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David Miliband (links), George Clooney und Amal Clooney bei einem Treffen mit syrischen Geflüchteten.

© Jeffry Ruigendijk/IRC/dpa

Buch über die Flüchtlingskrise: David Miliband, Europas möglicher Obama

137 Seiten über das Megathema, das Europa und Amerika bewegt. Der ehemalige Labour-Politiker David Miliband hat ein Buch über die Flüchtlingskrise geschrieben.

Von Caroline Fetscher

Als er kürzlich in der American Academy seine Thesen zur Flüchtlingspolitik vorstellte, war das Publikum so gespannt wie gebannt. David Miliband sprach über das Megathema, das Europa und Amerika zurzeit bewegt: 25 Millionen Menschen sind derzeit außerhalb ihrer Herkunftsstaaten auf der Flucht, 40 Millionen als Binnenflüchtlinge im eigenen Land. Klarmachen müsse man sich dabei, so Miliband, dass die allermeisten Flüchtlinge keineswegs im „Westen“ anlanden, sondern vor allem in den armen und ärmsten Ländern des Globus. Im Libanon etwa sind 25 Prozent der Bevölkerung Flüchtlinge, vor allem aus dem zerrissenen Syrien.

Miliband, Jahrgang 1965, war als Labour-Politiker in Großbritannien unter anderem Außenminister. Nach wie vor gilt der Hochbegabte vielen als Hoffnungsträger und möglicher Obama für Europa. 2010 hatte er den politischen Wettstreit um den Vorsitz der Labour-Partei knapp an seinen Bruder Edward verloren und wurde 2013 Präsident des International Rescue Committee (IRC) in New York. Das IRC, 1933 von Albert Einstein, gegründet, stand einst den von Hitler, Franco und Mussolini Verfolgten bei. Heute hat es 100 000 Mitarbeiter und auf Milibands Schreibtisch stapeln sich Akten zu Ländern, die Synonyme für Krisen sind: Myanmar, Bangladesch, Yemen, Syrien, Irak, Äthiopien oder Sudan.

Welche Schlüsse Miliband aus der humanitären Lage zieht, legt er jetzt kristallklar in einem 137-seitigen Buch dar, dem man bald einen deutschen Verlag wünscht (Rescue. Refugees and the Political Crisis of our Time, Verlag Simon and Schuster, New York 2017). Offen adressieren einleitende Passagen auch seinen politischen Werdegang, das Los der Labourpartei und die eigene Balance zwischen Idealismus und Pragmatismus.

Miliband ist Realpolitiker

Von der Epoche Einsteins unterscheidet sich die heutige Ära signifikant. Geflüchtete verbringen oft ein bis zwei Jahrzehnte in Lagern, die Hälfte ist unter 18 Jahre alt, 60 Prozent leben in Städten. Immerhin, so Miliband, ist die Forschung heute weitaus informierter über Traumata. Kinder, die erleben, dass das Elternhaus im Bombenhagel einstürzt oder Tote in den Straßen liegen, leiden unter „toxischem Stress“, der mentale und emotionale Fähigkeiten einschränkt. Heute weiß man, wie gezielte Programme die seelisch Versehrten fördern und Langzeitschäden verhindern können.

Miliband ist Realpolitiker. Er legt Wert auf die Unterscheidung zwischen Asylberechtigten, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, und denen die ausziehen, um ihr ökonomisches Glück zu suchen. Regierungen empfiehlt er, auf diese Trennlinie zu achten und sich vor Kontrollverlust zu hüten, um Akzeptanz bei der Bevölkerung zu erwirken. Wenn wir Flüchtlinge integrieren, so Miliband, retten wir nicht nur sie, „sondern auch uns“, unsere menschenrechtlichen Normen.

Beide Eltern waren Shoah-Überlebende

Zentral ist für ihn das Recht Geflüchteter auf Arbeit – nachweislich auch ein Gewinn für die Gesamtwirtschaft. Geldleistungen erweisen sich als sinnvoll, vor allem, wenn sie in die Hände von Frauen gehen: Familien werden schneller finanziell unabhängig, das zahlt sich makroökonomisch doppelt und dreifach aus. Eltern können beispielsweise Schulgeld entrichten. Erhält der Nachwuchs in Flüchtlingscamps keine Bildung, ist das der wichtigste Fluchtgrund für Eltern. Generell, so Milibands Erkenntnis, seien Zeltstädte und Sammelunterkünfte immer kontraproduktiv: „Flüchtlingslager sind Friedhöfe der Hoffnung!“ Das gelte vor allem dort, wo sie zu Slums verkommen.

„Die ersten Flüchtlinge, die ich jemals traf, waren meine Eltern“, schreibt David Miliband einleitend. Beide Eltern waren Shoah-Überlebende. Die Mutter wurde als Kind in Polen in einem Kloster versteckt, Vater und Großvater väterlicherseits entkamen nach der Besatzung durch die Wehrmacht 1940 mit dem letzten Schiff aus Belgien. In England fanden die Eltern Zuflucht und Zukunft, ihre Söhne wurden ethisch bewusste Politiker. David Miliband aber beweist, dass sein politisches Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Demnächst, verriet er, verlegt das IRC erst einmal sein europäisches Hauptquartier aus London nach Berlin.

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