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Kultur: Bücher im Netz: Der Leser als Fischer

War es nun der Auftakt zu einer Revolution oder nicht eher ein Mediencoup? Die öffentliche Erregung darüber, dass seit vergangenen Montag das erste Kapitel von Stephen Kings Roman "The Plant" unter www.

War es nun der Auftakt zu einer Revolution oder nicht eher ein Mediencoup? Die öffentliche Erregung darüber, dass seit vergangenen Montag das erste Kapitel von Stephen Kings Roman "The Plant" unter www.stephenking.com mit der Bitte um einen Dollar Honorar zum Download bereitsteht, lässt sich eigentlich nur mit der Verehrung für den erfolgreichsten Horror-Autor der Welt erklären.

Das ist auch ganz in Ordnung so. Die Vision, damit sei das letzte Stündlein des Verlagswesens gekommen, überfällt aber wohl höchstens Fantasten. Verdächtig ist schon, dass dabei New-Economy-Prediger, die im Internet ihre Religion erblicken, und Computerignoranten, die heutzutage genauso schlimm sind wie Illiteraten, ein Stück weit Hand in Hand gehen - und pragmatisch eingestellte User, für die das Internet in allererster ein Distributionsmedium ist, wenig zu sagen haben. Denn worin besteht das Bahnbrechende an Kings Offensive?

Der Selbstverlag ist ein alter Hut. Der Direktvertrieb ist eine olle Kamelle. Das Herunterladen von Texten aus dem Internet gegen Gebühr ist - vom Zeitungsartikel bis zum Fachbuch - inzwischen gang und gäbe. Das work in progress, das man in Einzellieferungen erhält und auf dessen Entwicklung man womöglich sogar Einfluss nimmt, ist keine Erfindung des digitalen Zeitalters, sondern war bereits für die Fans von Perry Rhodan eine Institution. Was bleibt? Die Kombination aller Aspekte macht die Faszination des Projektes aus, und der besondere Reiz liegt in Kings Drohung, er werde den Roman nur weiterschreiben, wenn mindestens 75 Prozent derer, die sich sein Kapitel herunterladen, der freiwilligen Selbstverpflichtung zum Honorieren nachkommen. No buck, no luck. Aber machen das nicht auch die marokkanischen Erzähler auf dem Marktplatz, die die Hand aufhalten, bevor sie weiter erzählen? Das Spannendste ist wohl die Frage, ob Stephen King damit die linke Alternative zu einem verrückt gewordenen Markt der Buch-Tycoons bildet oder auf dessen letzte Radikalisierung zusteuert.

Die Antwort führt vermutlich in beide Richtungen. Denn der moralische Kitzel des Zahle-ich-oder-zahle-ich-nicht hat enge Grenzen. Er stellt sich überhaupt nur da ein, wo sich der Konsument dem Produzenten verpflichtet fühlt - wo also wie im Fall von Stephen King eine Gemeinde ihrem Herrn und Meister huldigt. Und: Der Kitzel nutzt sich ab. Wenn man Kings Experiment als die Übertragung des Shareware-Konzepts ins Literarische interpretiert, erkennt man schnell, dass ihm in dieser Form keine allzu große Zukunft beschieden ist.

Das Netz als Selbstverlag

Denn auch die zunächst kostenlose Software aus dem Internet vertraut längst nicht mehr einfach dem guten Willen des Users. Sie bietet Trial-Programme mit festgelegtem Verfallsdatum, eingeschränkte Funktionen oder verweigert Updates - bis der Interessent seinen Obolus entrichtet hat. Der Autor verfügt letztlich nur über eine einzige Sanktion: Er schreibt nicht mehr für die, die ihn bestehlen wollen.

Die Chancen der Freiwilligkeit liegen ganz woanders, und das Internet ist dann auch nur das Portal, das man durchquert, um wieder beim gedruckten Buch anzukommen. Denn das Argument, dass niemand auf Dauer nur am Schirm lesen oder lose Blätter herumfliegen haben will, ist ebenso schlagend wie in die Irre führend. Der Autor, auch der für eine Minderheit, könnte jedem, der sich seinen Roman kapitelweise herunterlädt, anbieten, ein fertiges Exemplar ins Haus zu schicken. Nichts würde die unkalkulierbare Auflagenhöhe berechenbarer machen. Nichts anderes ist aber auch der Grundgedanke der digital gedruckten, ad hoc hergestellten Books-on-demand, die bei Auflagen zwischen 50 und 250 Exemplaren dem teuren Offsetdruck weit überlegen sind und den Markt testen können.

In den letzten Tagen hieß es immer wieder, man bräuchte Verlage, um Autoren überhaupt erst einmal bekannt zu machen. Das stimmt so nicht. Natürlich können große Häuser ein Marketingfeuerwerk abbrennen, mit dem der einzelne Autor, selbst wenn er Geld hat, nicht konkurrieren kann. Doch die vielen Verlage, denen das Geld für Anzeigen fehlt und die deshalb auf Rezensionen, Mundpropaganda oder Newsrooms angewiesen sind, befinden sich in keiner grundsätzlich anderen Lage als der auf sich gestellte Autor: Eine Mailing-Liste für seine Kundschaft kann auch er erstellen. Allerdings ist Stephen King mit seinen Agenten, Sekretären und Web-Designern schon seine eigene mittelständische Firma, die mit dem autonomen Dachstuben-Poeten wenig gemein hat - auch wenn sie beide von der gleichen Technologie profitieren.

Das Verlockende am Internet ist vielleicht der Gedanke, dass sich nur eine bestimmte Zahl von Eingeschworenen finden muss, um bei einem Autor ein Werk in Auftrag zu geben, was ihm Absatzsicherheit gibt. Das wäre noch lange keine Ablösung des alten Handelsmodells durch ein neues, sondern nur eine Erweiterung.

Für manches sind Verlage nämlich doch noch nützlich. Es soll immer noch Lektoren geben, die aus Texten die schlimmsten Böcke herausholen. Es soll Grafiker mit gar nicht so schlechten Ideen geben. Und zu guter Letzt soll es, ganz vereinzelt, noch Verlagsleiter geben, die von Geschäften mehr verstehen als Autoren.

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