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Als sie sich noch nah waren: Christa Wolf (l) und Sarah Kirsch 1985 in Hamburg.

© Peter Peitsch / peitschphoto.com

Briefwechsel von Sarah Kirsch und Christa Wolf: Die Sanfte und die Strenge

Die Lyrikerin Sarah Kirsch und die Schriftstellerin Christa Wolf waren befreundet - bis 1990. Nun ist ihr Briefwechsel erschienen.

Zum Glück hat Christa Wolf den Rat ihres späten Freundes Günter Grass nicht befolgt: „Schreib keinen Brief / Brief kommt ins Archiv. / Wer den Brief schreibt, unterschreibt / was von ihm einst übrigbleibt.“ Nirgendwo erfahren wir so viel Authentisches aus dem Innenleben der DDR wie in ihren Briefen (und den Tagebüchern der Freundin Brigitte Reimann). Die Korrespondenz mit ihr und die mit Franz Fühmann hat sie 1995 noch zu Lebzeiten publiziert. Eine umfassende Auswahl von 483 Briefen aus sechs Jahrzehnten erschien 2016 posthum („Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten“).

Sabine Wolf, mit Heiner Wolf Herausgeberin des vorliegenden Briefwechsels mit Sarah Kirsch und Nachlasshüterin in der Akademie der Künste, zählt insgesamt 15.000 Briefe Christa Wolfs – ausführliche Korrespondenzen mit Leserinnen und Lesern eingeschlossen. Und, ausnahmsweise, mit Organen und Parteigewaltigen der DDR, wenn sie hoffte, etwas bewegen zu können. Nicht immer mit Erfolg: Ihre Unterschrift unter den Protestbrief gegen Biermanns Ausbürgerung kostete sie die Mitgliedschaft im Schriftstellerverband der DDR. Auch Mitunterzeichnerin Sarah Kirsch wurde als Vorstandsmitglied aus dem Verband ausgeschlossen und verließ 1977 die DDR, in die sie bis 1989 nur einmal zurückkehren konnte, übrigens nach einem Bittbrief Christa Wolfs an den Kultursekretär des Zentralkomitees Kurt Hager.

Christa Wolf verharrte, trotz Widerratens von Uwe Johnson und Siegfried Unseld. Nicht als „Staatsdichterin“, wie ihr das Jürgen Serke und Marcel Reich-Ranicki nach 1989 vorwarfen, aber bei Auftritten auf Westreisen „ihrer Rolle als Repräsentantin der DDR bewusst“, wie ihr Biograf Jörg Magenau einräumt. Dass sie dabei unter Selbstzweifeln bis hin zu Selbstmordgedanken litt, vertraute sie nur ihren Freunden Raissa und Lew Kopelew an. 1984 schrieb sie ihnen, nur ihr Reiseprivileg könne ihr das Bleiben erträglich machen.

Den vergifteten Dank des Regimes, den Nationalpreis 1. Klasse 1987, stiftete sie für subversive junge Autoren. Von Sarah Kirsch musste sie sich noch 2010 im Deutschlandfunk den nicht minder vergifteten Kommentar anhören, hätte sie selbst einen Nationalpreis bekommen, „hätte ich mich umbringen müssen, denn wer den Nationalpreis hatte, der war eigentlich gleichgeschaltet.“

Insofern schreibt Sabine Wolf im Nachwort mit Recht, seien die beiden „bis 1990“ befreundet gewesen. Der 1962 mit dem Ehepaar Wolf begonnene Briefwechsel endet 1992 mit einem Dementi Sarah Kirschs, „dass ich erzählen würde, Du wärst IM gewesen... Das Gerücht habe ich nicht gemacht, es war vor mir unterwegs, gab ja viele.“ In ihrer Stasi-Akte gebe es nur „üble Verrätereien“ des einst gemeinsamen Freundes Nikolaou, doch „kommst Du nur über Nikolaou vor, was der erzählt, was Du angeblich über mich sagst.“ Definitiver Abschiedsgruß: „Auweia! Sarah“.

Sie trennten sich über die Stasi-Debatte. Vorher überwiegen Einklang und Sorge

So muss es auch Christa Wolf empfunden haben, die eine letzte Antwort schuldig blieb. Vielleicht weil, wie sie 2010 in einem unter dem Titel „Umbrüche und Wendezeiten“ nun auf Buchlänge vorliegenden Interview mit Thomas Grimm bekannte, ihre Briefe „sehr unterschiedlich“ seien, „je nachdem, ob ich an eine enge Freundin schreibe, mit der ich mich auch mal lustig anpöbele, oder ob ich zum Beispiel einem Leser antworte oder einer Leserin.“ Da war auch für sie zwischen ihnen Schluss mit lustig.

Die Schriftstellerin Christa Wolf, 2010.
Die Schriftstellerin Christa Wolf, 2010.

