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© ddp

Botho Strauß: Viel reden, nichts wissen

Botho Strauß in München uraufgeführt. "Leichtes Spiel" zeigt die "neun Personen einer Frau".

In Reihe neun des Münchner Residenztheaters sitzt bei der Uraufführung von Botho Strauß’ neuem Stück „Leichtes Spiel“ der Philosoph Peter Sloterdijk. Er hat gerade ein dickes Buch darüber geschrieben, dass man, grob gesagt und nach Rilke, immer wieder sein Leben ändern muss. Peter Sloterdijk klatscht nachher, als wolle er mit den Handballen Luftballons von mittlerer Größe erledigen. Sein Spaß kommt nicht von ungefähr.

Mit den zehn Szenen, die Botho Strauß hier, manchmal verknappt genial, oft aber auch sehr redselig und bedeutungsüberschwer als rhetorische Girlanden ineinanderschlingt, darf sich Peter Sloterdijk variiert fühlen. „Leichtes Spiel“ zeigt „Neun Personen einer Frau“, wie es im Untertitel heißt: Sie tragen Namen wie Kattrin, Katja, Käthchen, das Mädchen, oder, am Ende, in einem halbstündigen Monolog: Käthchen, das späte Mädchen. Das ist dann ein Solo für Cornelia Froboess, und sie spielt das wie Martha Argerich Klavier spielt – als Eruption. Die letzte K-Frau weiß alles vom Leben und also: nichts.

Die erste K-Frau, Kattrin, die junge Mutter, hat gerade wieder neu angefangen: Mit dem Baby vor dem Bauch bugsiert sie ängstlich und zerfahren einen Einkaufswagen durch einen offenbar bereits fast leer gekauften Supermarkt. Der Bühnenbildner Jürgen Rose hat, wie immer für den Regisseur und Intendanten Dieter Dorn, die Bühne bis zur weißen Brandmauer aufgerissen: Jede Station des Kreuzwegs (auf den Botho Strauß auch anspielt) wird mit luxuriösem Chic neu möbliert. Unversehens entsteht zwischen einem anderen vorletzten Einkäufer und Kattrin ein nervöses, hochkomisches und abgrundtiefes Gespräch. Zwei Welten begegnen sich. Dann reißt der Kontakt ab.

In seinen realistischen, aber auch in seinen einmontierten surrealen Momenten erinnert das immer wieder an Botho Strauß’ Stück über die Turniertänzer in Königswinter von vor fast 35 Jahren: „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ handelte davon, ob es das im Leben und eventuell sogar fürs Leben eigentlich geben könne – ein Paar, das sich immer wieder so überrascht, dass der eine vor dem anderen aufs Parkett fällt.

Damals wie heute wiegt Botho Strauß weise den Kopf, aber das Thema treibt ihn immer noch um, und siehe: Da liegt schon wieder einer danieder. Im fünften Bild „Geld und Geist (Die Zungenfertige)“ haut es den sogenannten Peter Lenz auf der Eisbahn mehrmals um, ehe er eine Widerspenstige gezähmt hat. Die Frau wird am nächsten Sonntag „aus purer Neugier“ mit dem Herrn Lenz vor den Traualtar treten. Herr Lenz entpuppt sich als geläuterter Alberich aus Wagners „Rheingold“. Er verflucht die Liebe nicht, er spielt mit ihr. Es ist der anspielungsreichste aller anspielungsreichen Momente, die der Autor hier erfindet: Shakespeare und Wagner und Strauß sprechen über Bande eine Sprache.

„Reden ist leicht“, sagt Kathinka (Lisa Wagner), wenn sie in „Die Kreative“ an einem großen Konferenztisch dem „Umständlichen“ (Jens Harzer) gegenübersitzt, der noch alte Bücher liest und Wörter wägt wie Gold. Er mache es sich zu einfach, sagt Kitty (Sibylle Canonica) zu ihrem Mann, dem „Betrübten“ (Gerd Anthoff), wenn er einfach nur zu ihrem fünfzigsten Geburtstag vom Papier ablesen will, was er über sie denkt. Vielleicht muss man so viel reden wie die Figuren von Botho Strauß, um auf den Punkt zu kommen, der womöglich doch eine Linie ist – in die Unendlichkeit. „Leichtes Spiel“ ist schwer metaphysisch unterfüttert.

Dieter Dorn inszeniert den Reigen seiner besten Ensemblemitglieder inklusive sagenhafter Cool-Jazz-Band an den Bühnenseiten buchstabengetreu und so elegant wie möglich. Offen lässt er die Frage, ob das am Ende wirklich neun Gesichter einer Frau waren – oder doch nur eine Frau mit neun Gesichtern. Man darf bei Botho Strauß nie alles wissen wollen.

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