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© David von Becker

Edith Hancke: „Ich war frech, nicht sexy“

Sie hat mit Rühmann gedreht und Kinski geohrfeigt:  Edith Hancke steht seit 60 Jahren auf der Bühne.

Wenn man Edith Hancke fragt, weshalb denn keine rauschende Theatergala zu ihrem großen Jubiläum geplant sei, winkt sie nur ab, unwirsch beinahe, trinkt einen Schluck schwarzen Kaffee mit Süßstoff und sagt, mit dieser Stimme, die den Charme einer Grammophonplatte voller Kratzer hat: „Andere Leute sind auch 60 Jahre am Theater, ich will gar nicht, dass da so viel Wirbel drum gemacht wird.“ Als sei es nichts Besonderes, sechs Jahrzehnte lang die Bühnen-, Film- und Fernsehgeschichte mitgeschrieben zu haben. Als sei sie selbst nichts Besonderes.

Tatsächlich ist die Hancke eine der letzten noch strahlenden Gestalten der verblichenen Westberliner Theaterglorie, eine der letzten Volksschauspielerinnen, die diesen Titel verdienen, mit großem Herzen und großer Klappe, berlinernd wie der Droschkenkutscher, den es auch nicht mehr gibt. Im Herbst hat sie ihren 81. Geburtstag gefeiert, man sieht ihr das Alter nicht an. Sie sagt, natürlich käme es ihr manchmal unwirklich vor, wie lange sie schon im Beruf sei, „weil die Zeit so schnell vergangen ist.“ Und dass sie oft an den Tag denken müsse, als alles anfing.

Das war der 21. Dezember 1949, sie spielte die Hedwig in Ibsens „Wildente“ am Renaissance-Theater. Hancke hatte damals bereits den „Biberpelz“ gedreht, den Defa-Film von Erich Engel, aber noch nicht auf der Bühne gestanden. Ihre Schauspiellehrerin Marlise Ludwig vermittelte den Kontakt, Hancke ging zum Theater und traf den Regisseur Ernst Schröder, „da haben wir erst mal zusammen Erbsensuppe gegessen, von einem kleinen Ofen, was nach dem Krieg eben so da war.“

Na, dann wollen wir es mal versuchen, meinte Schröder danach, aber sie musste zunächst noch dem Theater-Direktor Dr. Kurt Raeck, „später Professor Raeck“, vorsprechen. Ludwig gab ihr den Kollegen Wolfgang Gruner mit, „ich bin ja schon klein, aber der Gruner war noch ein bisschen kleiner“, lacht Hancke, sie hatten eine Szene zu spielen, in der die Hedwig ihren Vater umarmt. „Ich fiel also dem Gruner um den Hals und lag auf den Knien. Gab ein schallendes Gelächter.“

Raeck sagte daraufhin: „Seien Sie so lieb, ich würde es gerne noch sehen mit einem Herrn, der etwas größer ist.“ Schließlich bekam sie die Rolle. Und, hatte sie Lampenfieber, damals? „Was heißt damals“, gibt sie zurück, „heute auch noch.“ Und ergänzt: „Bis der erste Satz fällt, danach ist es ja egal. Dann muss man siegen oder untergehen.“ Hanckes Eltern hatten zwei Theaterabonnements, eins am Schiller-Theater, eines an der Freien Volksbühne, dort sah die Tochter, noch zu Kriegszeiten, Hannelore Schroth als Minna von Barnhelm auf der Bühne.

„Von der war ich ja nun ganz entzückt!“, und was sie beinahe noch mehr beeindruckte, war der Moment nach der Vorstellung, als die Schroth mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Intendanten Eugen Klöpfer, in die U-Bahn stieg. „Ich war fassungslos, dass die nicht mit einem Auto fährt“, erzählt Hancke, und später, als die Damen sich kennenlernten, wurde daraus ein bei jeder Begegnung gepflegter Scherz. Hanckes eigener Entschluss, Schauspielerin zu werden, stand damals, bei diesem Theaterbesuch, schon fest. Zum Leidwesen der Eltern? „Ach was“, ruft sie, „mein Vater hat nur gesagt, Kind, du musst wissen, worauf du dich da einlässt, da kommen sicher manche Herren, die dir viel versprechen, was auf eine unschöne Art enden könnte.“ So was passiert mir doch nicht, dachte sie nur.

