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Festtage: Als der Himmel auf die Erde krachte

Eröffnung der Staatsopern-Festtage: Stefan Herheim schickt Wagners "Lohengrin" in eine verlorene Berliner Schlacht.

Es ist der Schritt des Abends. Als das Regieteam zum Verbeugen anrückt, eine tausendfüßlerische Phalanx von Lichtmachern, Videodesignern und Gastdramaturgen, tritt Daniel Barenboim demonstrativ zurück ins Glied. Stellt sich wieder neben seinen Konzertmeister unter die Staatskapellenmusiker – und schmollt. Stefan Herheim wiederum, der Regisseur und böse Bube (im knalligen Designer-Blaumann), würdigt den Maestro angestrengt keines Blickes. Sollte es zwischen beiden Künstlern je ein gemeinsames Tischtuch gegeben haben, zum Ende dieser lärmig beklatschten „Lohengrin“-Festtagspremiere scheint es definitiv zerschnitten.

Was war geschehen? Der Wahlberliner Herheim hatte sich im Vorfeld mal deutlicher, mal weniger deutlich zu den Arbeitsbedingungen an der Staatsoper geäußert (Tsp. vom 3. April). Zwei Wochen lang habe er während der Endproben krankheitsbedingt auf die Darsteller des Lohengrin und des König Heinrich verzichten müssen, die Hälfte des Chores würde er sofort entlassen, und der Generalmusikdirektor selbst benehme sich wie „ein hoher Gast“ am eigenen Haus. „Herheim nennt Barenboim disziplinlos“, titelt die „Welt“, woraufhin das Pressebüro der Staatsoper eilig eine Richtigstellung des Regisseurs verbreitet. Herheim fühle sich von einer „journalistisch tendenziösen Polemik missbraucht“, sei ehrlich entsetzt und entschuldige sich. Ja, was denn nun?

In Bayreuth, wo der Norweger letzten Sommer mit einer hoch virtuosen, die Historie und die politischen Verstrickungen der Festspiele auffaltenden Lesart des „Parsifal“ Furore gemacht hat, wird solcher Mitteilungsdrang vertraglich geregelt: Wer öffentlich schmutzige Wäsche wäscht, fliegt raus. In Berlin ist dieses Wäschewaschen längst Bestandteil des Systems und der so genannten Opernkrise. Allein, auch hierfür gibt es Regeln. Stefan Herheim hat diese nun im guten oder schlechten Glauben verletzt und bestraft sich prompt selbst: mit einem handwerklich starren, lustlos auf den eigenen Metaphern herumkauenden „Lohengrin“. Wagners letzte romantische Oper vor dem Gesamtkunstwerk als Puppenkiste und Marionettentheater à la Brecht, das hört sich hölzern an. Und ist es leider auch.

„Nie sollst du mich befragen.“ Die Geschichte des Gralsritters und Welterlösers, der unverrichteter Dinge wieder von dannen zieht, weil sich die Wirklichkeit seinem namenlosen Verführertum, seiner Aura und Magie weder hingeben kann noch will, sie eignet sich wohl doch nur auf dem Papier zur Analyse der Berliner Musiktheatersituation. Den ersten Akt nämlich, Elsas Rettung durch Lohengrin, begreift Herheim als hauptstädtischen Opernkrieg: „Komische Deutsche Staats Oper“ steht da auf Schilder geschrieben, selbst der Wowereit-Satz aller Wowereit-Sätze tanzt in krakeligen Lettern über den Köpfen des Chors. Das Scrabble zur Berliner Opernkonferenz, zweifellos eine Marktlücke.

Unterhaltsam ist das. Hermeneutisch allerdings führt es in die Irre. Denn wen oder was soll dieser stoische Erlöserverführer mit gefiedertem Helm und gleißender Silberrüstung verkörpern? Einen Gruß aus der Wagnerschen Mottenkiste? Einen Abgesandten des spätestens in seiner „Mitteilung an meine Freunde“ selbst ernannten „Gottes“ und „absoluten Künstlers“ Richard W.? Diese Verbindung immerhin legt bei Herheim die schneeweiße Feder nahe, mit der Lohengrin einherschwebt, und die sowohl den Schwan symbolisiert als auch den Federkiel des Meisters darstellt als auch – zu Barenboims Ingrimm? – den Taktstock, an dem bis heute alles hängt. Die Kunst als Retterin aus der Krise, ein Aufruf zur Rückbesinnung aufs Wesentliche?

Dafür freilich hätte Herheim das Herz der Kunst wirklich herzeigen müssen: mehr jedenfalls als eine riesige BrechtGardine (Bühne: Heike Scheele), die mal Theatervorhang ist, mal Braut- und Himmelbett, mal blutrot leuchtender Gral und mal qualmender Atompilz; mehr als ein blödes Kulissen-Brabant, das wie Wolfgang Wagners „Meistersinger“-Nürnberg en miniature aussieht; und mehr als notorisch in Alltagskleidern aus der Rolle fallende Protagonisten à la Chéreau oder Konwitschny (Kostüme: Gesine Völm). Was soll das Ganze, so fragt man sich, wenn sich am Ende doch nur Kitsch an Klischee reiht: der Schwanenritter wie frisch dem Theatermuseum der Villa Wahnfried entsprungen, die böse Ortrud, die Augen rollend im Wahnsinn ihr Heil sucht, die liebe Elsa, die am Schluss – was Frauen bei Wagner gerne tun – entseelt zu Boden sinkt.

