, raffiniert Einst und Jetzt verknüpfenden Ambiente braucht Graham Vick seine „Aida“ nur noch abspulen zu lassen. Und der britische Regisseur tut es auf denkbar traditionelle Weise. Da wird mächtig mit den Armen gerudert, da ist jede Sängergeste vorhersehbar. Die szenische Kraft der Produktion, die in diesem und im kommenden Jahr rund 370 000 Besucher sehen können, resultiert daraus, dass hier nicht – wie in Bregenz seit 1946 üblich – ein „Spiel auf dem See“ stattfindet, sondern ein Spiel mit dem See. Besonders beeindruckend: ein hydraulisch bewegliches Holzfloß, das immer mal wieder in die Fluten abtaucht, und auf dem zu den Klängen des berühmten Triumphmarschs ein veritables Wasserballett stattfindet, ein feuchtfröhliches Wiedersehen der Soldaten und ihrer Bräute.

Boote gleiten lautlos herein, ein rätselhafter Ritus wird zelebriert, bei dem das Wasser auf mysteriöse Weise in sprudelnde Bewegung gerät, Radames lenkt einen überlebensgroßen, goldenen Elefanten, der auf einen Kutter montiert ist. Das alles würde für eine angemessen spektakuläre Bregenzer „Aida“ absolut ausreichen – doch Graham Vick und sein Team haben die Bilder der Vorgängerinszenierung im Kopf. Jener technisch spektakulären „Tosca“ nämlich, die mit ihrem gigantischen Big-Brother-Auge Bregenz auch bei Opernmuffeln bekannt gemacht hat, als Kulisse der ZDF-Berichterstattung von der Fußball-EM 2008, vor allem aber durch den jüngsten James-Bond-Film, bei dem der Bösewicht sieben Minuten durchs Festspielhaus gehetzt wird.

Dieses Quantum Weltruhm wollen nun auch die „Aida“-Macher einfahren und verfallen daher in Gigantomanie: Die zwei Baukräne, die sich rechts und links der Bühne 68 Meter hoch in den Himmel erheben, entzaubern in ihrer profanen Funktionalität nicht nur die Atmosphäre und stören die Musik mit nervigem Maschinengebrumm. Dass sie im zweiten Akt die beiden Gesichtshälften der Freiheitsstatue aus den Fluten bergen, ist ein ebenso überflüssiger Holzhammereffekt wie der finale Himmelflug von Aida und Radames in einer ägyptischen Barke. Um klarzumachen, dass die New Yorker Hafen-Lady gleichermaßen für die unbegrenzten Möglichkeiten wie für imperialistische Unterdrückung steht, bedarf es keiner 20 Tonnen schweren Requisiten, und die Vereinigung der Protagonisten „da oben“ wird in Verdis Schlussduett musikalisch viel ergreifender beschrieben als es jeder optische Gimmick vermag.

Zumal wirklich leidenschaftlich gesungen wird. Da ist Tatiana Serjans Aida, die mit furchtlos gesetzten Spitzentönen um die Liebe ihres Lebens kämpft, da ist die von Ehrgeiz durchloderte Amneris der Iano Tamar, das ist Iain Patersons charismatischer Amonasro, allesamt mit kapellmeisterlicher Fürsorge geleitet von Carlo Rizzi am Pult der Wiener Symphoniker. Allein Rubens Pelizzaris Radames irritiert durch sein Schwanken zwischen plattem tenoralem Geprahle und plötzlichem Stimmversagen.

Intendant David Pountney ist stolz darauf, in Bregenz mittlerweile neben dem massentauglichen Seespektakel ein beachtliches Rahmenprogramm anbieten zu können. Da gibt es Gastspiele des Theaters an der Josefstadt und des Schauspiels Köln, da leistet man sich unter dem Motto „KaZ“, Kunst aus der Zeit, eine Spielwiese für Experimentelles, schickt Komponisten ins Bregenzer Hinterland und kooperiert mit dem örtlichen Kabarett Freudenhaus bei einem „Liebesdienste“ genannten Dokutheater-Projekt, das die Lebensrealität von Prostituierten reflektiert.

Den Operetten-Akzent deckt die Opera North aus Großbritannien ab, mit einem sozialkritischen Triptychon aus Schostakowitschs Plattenbau-Komödie „Paradies Moskau“, Gershwins Musical „Of Thee I Sing“ über einen Präsidentschaftskandidaten, der den Wahlkampf mit dem Slogan „Love is sweeping the country“ gewinnen will, sowie der österreichischen Erstaufführung einer Schönheitschirurgie-Satire von David Sawer.

Den mutigsten Themenschwerpunkt aber setzt David Pountney mit einer Werkschau des polnischen Komponisten Karol Szymanowski (1882–1937). In Konzerten werden seine wichtigsten Orchesterstücke zu hören sein, im Festspielhaus inszeniert der Intendant höchstselbst die Oper „Krol Roger“. Szymanowskis Musik ist ein Amalgam aus deutscher Spätromantik und den Einflüssen archaischer Musikkulturen, die der Komponist bei ausgedehnten Reisen in den Mittelmeerraum kennengelernt hat. Sein 1926 uraufgeführtes Musikdrama spielt im Sizilien des 12. Jahrhunderts: Der Normannenkönig Roger sieht sich von einem als Hirten auftretenden Propheten bedroht, der mit seiner Lehre von der grenzenlosen Sinnlichkeit nicht nur das Volk, sondern auch Rogers Gattin betört. Mark Elder gelingt es mit den Wiener Symphonikern, Szymanowskis Partitur in ihrer ganzen faszinierenden Vielfarbigkeit so aufzufächern, dass die Sogwirkung dieses schillernden Stilgemischs über die 90 Minuten Aufführungsdauer nie nachlässt. Scott Hendricks trumpft als Roger mit einem wahrlich königlichen Bariton auf, Will Hartmanns Hirte setzt einen hellen, durchdringenden Tenor dagegen. Dazwischen steht Olga Pasichnyks Herrschergattin Roxane, lenkt ihre strahlenden Jubeltöne mal in die Richtung des einen, dann des anderen Mannes, um am Ende doch der Versuchung zu erliegen.

Die bühnenbreite Treppe, die Raimund Bauer geschaffen hat, sieht simpel aus – und entpuppt sich als magische Agora, deren Stufen sich lautlos bewegen und auf der Menschen unvermittelt versinken können, um andernorts wieder aufzutauchen. Packender noch als Pountneys Personenführung, die oft zu expressionistischer Überbetonung der Gestik neigt, ist die Lichtregie von Fabrice Kebour: klare, starke Farben, südliches Kalkweiß im ersten, nächtliches Azur im zweiten, endzeitliches Blassgrün im Finalbild, dazu ein virtuoses Spiel mit geometrischen Figuren.

Dass Pountney den Schluss umdeutet, den rattenfängerischen Propheten nicht mit dem Volk in die Zukunft ziehen lässt, sondern einen Sekten-Massenselbstmord inszeniert, ist diskutabel. Dass dieser musikalisch so berauschende, gedanklich so zeitlos gültige „Krol Roger“ zum Kernrepertoire aller großen Opernhäuser gehören sollte, nicht.

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