zum Hauptinhalt

Buzz Aldrin: Der Mann vom Mond

Moritz Rinke erinnert sich an eine Begegnung mit Edwin Buzz Aldrin, dem zweiten Mann auf dem Mond.

Am 9. September 2001 bebte in Los Angeles die Erde. Es war die „German Week“ des Goethe-Instituts. Ein Pianist spielte Bach, bis er vom Hocker fiel, offensichtlich lag das Epizentrum unter dem Goethe-Institut. Am Abend war ich an der Reihe, Premiere im Odyssey Theatre in Hollywood.

Schauplatz meines Stücks ist Berlin, es geht darum, dass Berlin untergeht. Erdlöcher tun sich auf, S-Bahnen versinken, der Funkturm ist so groß wie eine Ampel, die Schauspieler flüchten sich ins Theater und spielen bis zum Ende „Romeo und Julia“. Die Regisseurin hatte entschieden, statt Berlin lieber New York untergehen zu lassen und tauschte den Funkturm gegen das World Trade Center.

Nach der Aufführung sagte ich zur Leiterin des Goethe-Instituts: „Wir hatten Glück, die Erde hat nicht mehr gebebt. Geht es dem Pianisten wieder besser?“

„Ja. Haben Sie schon mal einen Mann gesehen, der auf dem Mond gewesen ist?“ Dann führte sie mich zu einem älteren Herrn. „Das ist Edwin Buzz Aldrin, Mitglied im Förderverein des Odyssey-Theatre und der zweite Mensch auf dem Mond im Rahmen der Apollo-Mission.“

Ich sah einen Mann im blauen Anzug. Er hatte ein paar weiße Haare an den Seiten, der Rest des Kopfes war eine weite glatte Fläche.

„You are the writer?“, fragte er.

Ich starrte ihn an. Wie oft hatte ich als Kind den Mond angesehen! Gesichter in ihm erkannt. Mir vorgestellt, wie es da aussieht. Und wie ein Mensch dort hingelangen kann. Die Mondlandung vom 20. Juli 1969 war in meiner Familie ein großes Thema gewesen. Unser Nachbar arbeitete beim Weltraumzentrum Bremen und war an der Entwicklung der Hitzeschutzkacheln für den Space-Shuttle beteiligt. Außerdem lebten wir im Moor, da war der Mond mit seiner wasserlosen Welt wie eine Verheißung.

„Yes“, antwortete ich, mehr nicht, ich starrte nur weiter. Mein Gott, der zweite Mann auf dem Mond! Er sah so sympathisch aus und mit seiner großen Glatze und den weißen Resthaaren wie eine Mischung aus meinem Großvater, Gorbatschow und Friedrich Nowottny vom „Bericht aus Bonn“.

„The only thing I wrote was my dissertation!“, sagte Aldrin und lächelte.

Seine Doktorarbeit lautete „Navigationstechniken für bemannte Rendezvous im Orbit“, darüber hatte unser Nachbar Vorträge gehalten, bevor er an den Hitzeschutzkacheln scheiterte. Aldrin hatte den Mond 20 Minuten nach Armstrong betreten. Es gibt ein berühmtes Foto: Aldrins Fußabdruck auf dem Mond, so deutlich, als ob er bei uns ins Moor getreten wäre. Das andere berühmte Bild: Aldrin, fotografiert von Armstrong, der sich im Fenster von Aldrins Nasa-Anzug spiegelt.

Da ich immer noch schwieg und Aldrin anstarrte, fragte er: „Interesting play. But why the World Trade Center is gone?“

Ich überlegte, ob in meinem Stück etwas über den Mond vorgekommen war. Irgendeine Stelle mit dem Mond, bei der sich Aldrin vielleicht gefreut haben könnte. In meinem Stück wird „Romeo und Julia“ zitiert, die Monde des Uranus wurden nach Figuren von Shakespeare benannt! Ich wollte es gerade sagen, dann dachte ich, dass es lächerlich wäre von Uranus und Shakespeare zu erzählen, wenn ich einem Mann gegenüberstand, der auf dem richtigen Mond gewesen war. Ich sagte lieber nichts und starrte weiter.

Ob er wohl stumm ist und verhaltensgestört?, dachte Aldrin, zumindest sah er irritiert die Goethefrau an. Ich spürte, dass ich endlich etwas Intelligentes sagen musste, als deutscher Autor auf Goethe-Mission. Ich fragte: „Mr. Aldrin, how was your feeling on the moon?“

Das war’s. Mr. Aldrin drehte sich um und ging.

Noch heute überlege ich, ob ich etwas anderes hätte fragen sollen. Wahrscheinlich hatte er sich von einem Autor eine originellere Frage erhofft. Vielleicht nervte ihn auch der Mond? Oder er konnte es nicht mehr hören, dass er nur der Zweite gewesen war? Vielleicht flüchtete er beim Thema Mond, weil es immer die Wörter „second man“ enthielt.

Buzz Aldrin habe ich noch einmal in München gesehen, anlässlich der Premiere des Films „Im Schatten des Mondes“. Ich überlegte, zu ihm zu gehen und zu sagen: „Tut mir leid mit der Mondfrage damals. Was haben Sie eigentlich gedacht, als zwei Tage nach dem Theaterabend das World Trade Center wirklich weg war?“

Wir hätten ein anderes Thema gehabt, aber ich traute mich nicht mehr, ihn anzusprechen. Ich starrte nur aus der Ferne auf seinen großen, weißen Kopf wie auf eine Mondlandschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false