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Pierre Brice als Apachen-Häuptling in einer Szene des Karl-May-Films "Winnetou 3".

© picture alliance / dpa

Briefe von Schmidt und Wollschläger: Zwei Karl-May-Fans tauschen sich aus

Sie waren echte Nerd, die jedes Buch von Karl May in und auswendig kannten: Der Briefwechsel von Arno Schmidt und Hans Wollschläger.

Da haben sich zwei Käuze gesucht und gefunden. Arno Schmidt, einer der bedeutendsten und eigenbrötlerischsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur, weist am 10. August 1957 in der „FAZ“ Karl May einen Platz „in unserer Hochliteratur“ zu. Und Hans Wollschläger – ebenfalls Schriftsteller, aber berühmt vor allem für seine Übersetzung des „Ulysses“ von James Joyce – , liest den Artikel, schreibt an die Zeitungsredaktion und attestiert Schmidt entstellende „subjektive Hitzigkeit“. Die „Kontaktaufnahme“ entwickelt sich zu einem Dialog von knapp 800 Seiten. Schmidt antwortet Wollschläger unverzüglich und stellt fest, „daß wir es Beide gut mit May meinen“. Aus dieser Gemeinsamkeit wiederum erwächst ein komplexes, bisweilen phantastisches Schüler-Lehrer-Verhältnis, vielleicht sogar Freundschaft. Wollschläger (1935-2007) erkennt, dass er in Schmidt (1914-1979) seinen Meister gefunden hat.

Jahrzehnte hat es gedauert, bis die Edition dieses kuriosen Briefwechsels fertig wurde. Jetzt liegt sie vor, als leinengebundener Band 4 der Sektion „Briefe von und an Arno Schmidt“ der Bargfelder Ausgabe, eine herausgeberische Großtat und ein einzigartiges Dokument eines schriftstellerischen Austauschs.

Es geht auch um anderes als Karl May

Das zentrale Thema der ersten zweihundert, dreihundert Seiten ist Karl May. Vor allem ist die Rede von den Machenschaften des Karl-May-Verlags, dem es damals nicht um das literarische Werk des Bestseller-Autors geht, sondern darum, mit den Erfolgstiteln skrupellos Geld zu scheffeln. Schmidt und Wollschläger, der quasi als Dissident in dem Verlag tätig ist und seinem Briefpartner bald unter dem Siegel der Verschwiegenheit pikante Interna anvertraut, waren nicht einfach nur Liebhaber von Karl May. Nein, sie waren echte Nerds, die jedes Buch von May in unterschiedlichen Fassungen in und auswendig kannten. Das macht die Lektüre für Leser, die sich weniger für die Abenteuerromane mit Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi interessieren und weniger drastisch unter der „schmerzlich=fühlbare Textkorruption“ leiden, als es die beiden tun, zunächst etwas beschwerlich. Aber es lohnt sich, dran zu bleiben, geht es doch sukzessive auch um andere, spannendere Dinge. Vor allem um Schmidts Erzählungen und Romane von der „Gelehrtenrepublik“ bis zu „Zettel's Traum“, aber auch um Wollschlägers Anfänge als Autor und Schmidts Einsatz als Förderer. Denn Schmidt versucht, das große Prosa-Manuskript seines Adepten bei einem Verlag unterzubringen – aber vergeblich.

Es handelt sich hier um den in Vergessenheit geratenen Experimentalroman „Herzgewächse oder Der Fall Adams“, der in den fünfziger Jahren begonnen wurde, aber erst 1982 erscheinen konnte. Unter anderem enthält dieser eine psychologisch orientierte Auseinandersetzung mit dem Fauststoff. Der Briefwechsel liefert nun die Erkenntnis, dass Wollschläger den Teufel nach einem Mitarbeiter aus dem Karl-May-Verlag modelliert hatte.

Persönliches Dokument von hohem Wert

Intensiv tauschen beide sich über den Alltag und die Nöte eines freien Schriftstellers und auch die Arbeit des Übersetzens aus, speziell im Hinblick auf Edgar Allan Poe, dessen Gesamtwerk sie sich gemeinsam vornehmen. Es kommt zu persönlichen Begegnungen und Besuchen, und immer wieder geht es darum, dass der eine dem anderen über Beziehungen zu Antiquaren bibliophile Raritäten – Tieck, Schnabel, Wezel etc. – besorgt. Weitere Themen sind zum Beispiel Sigmund Freud, der im Kontext von Schmidts „Etym-Theorie“ eine Rolle spielt (in seinem Essay „Sitara und der Weg dorthin“ macht er sich auf die Suche nach versteckten Körperabbildungen in Karl Mays Landschaftsschilderungen). Oder es geht um den Maler und Grafiker Eberhard Schlotter, für den Schmidt eigens in die Rolle eines Kunsthändlers schlüpft, und natürlich um James Joyce, dessen Werk auf beide großen Einfluss hat.

Der Schriftsteller Arno Schmidt 1964

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Karl May gerät bei all dem nie aus dem Blick. Im Gegenteil, in einem Brief vom 25. Oktober 1961 geht Schmidt soweit, dass er aus Mays Silberlöwen-Tetralogie „buchstäblich manches für FINNEGANS WAKE gelernt“ haben will. Nach Schmidts Tod schreibt Wollschläger weiter an Alice Schmidt. Über seinen Briefwechsel mit ihrem verstorbenen Mann heißt es da: „Das Ganze wäre ein persönliches Dokument von hohem Wert und würde bestimmt viele Leser finden ...“ An Ersterem besteht kein Zweifel. Letzteres bleibt zu hoffen.

Arno Schmidt: Der Briefwechsel mit Hans Wollschläger Bargfelder Ausgabe. Briefe von und an Arno Schmidt, Bd 4, Suhrkamp, Berlin 2018, 1034 S., 68 €.

Tobias Schwartz

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