Außerdem ist Klaus Florian Vogt Berlins neuer Lohengrin. Und man weiß nicht, ob seine Stimme für die Aufführung nun eine veritable Hypothek bedeutet oder ein rares Glück. Völlig mühelos und ohne jede konditionelle Einbuße singt der Holsteiner sich durch die Partie, sein Tenor trotzt allen akustischen Tücken und trägt weit, die Textverständlichkeit ist exzellent, die heldischen Spitzentöne leuchten scheinbar ohne Stütze. Und doch gibt die Monotonie von Vogts Timbre, das Farblose, Weißliche darin Rätsel auf. Ist dieser Lohengrin bloß eine Kopfgeburt, ein Monster, das nichts Menschliches rührt, keine Elsa, keine Gralserzählung, nichts? Oder kann Vogt schlicht nicht anders, als bodenlos einfältig und naiv zu sein?

Solche luxuriösen Fragen wirft die restliche Sängerbesetzung nicht auf. Außer Kwangchul Young, der einen verlässlich-sonoren König Heinrich gibt, bleiben alle ihren Partien an diesem Abend etwas schuldig. Dorothea Röschmann als Elsa versucht mit gutturaler Stimmgebung und umfänglichem Vibrato zu kompensieren, was ihrem Sopran für dieses Fach (noch?) fehlt: der Atem, das Legato, die weite lyrisch-dramatische Linie. Michaela Schuster als Ortrud steigert sich mehr und mehr in ein hysterisches Kreischen hinein. Und um Gerd Grochowskis Telramund und Arttu Katajas Heerrufer überhaupt zu hören, muss man sich im vorderen Parkett schon gehörig anstrengen. Berliner Festtagspreise (bis 260 Euro!) für ein kaum festlich gestimmtes Ensemble.

Dass hier alle miteinander an Fäden hängen, Abhängige sind, Fremdbestimmte, Repräsentanten höherer oder niederer Mächte, die Sachsen wie die Brabanter, der König, die Intriganten, ja selbst Wagner persönlich, das hat der Zuschauer bald verstanden. Was er indes nicht versteht: Warum Herheim auf diesem Kunstgriff derart insistiert. Schon das bebilderte Vorspiel zum ersten Akt projiziert eine riesige Wagner-Marionette mit Nase und Barett – die emsig mitdirigiert. Eine bewusste Provokation, eine Kampfansage? Die Staatskapelle jedenfalls zeigt sich irritiert, mit peinlichen Patzern im Blech (sogar in den Fanfaren!) und einer denkbar schludrigen Artikulation von Anfang an. Überhaupt scheint Barenboim allem Sirenisch-Subversiven, jedem Märchen- und Mythenton der Partitur zu entsagen. Als dirigierte er, der Klangfetischist, nicht nur gegen einen in Ungnade gefallenen Regisseur an, sondern auch trotzig gegen sich selbst. Laut dröhnt und scheppert es aus dem zu kleinen Graben, die Effekte pfeifen, schnalzen und ächzen, als wär’s der Soundtrack zu einer Fantasy-Klamotte. Bitter, aber wahr: So schlecht passte Barenboims Lesart, wäre sie aus musikalischer Überzeugung geboren, gar nicht zu Herheims Absage an jedweden Erlösungsschmu.

Trotzdem: Die Gleichung ,wild gewordener Regietheater-Freak gegen desinteressierten Stardirigenten, sie erhellt den aktuellen Zwist insofern nur bedingt, als sie an der Lindenoper (fast) immer stimmt. Warum belastet sich das Haus regelmäßig mit solchen Konstellationen, wenn sich am Ende alle spinnefeind sind und todunglücklich? Nur aus Prestige, nur um einen behaupteten Kunstanspruch weiter aufrecht zu erhalten? Dass Stefan Herheim so naiv gewesen sein soll, zu glauben, daran etwas ändern zu können, will einem nicht recht einleuchten.

Sein Finale aber lohnt fast die fünf Stunden: Kaum ist Lohengrin in lichten Gralshöhen entschwunden, stürzt, krach bumm, der Himmel auf die Erde respektive die gesamte Schnürboden-Maschinerie auf die Bühne. Und mit ihr, rumms, schließlich auch die große Richard-Wagner-Puppe. Das Musiktheater ist tot, es lebe? „Kinder schafft Neues!“, fordert ein letztes Schild, ach ja. Ein Zitat des legendären Wagner-Tenors Leo Slezak hätte es an dieser Stelle auch getan: „Wann, bitte, geht der nächste Schwan?“

Wieder am 8. und 12. April

Christine Lemke-Matwey

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