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Kultur: Buffo in der Unterwelt

An der Tür zur Garderobe Nummer 16 steht kein Name.Muß auch nicht - denn jeder, der hier arbeitet, weiß sowieso, daß "die 16" Werner Enders gehört.

An der Tür zur Garderobe Nummer 16 steht kein Name.Muß auch nicht - denn jeder, der hier arbeitet, weiß sowieso, daß "die 16" Werner Enders gehört.Seit 44 Jahren singt der Tenor an der Komische Oper, und wenn er nicht gerade auf der Bühne steht, ist er in Nummer 16 zu finden.Das winzige Zimmerchen ist so ziemlich das extremste denkbare Gegenstück zu diesen luxuriösen Boudoirs, die Opernsänger und Schauspieler gewöhnlicherweise in Spielfilmen bewohnen: Ein winziger dunkler Windfang, links ein Waschbecken, zwei Spinde, vor dem Fenster eine Liege, rechts eine schmale Ablage mit zwei Original-DDR-Stahlrohrstühlen.Eher eine Umkleidekabine als ein Empfangszimmer für Freunde und Bewunderer.

Werner Enders versteht es trotzdem, den Gast würdig zu empfangen, die Enge vergessen zu machen."Bühnenpräsenz" nennt man sowas, wenn es darum geht, Persönlichkeiten zu beschreiben, die schon durch ihr bloßes Auftreten die Blicke auf sich ziehen.Viele Sänger, die auf der Szene faszinieren, verläßt diese Aura, wenn der Vorhang zu ist.Werner Enders aber ist auch in der Garderobe ein ausübender Künstler, ein "Komödiant", wie er selber seinen Beruf umschreibt.Kein Anekdotenclown, der für eine Pointe seine Freunde verraten würde, sondern ein Mensch, der Worte und Blicke so bewußt setzt wie auf der Bühne.

Das hat er von Walter Felsenstein gelernt, dem legendären Gründer der Komischen Oper, der Enders 1955 in Halle entdeckte und als Charaktertenor nach Berlin holte."Ich bin jemand, der immer aus dem Bauch heraus spielt.Das fand Felsenstein zwar gut an mir, doch ohne Hinterkopf geht es nun einmal nicht bei der Schauspielerei.Diesen Teil der Selbstkontrolle hat mir Felsenstein beigebracht", erzählt Enders, und sein Tonfall zeigt an, wie gern er sich an die Zusammenarbeit mit dem Regisseur erinnert.

Eigentlich hatte er ja Geiger werden wollen, doch eine Kriegsverletzung machte die Pläne zunichte.So wandte er sich der Singerei zu - Glück im Unglück für ihn: Nach Stationen als Tenorbuffo in Zwickau, Altenburg und Halle wurde er wegen seines Talents für skurrile Typen an der Komischen Oper schnell zu einem der meistbeschäftigten Sängerdarsteller.Rund 150 Abende sang er pro Saison, insgesamt hat er 117 Partien einstudiert.Rekordverdächtige 369 Mal stand er allein als König Bobèche in der Felsenstein-Inszenierung des Offenbachschen "Ritter Blaubart" auf der Behrenstraßen-Bühne, die Titelrolle von Robert Kurkas "Schwejk"-Oper hat er in 133 Vorstellungen verkörpert.Für vier verschiedene "Carmen"-Inszenierungen mußte er viermal neue Übersetzungen lernen, in Kupfers legendärer "Bohème", in der er den trotteligen Verehrer Musettes mimt, hat er schon 14 unterschiedliche Besetzungen "überlebt".

Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" soll nun am morgigen Sonnabend seine definitiv letzte Premiere werden - was nicht heißt, daß seine Fans bald auf Werner Enders verzichten müssen.Seine Partien in laufenden Produktionen von "Traviata" bis "Figaro", "Turandot" bis "Zar Saltan" wird der ganz und gar nicht wie ein 74jähriger wirkende Tenor weiterhin mit unverwechselbarem Charme spielen.

"Als Komödiant ist man unheimlich empfänglich für Lob" gibt Enders zu."Wenn ich eine Rolle spiele und habe die Lacher auf meiner Seite, will ich am liebsten noch eins drauf geben.Aber das muß eigentlich nicht sein.Ein wissendes Schmunzeln bei den Zuschauern auszulösen ist doch viel besser, als wenn sich alle auf die Schenkel klopfen." In diesem Punkt ist er sich mit seinem jetzigen Chefregisseur, Harry Kupfer, einig.Die Rolle des Styx zum Beispiel, die Enders in Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" spielen wird, machen Regisseure gern zur Karikatur des notgeilen Alten.Als trotteliger Diener des Unterweltfürsten Pluto versucht sich Styx in einem unbeobachteten Moment an die Geliebte seines Herrn, Euridice, heranzumachen."Das kann man unheimlich klamottig spielen", erklärt Enders, "aber genau daß wollen wir hier nicht.Für Kupfer ist der Styx eher ein liebenswerter Greis, der Geist eines vor über hundert Jahren verblichenen Macho-Prinzen, der nun zärtliche Gefühle für die junge Euridice entwickelt."

Regisseure, die nicht nur den Text bebildern, sondern versuchen, jenseits leicht errungener Kalauer und plakativer Emotionsschablonen unter die Oberfläche zu gelangen, hat Werner Enders immer geschätzt.Auch wenn die Proben bei Felsenstein wie bei Kupfer oft "möderisch" waren, auch wenn das Publikum vieles von dem, was da in tagelanger Detailarbeit ausgetüftelt wurde, in der Aufführung gar nicht mitbekommen kann, hat es Werner Enders immer als "großes Glück" empfunden, bei der Komischen Oper gelandet zu sein.Nicht nur wegen seines "begrenzten stimmlichen Materials" hat er den schauspielerischen, komödiantischen Teil jeder Musiktheater-Aufführung immer als mindestens ebenso wichtig empfunden wie den sängerischen."Am besten war ich immer, wenn ich mir eine Partie so richtig hart erkämpfen mußte."

Als echter Opern-Realo erweist sich Werner Enders bei der Frage nach den Auflösungserscheinungen im Sängerensemble der Komischen Oper: "Die Zeit der festen Ensembles ist vorbei.Sie können die jungen Leute heute nicht mehr halten, wenn die woanders für das doppelte Geld ihre Wunschpartien singen können." Werner Enders sagt das ohne Bitterkeit, weil er einerseits keinen Unterschied in der Intensität der Probenarbeit mit Gästen oder altvertrauten Kollegen erkennen kann, und es anderseits genießt, daß die alte "Komische Oper-Familie" trotz aller Unkenrufe weiter existiert: "Solche wunderbaren Maskenbildner wie hier, die für diesen Lohn mit soviel Liebe und Akribie arbeiten, finden sie beispielsweise auf der ganzen Welt nicht."

Ein schönes Lob, von einem, der ziemlich viel herumgekommen ist.Eines der nettesten Komplimente seiner fast fünfzig Jahre andauernden Karriere bekam Werner Enders übrigens vor wenigen Tagen bei den "Orpheus"-Proben: Weil die Sopranistin fehlte, durfte eine der Regie-Hospitantinnen mit ihm zusammen die "Liebesszene" zwischen Styx und Euridice spielen, bei der Enders ziemlich abblitzt."Nachdem ich das Mädchen - streng nach Regieanweisung - so richtig angeschmachtet hatte, sagte sie kopfschüttelnd: Also, ich verstehe wirklich nicht, wie Euridice da widerstehen kann!"

Premiere "Orpheus in der Unterwelt" am Sonnabend, 20 Uhr in der Komischen Oper.

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