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Die Perser: Von Räumen und Schiffen

Magie der Leere: Dimiter Gotscheff und Mark Lammert inszenieren in Epidauros "Die Perser". Epidauros lebt von der Leere und Ferne. Es schreit nicht nach Theatralik. Es ist ein Traum vom Theater. Gotscheff und Lammert respektieren das demütig.

Nach alter griechischer Auffassung ist Epidauros ein weibliches Amphitheater. Das männliche Gegegnstück wäre danach das Dionysos-Theater in Athen. Was aber kann an einem Theaterbau unter freiem Himmel – Epidauros auf dem Peloponnes ist die harmoniereichste, am besten erhaltene antike Spielstätte – das Ewig-Weibliche sein? Liegt es in dem weichen Rund, wie es sich in die Landschaft schmiegt, mit dem traumschönen Blick auf die geschwungenen Hügelketten der Argolis? Oder hängt es damit zusammen, dass sich hier von alters her eine Kultstätte des Asklepios befand, angeblich am Geburtsort des Heilgottes?

Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. sind Menschen nach Epidauros gepilgert. Man nahm kultische Bäder, sprach mit Priestern und legte sich im Heiligtum schlafen, um im Traum von höheren Mächten den Weg zur Heilung von Krankheit und Gebrechen gewiesen zu bekommen. Ein Ort der Autosuggestion, der unterbewussten Empfängnis. Später, um das Jahr 300 v. Chr., entstand hier, jenseits der großen Städte, das Theater – die Geburt der Tragödie aus dem Geist von Natur und Wellness, würde man heute sagen. In hellenistischer Zeit hatten sich die Griechen wohl auch schon vom dionysischen Ursprung des Schauspiels weiter entfernt; wenn es das ist, was Zivilisation ausmacht: die gemessene Distanz zum Archaischen und Animalischen.

Das sich doch nie vollständig bezwingen lässt, das gegen die Schädeldecke und den Fußboden drückt. Abendstimmung in Epidauros. Das zarte Rot auf den Hügeln, der Blick ins weite Rund, das sich summend mit Menschen füllt, die Steinbänke, aufgeheizt noch von der Sonne. All das erzeugt eine Sehnsucht, es hat etwas Kathartisches, ehe das Drama überhaupt begonnen hat. Epidauros’ weiblicher Charakter, heißt es, habe vor allem damit zu tun, dass man hier empfangen könne.

„Die Perser“ des Aischylos. Das älteste Stück der Theatergeschichte, uraufgeführt 472 v. Chr., acht Jahre nach der Seeschlacht von Salamis, die darin verhandelt wird und in der Aischylos gegen die persische Invasionsmacht mitgekämpft haben soll. Regisseur Dimiter Gotscheff und sein Bühnenbildner Mark Lammert sind vom Griechischen Nationaltheater eingeladen, das rhetorische Schlachtengemälde in Epidauros zu inszenieren, für das Hellenic Festival, das zuvor Helen Mirren als (Londoner) Phädra im Amphitheater präsentierte. Vor bald drei Jahren schufen Gotscheff und Lammert am Deutschen Theater mit den „Persern“ eine Aufführung für die Theaterannalen; so reduziert und konzentriert und mustergültig streng, changierend zwischen Empathie und bitterkomischen Porträts der imperialen Aggressoren, die im Land der Griechen ihren Untergang erleben. Eine Inszenierung mit Kultstatus, wenn das Wort nicht so abgebraucht wäre.

Vier Schauspieler trugen bravourös die Last von Textgebirgen und athletischem Zweikampf; Samuel Finzi und Wolfram Koch, Margit Bendokat und Almut Zilcher. In der griechischen Neuinszenierung kommen nun ein siebenköpfiger Frauenchor und ein siebenköpfiger Männer-Botenchor dazu. Und der gewaltige leere Raum.

