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Kultur: Brüderchen, lass dir mal in die Karten schauen

Das Kunstfest Weimar präsentiert in seinem 12. Jahr Schmunzeltheater aus Moskau und ist weiter auf der Suche nach sich selbst

Von Hartmut Krug

An einem Zeh der beiden nackten Füße, die sich auf allen Plakatwänden in Weimar ausstrecken, hängt ein Kärtchen mit der Warnung mind your steps. Ein Hinweis darauf, dass das diesjährige Kunstfest-Programm vor allem von Tanztheater-Gastspielen bestimmt wird. Doch man merkt in Weimars leeren Gassen nicht, dass die Festspielzeit angebrochen ist.

Im „congress centrum neue weimarhalle“, einem dieser gesichtslosen Stahl-Glas-Paläste, wie sie vielerorts in Ostdeutschland in die historischen Stadt-Kerne gesetzt worden sind, wird das Publikum auffallend herzlich begrüßt. Ein Breitwand-Bühnenbild präsentiert ein schäbig-schönes russisches Gasthaus des 19.Jahrhunderts. Der Wirt holt sich Gäste aus dem Publikum, um sie mit Witzen und Wodka zu bedienen. Oleg Menschikows so genanntes „Erlebnis-Theater“, die Teatralnoe Towaritschestwo 814, 1995 in Moskau gegründet, präsentiert sich erstmals in Deutschland.

Der Einakter „Die Spieler“ von 1842, Gogols letztes Stück, wird so gespielt, wie es der Untertitel verheißt: „als „Geschehnisse aus einer längst vergangenen Zeit“. Natürlich ist die Geschichte von den Falschspielern, die sich gegenseitig zu betrügen suchen, durchaus als Parabel auf heutige Moskauer Verhältnisse zu verstehen. Doch Menschikow, der nicht nur gemeinsam mit Galina Dubowskaja Regie geführt hat, sondern der auch einen der Spieler (mit auffällig variationsreichem Furor) spielt, vertraut auf die natürliche Durchlässigkeit des Stoffes.

Der Schauspieler, der mit Catherine Deneuve in „Est-Ouest“ zu sehen war und der für seine Hauptrolle im russischen Film „Die Sonne, die uns täuscht“ in Cannes preisgekrönt wurde, ist in Russland ein Star. Menschikow ist allerdings kein Bühnenrevolutionär. Er belebt altes Theater aus dem Geiste lebendiger Schauspielerei neu.

„Die Spieler“ sind kein psychologisch-realistisches Meisterstück, sondern eine etwas behäbig- geschwätzige Gaunerkomödie. Die sich in der choreographisch bewegten Moskauer Inszenierung zu einer Art bunter Typenkomödie entwickelt. Dabei wird mit vollem schau- spielerischen Einsatz immer direkt auf Publikumswirkung gespielt.

Eine folkloristisch gewandete Kapelle fiedelt sich durch die weiten Räume des Gasthofes und gibt den Schauspielern dabei die musikalische Grundierung zu pantomimisch-choreographischen Arrangements und fast operettigen Gesangseinlagen. Gespielt wird mit kräftiger Gestik und Mimik und mit Selbstironie. Das realistische Spiel der Darsteller ergänzt sich wunderbar witzig mit einer ausgestellten Vorspielerei, mit der sie Haus- und Stallgeräusche sicht- und hörbar selbst produzieren. Zum Schluss darf der betrogene Betrüger, den seine Kollegen Falschspieler in einer aufwändigen Betrugskomödie um sein Geld gebracht haben, mit hinzugefügtem Text anspielungsreich über Betrug und Selbstbetrug philosophieren.

Das gesellschaftliche Selbstverständnis der Falschspieler, die ihre Betrügereien als normal und notwendig ansehen, und die Figur eines korrupten Beamten mögen in Moskau vielleicht bitter-kritisch wirken. Beim Gastspiel in Deutschland empfindet der Zuschauer Gogols durchaus einfallsreich in (allerdings nur äußerliche) Bewegung gebrachtes Stück allenfalls als unterhaltsames Schmunzeltheater. Es verstört kein bisschen, und es regt weder auf noch wirklich an. Eine konzeptionelle Begründung für dieses Gastspiel beim Kunstfest Weimar könnte man allenfalls in der langjährigen Tradition russischer Gastspiele finden.

Das Kunstfest ist ein Nachwende-Projekt des damaligen „Bundesministeriums für innerdeutsche Fragen“ mit dem Ziel, „Weimar zur Versöhnung des deutschen Volkes mit sich selbst beitragen“ zu lassen. Nach dem Abgang seines langjährigen Leiters Bernd Kaufmann (der jetzt im brandenburgischen Schloß Neuhardenberg ein ähnliches, in Weimar oft umstrittenes Hochkulturprogramm der großen n erarbeitet), und nach dem Höhepunkt für Weimar als Kulturstadt Europas sucht das Kunstfest in diesem seinem 12. Jahr deutlich nach seinem künstlerischen und konzeptionellen Ort in und für Weimar. Mit einem auf 1,2 Millionen Euro heruntergesparten Etat kann man kaum ein von anderen Durchreise-Festivalorten unterschiedenes Programm machen.

Ein künstlerischer Beirat, in dem sich Bund und Land engagieren, will ab 2003 für einen Qualitätsschub sorgen. Für den künstlerischen Interimsleiter Ralf Schlüter wird unterdessen nach prominentem Ersatz gesucht. Die Namen des Allrounders Christoph Stölzl sowie der ehemaligen Berliner Festwochen-Mitarbeiterin Francesca Spinazzi (die bereits für das Tanzprogramm des Deutschen Nationaltheaters Weimar zuständig ist) werden genannt, und sogar von der streitbaren Nike Wagner ist die Rede.

Für wen aber das Kunstfest Weimar welche Kultur in die thüringische Kleinstadt an der Ilm holen soll - diese grundsätzliche Frage ist auch im 12. Festivaljahr noch immer nicht beantwortet.

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