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© dpa

Hauptstadtkulturfonds: Wer wagt, wird gefördert

Zehn Jahre Hauptstadtkulturfonds: Kurator Bernd Wilms über Berlins freie Szene.

Herr Wilms, seit zehn Jahren gibt es den Hauptstadtkulturfonds, seit einem Jahr sind Sie der Kurator. Was bringt der Fonds der Kultur in Berlin?



Kultur besteht nicht allein aus den großen Institutionen, zumal in Berlin. Beim Hauptstadtkulturfonds geht es wesentlich um die freie Szene, um die Stärkung von Orten wie dem Hebbel am Ufer, den Sophiensälen, dem Radialsystem. Der Fonds soll die kleinen, überraschenden Projekte unterstützen, nicht die sogenannten Leuchttürme. Mein Lieblingsprojekt ist derzeit eine Ausstellung des Künstlers Thomas Kilpper, der im Stasi-Gebäude in der Normannenstraße aus dem alten DDR-PVC-Boden gewaltige Linolschnitte macht. Das finde ich wunderbar, auch angesichts dessen, was sonst für das Jubiläum 20 Jahre Mauerfall beantragt wurde.

Sie werden mit Anträgen überschüttet?

Jährlich kommen inzwischen etwa 600 Anträge auf Förderung. Seit 1999 waren es rund 5000 Anträge insgesamt, davon wurden rund 1200 Projekte gefördert mit insgesamt 103 Millionen Euro.

Wie muss so ein Projektantrag beschaffen sein, um Förderung zu bekommen? Was sind Ihre Kriterien?

Wir machen keine programmatischen oder ideologischen Vorgaben. Wir wollen uns auch nicht als Veranstalter verstehen. Wir schauen, was aus der Szene kommt, was die höchste Originalität und Qualität verspricht. Und wenn bestimmte Orte häufiger bedacht werden als andere, dann liegt es daran, dass es die Projekte dorthin zieht. Was fehlt Berlin, wenn es dieses Projekt nicht gibt? Das ist dann Kriterium genug.

Sie haben aber eine starke Neigung zur Förderung von zeitgenössischem Tanz.

Die Tanzszene ist in Berlin schwächer strukturiert als etwa die Schauspielszene. Deshalb braucht der Tanz eine andere Förderung. Grundsätzlich haben wir das Problem, dass wir bei der Auswahl Äpfel und Bananen und Birnen vergleichen müssen.

Damit sind wir bei Sasha Waltz und ihrer Compagnie. Sie wird seit einigen Jahren regelmäßig mit 800 000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds finanziert – was eigentlich nicht im Sinne des Erfinders ist.

Ich finde regelmäßige Förderung problematisch, es dürfen nicht immer die „üblichen Verdächtigen“ sein. Regelförderung wie bei Sasha Waltz muss die Ausnahme bleiben, sonst wird der Fonds zu einem Instrument der Ersatzfinanzierung von allen möglichen Dingen, die sich das Land Berlin oder der Bund nicht leisten wollen. Es ist ein Unterschied, ob man eine Tanzcompagnie regelmäßig fördert oder einen Schmelztiegel der freien Szene wie das Hebbel am Ufer. Dessen Leiter Matthias Lilienthal sagt, er sei kein Intendant, sondern ein Broker – da ist auch etwas dran.

Sasha Waltz wird bis 2011 aus dem Hauptstadtkulturfonds gefördert. Sonst könnte sie ihren Laden dichtmachen. Da stecken auch Sie als Kurator in einem Dilemma.

Keine Tanzcompagnie in Berlin ist so aufregend wie die von Sasha Waltz. Wer es noch nicht wusste, hat es bei ihrer Bespielung des Neuen Museums gesehen. Ich rate Berlin sehr, diese wunderbare Compagnie zu unterstützen, aber das muss aus dem ordentlichen Haushalt kommen, nicht aus dem Hauptstadtkulturfonds. Ein Malakhov, ein Staatsballett allein ist zu wenig für den Tanz in Berlin.