Wie bespielt man eine mythisch-mystisch aufgeladene Landschaft? In Berlin hat Lammert die inzwischen so berühmte und gerühmte gelbe Wand auf die Bühne gestellt; Waffe, Scharnier, Szenenwechsler, alles gleichzeitig. In der Orchestra von Epidauros steht nun wieder eine drehbare Wand, aber hochkant und in den Blautönen des Meeres und des Himmels. Und wieder funktioniert das Werkstück auf magische Weise, als Mittler zwischen Theaterwelt und Natur. Das blaue Segel ruht auf einem drehbaren Lager und ist mit einer unsichtbaren, tonnenschweren Metallplatte ausbalanciert. So schlagend einfach Lammerts Einfälle wirken, so ingeniös sind sie ausgedacht.

Plötzlich diese Stille. Die Lichtregie zeigt an, dass etwas Großes beginnt. 7000 Zuschauer, regungslos für einen Moment. Das wird nicht so bleiben, etliche werden abwandern, das griechische Publikum hat ein gebrochenes Verhältnis zur eigenen Klassik, Gotscheffs schmucklose, hochdisziplinierte Spielweise verstört so manchen Besucher und Klassik-Sucher.

Die Schauspieler kommen aus dem Wäldchen hinter der Skene, von der nur noch die Fundamente stehen. Zuerst eine Frau, die Texte aus Heiner Müllers „Philoktet“ spricht, so bringen Gotscheff und Lammert mit einer zusätzlichen Figur, einer Art Schicksalsgöttin, ihren germanischen Hausgott nach Epidauros. Die schwarz gekleideten Chor-Frauen setzen sich an die Orchestra, die Männer, in bunten T-Shirts, marschieren ein wie ein Trupp Rekruten. Sie sind alle tot, die Perser, die nach Griechenland auszogen, Aischylos lässt das Drama auf dem Grab des Perserkönigs Dareios spielen, eine unerhörte Setzung. Später sollten Molière, Wedekind, Tabori den Friedhof zum Schauplatz nehmen.

Atossa, die Perserkönigin, hat ihren Auftritt aus der Mitte des Theaters; eine große, elegante Erscheinung. Die Frauen beweisen Stehvermögen, an diesem weiblichen Ort, die Männer scheinen dem tödlichen Ernst der Lage nicht gewachsen, sie werfen sich in leere Posen. Gotscheff psychologisiert nicht. Es geht im Grunde um das Erproben von Haltung angesichts eines grauenhaften Schicksals. Wie man einen solchen Text aushält und ihm menschliche Gestalt verleiht in der Totenklage. Und was Menschenwürde sein kann.

Die Aufführung ist in neugriechischer Sprache. Wenn man den (deutschen) Text kennt, kann man recht gut folgen. Denn im Vordergrund steht das Sichtbare, das Sehen und Erkennen der dramatischen Erzählung. Die Akustik von Epidauros ist legendär. Noch in der 33. Reihe ist der Klang plastisch, wie ein fremder Gesang, in den oberen Rängen hängt der Staub in der Luft, den sie unten in der Orchestra aufwirbeln. Unglaublich, wie Gotscheff und Lammert in dem Riesenrund Intimität herstellen, wie sie imaginäre Innenräume schneiden aus Architektur und Natur. Den irren Geist des Dareios, die hilflos-deplatzierte Erscheinung des Xerxes, der mit Frackhemd und Fliege aus der Katastrophe heimkehrt, ein unbelehrbarer Menschenvernichter – man hat sie plastisch und dicht vor Augen, als Zuschauer auf dem Feldherrnhügel.

Epidauros lebt von der Leere und Ferne. Es schreit nicht nach Theatralik. Es ist ein Traum vom Theater. Gotscheff und Lammert respektieren das demütig. Nach zwei Stunden werden die mächtigen Flughafenscheinwerfer ausgeschaltet. Nie gab es einen solchen Blackout. Landschaft und Architektur, 2500 Jahre Geschichte, tausende Zuschauer – für Sekunden weggelöscht, verinnerlicht im schwarzen Schweigen des Todes.

Rüdiger Schaper

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