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© D. Baltzer/ bildbuehne.de

"Megalopolis": Crash der Kulturen

Furios und rabiat: Constanza Macras’ Tanzstück "Megalopolis" in der Berliner Schaubühne.

Von Sandra Luzina

Eine Stadt ohne Eigenschaften, die Menschen ohne Eigenschaften hervorbringt – das war die negative Utopie, die Rem Koolhaas in seiner Streitschrift „Generic City“ entwickelte. Wenn die Choreografin Constanza Macras in „Megalopolis“ nun an der Schaubühne rasante Szenen vom Überleben in der Megacity zeigt, dann beruft sie sich immer wieder auf den niederländischen Architekten; wie auch auf den US-Soziologen Richard Sennett, der beschrieb, wie privater und öffentlicher Raum in den großen Städten eins werden. In „Megalopolis“ stürzt als erste Fernanda Farah in roter Divenrobe auf die Bühne, um als hysterische Latina ihr privates Drama herauszuposaunen. Und es dauert nicht lange, da geht das zehnköpfige Ensemble heftig aufeinander los.

Macras zeigt einen wilden Reigen von streitenden Paaren, sich zoffenden Zufallsbekanntschaften – und die liefern sich nicht nur Verbalgefechte, sondern gehen in den körperlichen Clinch. Auch der „Clash of Cultures“, ein zentrales Motiv von Macras, wird handgreiflich ausgetragen. Wenn sich eine Koreanerin mit einem Afro-Brasilianer anlegt, sich dann noch eine Latina einmischt, oder wenn ein Deutscher immer wieder kleine Asiatinnen flachlegen will – dann entstehen Crashtests von rabiater Komik.

Ihre Methode hat Macras weiterentwickelt. Die Choreografin arbeitet mit Übertreibung und Überforderung bis zum Overkill. Sie spitzt Stereotypen zu, rückt den Klischees über ethnische Minderheiten zu Leibe. In „Megalopolis“ arbeitet sie zudem mit einer forcierten Gleichzeitigkeit. Viele Aktionen ereignen sich simultan, die hysterischen Minidramen geschehen parallel, doch immer wieder kreuzen sich die Wege dieser modernen Nomaden, die gestrandet sind im Dickicht der Städte.

Die Bühne mit den beiden Zementbaracken zeigt einen Un-Ort: die Stadt als „unidentifizierbares Objekt“. Alles ist offen, es gibt keine Schutzräume, keine Privatsphäre. Alles befindet sich in einem Stadium des Verfalls. Am Bühnenrand stapelt sich Müll, die Bananenkisten, Pappkartons, Plastiktüten, Ramschwaren werden sich am Ende wie wuchernde Favelas über die Bühne ausbreiten. Die Videos von Maria Onis, Tobias Götz und Macras zeigen Ansichten der Megacities: Brutal-Architektur, Wolkenkratzer, Verkehrsströme, Menschenmassen, Supermärkte, Kinder in Slums.

„Der ,Typical Plan’ ist eine amerikanische Erfindung“, zitiert dann Anouk Froidevaux wiederum Koolhaas: „Er ist eine Null-Architektur, eine von jeder Spur Einzigartigkeit und Spezifizität befreite Architektur.“ Während Froidevaux noch atemlos doziert, rennt Franz Rogowski verzweifelt gegen die Wände und stößt dabei Laute aus wie ein angeschossenes Tier. Immer wieder inszeniert Macras solche aggressiven Momente des Aufbegehrens – die Revolte der Körper gegen eine lebensfeindliche Umgebung.

Die Verirrten, Verlassenen und Verzweifelten landen in einem Call-Center, wo sie Trost und Kontakt suchen, mit entfernt lebenden Vätern, Söhnen und abwesenden Geliebten; oder auf Jobsuche gehen. Doch mitten in ein Bewerbungsgespräch oder ein dringliches Gesuch um Geld ertönt dann wieder eine grässliche Muzak. In „Megalopolis“ ist die Umgebung immer falsch, die Musik nervt, und die Menschen stören – daraus bezieht die Inszenierung eine grimmige Komik.

Die tollen Musiker Santiago Blaum, Kristina Lösche-Löwensen, Almut Lustig feuern die Tänzer an mit Noise-Attacken, Latin-Rhythmen und rockigen Balladen. Und das DorkyPark-Ensemble mit zahlreichen neuen Talenten präsentiert sich in Hochform. Mit Knieschonern stürzen die entfesselten Tänzer sich in halsbrecherische Aktionen oder machen einen ohrenbetäubenden Krawall. Denis Kuhnert begeistert mit akrobatischen Breakdance-Moves, Hyoung-Min Kim als koreanische Kampfmaschine kennt kein Erbarmen. Ronni Maciel und Miki Shoji machen aus einem Ballett-Pas-de-deux eine Nummer wie aus dem chinesischen Zirkus. Und wenn die Damen bei einem Salsa-Tanzwettbewerb in knappen Fummeln mit dem Hintern wedeln, dann attackiert Macras mit bösem Witz die auch hierzulande verbreitete Vorstellung von der feurigen Latin-Erotik. „Megalopolis“ ist beileibe keine Multi-Kulti-Idylle. Hier blüht der Rassismus, hier beuten die Minderheiten sich gegenseitig aus – auch sexuell.

Manchmal läuft Macras Gefahr, die gelehrten Thesen von Koolhaas zu illustrieren. Manchmal will sie zu viel, etwa bei einem Exkurs über Leni Riefenstahl und Albert Speers größenwahnsinniges Germania-Projekt. Doch sie verbindet Trash, Tragik, Komik und Reflexion zu einem furios tänzerischen Abend über die Stadt, den Müll und die Körper. Sandra Luzina

Wieder am heutigen Montag, 20.30 Uhr.

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