Gibt es Bereiche und Kunstgenres, die sich besonders empfehlen? Wo ist die freie Szene jetzt auffällig und produktiv?


Wir haben extrem viele Anträge von Künstlern mit Migrationshintergrund und zunehmend viele Projekte mit Migrantenthemen. Das betrifft das Theater, wie zum Beispiel das Ballhaus Naunynstraße, aber auch Ausstellungen und Tanzprojekte. Diese Themen kommen in anderen Bereichen der Kultur offenbar nicht genügend vor. Wir sehen da auch, wie attraktiv Berlin ist. Künstler sagen uns, wir bekommen Geld aus Tokio, wir treten in Paris auf, aber wir möchten in Berlin arbeiten, wir verstehen uns als Berliner Künstler. Diese internationalen Beziehungen sind für die Stadt wichtig. Ich finde es sympathisch, wenn Künstler an mehreren Stellen Geld beantragen und sich nicht auf unseren Fonds verlassen – das tun eher die größeren Institutionen.

Wie bewegen Sie sich in der Szene, wie informieren Sie sich? Bei der Fülle des Angebots und der Unterschiedlichkeit der Projekte sind Sie im Grunde überfordert.

Eine gewaltige Aufgabe, Sie haben recht. Es handelt sich ja auch nicht um Repertoiregeschichten, wir fördern oft sehr temporäre Dinge. Wichtig ist nicht, ob sich das Konzept mit Modevokabeln wie interdisziplinär oder multi-irgendwas schmückt, es geht um die Menschen, die etwas machen, etwas riskieren wollen. Natürlich kann man sich täuschen und unangenehme Überraschungen erleben.

Wie hat sich der Hauptstadtkulturfonds seit 1999 verändert?

Der Akzent lag von Anfang auf der Förderung freier Projekte, und so ist es geblieben, wie sehr sich die freie Szene auch verändert hat. Im allerersten Jahr allerdings gab es eine klare politische Vorgabe für Peter Steins „Faust“-Projekt, immerhin sechs Millionen Euro. Dagegen hätte damals kein Kurator etwas ausrichten können. Aber der Hauptstadtkulturfonds hat sich von der Politik emanzipiert, wir sind frei in unseren Entscheidungen. Sonst könnte ich das gar nicht machen.

Wie stark kann ein Kurator dem Fonds seinen Stempel aufdrücken?


Es mag einen Vorgänger gegeben haben oder eine Vorgängerin mit dem Ehrgeiz, so etwas wie Intendant der freien Szene zu sein. Das finde ich falsch, das ist nicht meine Sache.

Hilft Ihnen dabei Ihre lange Erfahrung als Intendant im Staatstheater?

Ja, sehr, weil man die Qualitätsmaßstäbe braucht. Am Theater habe ich eitlerweise immer meine Vorstellungen durchsetzen wollen. Hier aber bin ich mit so vielen Projekten und Ästhetiken konfrontiert, also den Äpfeln und Birnen, dass ich das an einer langen Leine halte. Ich habe mein Leben lang behauptet, so geht Theater, so muss es sein. Jetzt öffne ich mich den Dingen mit einer neuen Naivität. Ich lasse mich auch von der Jury überstimmen, das ist in Ordnung.

Diese Gelassenheit ist wohl der tiefere Grund, dass in der Regel ältere Kulturmenschen Kurator werden.


Ja, die alten Herren werden gebraucht. Anfangs bin ich schon einiger Skepsis begegnet in der freien Szene – der wird doch nur seine institutionelle Kultur fördern! Ich hatte aber keine Mühe, den Standpunkt vom Nehmen zum Geben zu wechseln – und zur freien Kultur.

Wird der Einfluss des Kurators überschätzt? Ist es nicht ein irreführender Titel? Kuratoren bestimmen sonst doch ganz direkt und selbstherrlich, wo es langgeht.

Wenn Sie einen besseren Titel haben, her damit!

– Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

Bernd Wilms, 1940 in Solingen geboren, ist seit April 2008 Kurator des Hauptstadtkulturfonds. Er war vorher sieben Jahre Intendant des Deutschen Theaters Berlin.

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