© dpa/Rainer Jensen

Lustig genug lesen sich die 248 Briefe dennoch, ein Drittel von Christa und Gerhard Wolf, zwei Drittel von Sarah Kirsch, anfangs gemeinsam mit ihrem Ehemann Rainer Kirsch. Sabine Wolf nennt sie „Facetten der Freundschaft“, in denen allenfalls einmal leise Distanz anklingt, wie während Sarahs Rom-Aufenthalt 1979 in der Villa Massimo. Als Christa Wolf 1988 ernsthaft erkrankt, ist sie jedenfalls verflogen. Sie sorge sich, schreibt Sarah Kirsch an Gerhard Wolf, weil sie wegen des Umzugs der Familie nach Pankow ohne Nachricht sei und die neue Adresse verlegt habe.

Sonst überwiegen Einklang und Sorge umeinander, wenn Sarah Kirsch von ihren Liebesgeschichten – mit Karl Mickel als Vater ihres Sohnes Moritz und über die Mauer hinweg mit Christoph Meckel in Westberlin – berichtet und Christa Wolf nach dem Weggang der Freundin 1977 wunschträumt, sie richte der Zurückgekehrten in Ostberlin eine neue Wohnung ein.

Doch da wohnt Sarah Kirsch schon (und noch) in Westberlin, bevor sie an die Nordsee nach Tielenhemme am Eiderdeich zieht. Hier will sie „stets bloß Landleben leben und schreiben bei meinen Leuten, tue es so und alle haben sich daran gewöhnt, auch dieser sog. Lit.-Betrieb.“ Ihre Berichte vom Alltag mit Schafen und Kühen – und dem neuen Lebensgefährten, dem Komponisten Wolfgang von Schweinitz – verdrängen die politische Vergangenheit und Gegenwart.

Beide, Sarah Kirsch und Christa Wolf, haben den gemeinsamen Sommer 1975 erzählend verarbeitet

Umso gegenwärtiger werden die Erinnerungen an den gemeinsamen Sommer 1975 in Mecklenburg, den beide erzählend – Sarah Kirsch in „Allerlei-Rauh“ (1988) und Christa Wolf in „Sommerstück“ (1989) – noch einmal beschwören. Christa Wolf kündigt ihre Absicht dazu schon 1983 an, Sarah Kirsch bestärkt sie, das „Stück von Anno Toback“ solle sie „niemals ganz vergessen“, und erkundigt sich, „was Deine Lektorin sagt. Bei mir kommen auch so viele Personen drin vor, die alle beleidigt sein könnten.“

Die Lyrikerin Sarah Kirsch, hier am Elbedeich in Ottendorf bei Cuxhaven, 2006.
Die Lyrikerin Sarah Kirsch, hier am Elbedeich in Ottendorf bei Cuxhaven, 2006.

© Ingo Wagner/dpa

Auch Christa Wolf? Die versichert, „dass wir unsere Stimmen gegeneinander nicht mehr verstecken müssen, ist mir eine Freude.“ Sarahs Erzählung findet sie 1988 „sehr schön, dicht, poetisch genau“ und entdeckt einen „Untertext darin, den nur Du mitliest, ich fühle mich an keiner Stelle verletzt.“

Vielleicht aufgrund solcher Bedenken verzichtet sie anders als Kirsch auf Kenntlichkeit der erwähnten Personen wie ihrer Kollegin und Nachbarin Helga Schubert. „Lass sie man Dein Sommerstückchen zerreißen oder verloben“, dämpft Sarah ihre Bedenken bei Erscheinen, „wolln wir lieber Brennesseln im Zaum halten, dies sind wichtigere Tätigkeiten.“ Und natürlich die lyrische Produktion, für die Gerhard Wolf von Anfang an als Adressat in der gemeinsamen Korrespondenz gefragt ist.

Einmal antwortet Wolf der Lyrikerin Kirsch in Versen

1959 leitet er in Halle, ihrem damals gemeinsamen Wohnort, die Arbeitsgemeinschaft junger Autoren, an der Rainer und Sarah Kirsch teilnehmen. Für ihr gemeinsames Buch „Gespräch mit dem Saurier“ schreibt er ein Gutachten, in seiner Anthologie „Sonnenpferde und Astronauten“ (1964) druckt er Sarahs erste selbstständige Gedichte und bleibt ihr wohlmeinender Wegbegleiter bis zum Abbruch der Korrespondenz, der zumeist auch neue Gedichte Sarahs anliegen.

Die Prosaistin Christa lässt sich nur einmal hinreißen, auf einen gereimten Gruß Sarahs aus München in Versen zu antworten. Sabine Wolf diagnostiziert „zwei vollständig verschiedene Temperament“": an Sarah Kirsch „äußersten Rigorismus“, an Christa Wolf den „Wunsch nach Abwägen, Verständnis, Ausgleich“. Er musste wohl oder übel unerfüllt bleiben.
Sarah Kirsch, Christa Wolf: „Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt“. Der Briefwechsel. Herausgegeben von Sabine Wolf unter Mitarbeit von Heiner Wolf. Suhrkamp, Berlin 2019, 438 Seiten, 32 €.
Christa Wolf: Umbrüche und Wendezeiten. Herausgegeben von Thomas Grimm unter Mitarbeit von Gerhard Wolf. Suhrkamp, Berlin 2019. 142 Seiten, 12 €.

Hannes Schwenger

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