„Na, ist mir auch nie passiert“, sagt sie heute. „Ich war viel zu frech, ich war überhaupt nicht sexy“, amüsiert sie sich, ein ausladendes Dekolletee andeutend.„Ich werde nie als Liebhaberin besetzt, da kann ich spielen, bis ich tot umfalle. Aber ich hatte immer zu tun, immer.“

Der Kritiker Friedrich Luft lobte sie 1956 als „Labsal an berlinischer Schnoddrigkeit“, Anlass war die Uraufführung von Erich Maria Remarques Stück „Die letzte Station“. Remarques Frau, „die wunderschöne Paulette Goddard“, schenkte der Hancke damals eine riesige Flasche Eau de Cologne zur Premiere, „da war ich im siebten Himmel“, aber vor allem wird sie die Reaktionen auf dieses Drama über einen KZ-Flüchtling in den letzten Kriegstagen nicht vergessen, wie im Publikum die Emotionen hochkochten, bei den Frauen besonders, „wenn mich dann auf der Bühne die Russen abschleppten, da hatten die Damen ja nun auch ihre einschlägigen Erfahrungen.“

Was für Theaterzeiten müssen das gewesen sein. Sicher, frei von Intrigen und Eitelkeiten war der Betrieb auch früher nicht, Hancke erzählt etwa, wie der Remarque-Regisseur Paul Verhoeven sie durch die Hintertür durch seine Tochter Lis ersetzen wollte, von der Kollegin Heidemarie Hatheyer, die sich immer absichtlich so hinstellte, dass Hancke mit dem Rücken zum Publikum spielen musste. Aber ansonsten hört man von ihr nur Löbliches über die Kollegen, selbst über einen Klaus Kinski, den öffentlichen Berserker, der „privat ganz anders war“, und zu dem ihr als Erstes einfällt: „Dem hab ich ja mal eine geschmiert.“ Kinski hatte sie allzu fest gewürgt, bei den Dreharbeiten zu dem Edgar-Wallace-Film „Die seltsame Gräfin“ war das, der heute noch alle Vierteljahre im Fernsehen wiederholt wird, „da müsste man mal jedes Mal fünf Mark kriegen“, sagt Hancke trocken.

Sie ist kein nostalgischer Mensch. Aber wenn sie von früher erzählt, während draußen vor dem Dressler am Kudamm immer wieder Menschen stehen bleiben und durchs Fenster grüßen, dann wird die Vergangenheit unversehens lebendig. Edith Hancke hat die Anfänge des Fernsehens miterlebt, Drehs mit wackligen Kameras in einem alten Postgebäude in der Oberlandstraße, da machte sie schon mit den „Stachelschweinen“ Kabarett, sie hat Filme gedreht wie den „Hauptmann von Köpenick“ mit Heinz Rühmann, auf den sie heute noch stolz ist, aber vor allem hat sie die Ära des goldenen Theaterwestens in dieser Stadt mitgeprägt.

Heute gibt es ihr Schiller-Theater nicht mehr, auch nicht jene Tribüne, an der sie 1972 ihren Mann Klaus Sonnenschein kennenlernte. Mit etlichen Stücken von Curth Flatow feierten sie dort Erfolge, und noch immer stehen sie zusammen auf der Bühne, gerade am Kudamm in der unverwüstlichen Klamotte „Pension Schöller“. Für Hancke stand das Theater immer an erster Stelle. Nur dort erlebe man schließlich die unmittelbaren Reaktionen auf die eigene Arbeit. „Ob die Leute über mich lachen oder weinen, das will ich doch hören.“

Nächste Vorstellungen von „Pension Schöller“: am 22. und 23. Dezember, auch 25. bis 31. Dezember in der Komödie am Kurfürstendamm

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