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Calexico im Tempodrom. Das lins von links: Martin Wenk, Joey Burns, Camilo Lara, Jacob Valenzuela, John Convertino, Jairo Zavala Ruiz und Sergio Mendoza.

© imago/Martin Müller

Calexico in Berlin: Apostel der Glückseligkeit

Tex-Mex-Geschunkel im Tempodrom: Joey Burns, John Convertino und ihre Band Calexico

Es mag an der Geschichte der Stadt liegen, dass die Berliner einen besonderen Hang zu Calexico haben, der Band von Joey Burns und John Convertino, die sich nach der Grenzstadt benannt hat, die ihren Namen ihrer
Lage auf der Grenze zwischen Kalifornien und Mexiko verdankt. Das ausgerechnet hier die ersten Teile der "großen, schönen Mauer" gebaut werden, die sich der US-Präsident wünscht, hat die ursprünglich als
Abspaltung der famosen Wüstenrocker Giant Sand gegründete Band aus Tucson/Arizona offensichtlich so wütend gemacht, das sie auf ihrem neuen Album "The Thread That Keeps Us" deutlich Stellung beziehen und sich bei einigen Songs auf ihre rumpeligen Indie-Rockwurzeln besinnen. Aber keine Sorge, da wird nichts ungemütlich, der Gesamteindruck bleibt friedlich und unbeschwert, dafür sorgen schon die karibisch unterwühlten Rhythmen, die
sie wieder in ihre Songs eingebaut haben.

Und bei der Live-Präsentation im ausverkauften Tempodrom schaffen es diese Apostel der Glückseligkeit sowieso mal wieder locker, das sich die Welt im Kopf ihrer Zuhörer für knapp zwei Stunden in etwas Besseres verwandelt. Nach dem abgründigen "Dead in the Water", ein dreckiger Swamp-Blues-Kracher, den man so noch nicht von Calexico gehört hat, folgt die aktuelle Single "Voices in the Field" mit einem magischen, von den Yardbirds geklauten "For your Love"-Refrain und der von einem Conjunto-Beat angetriebene Instant-Hit "Under the Wheels" mit Rapeinlage von Camilo Lara, der schon als "Mexican Institure of Sound" im Vorprogramm die Stimmung anheizte.

Knochentangos, Walzer, wilde Cumbias

Spätestens beim Klassiker "Across the Wire" fliegt dann die Tür zum Tex-Mex-Saloon auf und heraus tönt eine vertraute Musik, die sofort die Sehnsucht nach der flirrenden Hitze in der Wüste Arizonas weckt. Ein vom staubigen Flair des amerikanischen Südwestens durchzogener Schunkelsound, der sich bevorzugt bei der Latino-Folklore bedient und damit das gleiche Feld beackert, auf dem schon Leute wie Flaco Jimenez und Ry Cooder reichlich Arbeit geleistet haben. Spaghetti-Western-Fantasien mischen sich mit wehmütigen Knochentangos, taumelnden Walzern, wilden Cumbias und anderen Tanzbodenfegern, die vom Publikum eifrig beklatscht und manchmal fast schon zerklatscht werden.

Burns' sonore Singstimme weht wie ein warmer Luftzug durch den Saal, flankiert von den feierlich schmetternden Mariachi-Trompeten von Jacob Valenzuela und Martin Wenk, dem ehemaligen Wahlberliner aus Nordhessen, der vor 20 Jahren als Tour-Musiker bei Calexico einstieg und seitdem festes Bandmitglied ist.

Der Ehrenplatz des Unentbehrlichen gebührt aber dem stoisch groovenden, immer aufmerksam die Details betonenden John Convertino, der manchmal mit einer Hand die Maracas schüttelt, während er mit der anderen in der Trommel rührt. Dazu kommt der großartige Sergio Mendoza am E-Piano, eine heulende Pedal-Steel-Gitarre, Akkordeon, Kontrabass und ein wenig Elektronik. Alles fügt sich beflissen in den Breitwandsound der acht Musiker ein, wobei es ihnen scheinbar mühelos gelingt, die unterschiedlichsten Elemente zu einer Einheit zu verschmelzen und wie neue Roots-Musik klingen zu lassen, durch die gleichermaßen Reste amerikanischer und mexikanischer Urigkeit sickern.

Die Musik beschwört die mythische Grenzlandschaft

Das meiste stammt vom aktuellen Album, etwa die fein gestrickte Folkballade "The Town & Miss Lorraine", das Gene-Clark-mäßige "Girl in the Forest" oder der lässige Cumbia-Schunkler "Flores y Tamales". Dazu kommen alte Favoriten wie das epische "Sonic Wind", "Moon never rises" mit Gastssängerin Ceci Bastida, "Inspiración" und "Crystal Frontier" als obligatorische Schlussnummer - ihr größter Hit, der die "gläserne Grenze" zwischen USA und Mexiko als mythisch aufgeladene Grenzlandschaft eines zerrissenen Landes beschwört - sowie andere wahlweise auf Spanisch oder Englisch vorgetragene Tanz- und Trinklieder, die sich nie schnöder Dramatik oder aufdringlicher Volksfeststimmung fügen, obwohl sie trotz ihrer vielfältigen Einflüsse sicherer und festgefügter klingen als die meisten anderen Bands, die sich den ewigen Mythen verschrieben haben,die das weite Land zwischen Kakteen und Konservenbüchsen zu bieten hat.

Bei den Zugaben überraschen sie einen noch mit einer oberflotten Tex-Mex-Version von "Bigmouth Strikes Again" von The Smiths. Manchmal ist es fast schon zuviel des Guten, doch in den besten Momenten entstehen dabei immer noch wundervolle Roadmovie-Bilder fürs Kopfkino: Man denkt an die Berge Arizonas, die sich in der untergehenden Sonne rot färben, an endlose Highways und eine verlassene Bar am Straßenrand, in der vielleicht Harry Dean Stanton sitzt und "Cancion Mixteca" anstimmt, den Schmachtfetzen, den der große, im September verstorbene Schauspieler einst mit Ry Cooder für den Soundtrack von "Paris, Texas" aufgenommen hat. Seufz! Dabei kommt zum Tragen, was Calexico mit ihrer Musik stets suggeriert haben: eine Art Lebensgefühl aus der staubigen Prärie, verbunden mit dem Geschmack von Freiheit und Abenteuer. Die allerfeinste Sorte amerikanischen Drecks. Und Joe Burns, der uns mit seiner neuen, randlosen Brille von der Bühne schief anblinzelt, scheint zu sagen: Nimm dir eine Schippe davon, sie wird dir schmecken.



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