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Kultur: Casino für die Bettler

Brecht oder Las Vegas: Der kanadische Regiestar Robert Lepage über die alte und die neue Theaterwelt

Mr. Lepage, Sie wollten „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill inszenieren. Warum durften Sie das nicht?

Wir waren schon fast am Ende der Proben, als die WeillFoundation uns informierte, dass wir die Aufführungsrechte nicht bekommen – eine Woche vor der Premiere. Eine Absage! Offenbar wegen der Besetzung unseres Orchesters und der Instrumentierung.

Früher sind auch die Brecht-Erben häufig gegen zeitgenössische Inszenierungspläne der Stücke ihres Ahnherren eingeschritten. Wie erging es Ihnen mit dieser Familie?

Wir waren schockiert. Erst die Weill-Absage, und dann hat uns auch Barbara Brecht-Schall die Rechte verweigert, nachdem sie ein Video von uns gesehen hatte. Eine junge Musikerin scratchte eine alte Brecht-Platte . . .

Eine erstklassige Ketzerei.

Ach, wir waren einfach naiv – aber auch Brecht auf der Spur, wenn Sie so wollen. Er hat sich selbst, als er „Die Dreigroschenoper“ schrieb, aus einem alten Werk bedient, der „Bettleroper“ von John Gay aus dem 18. Jahrhundert.

Ihr Stück, das Sie in Berlin zeigen, in der Brecht-Stadt, heißt jetzt „The Busker’s Opera“. Was ist ein „Busker“?

Ein Busker ist ein Straßenmusiker. Oder auch jemand, der an der Ecke steht und Gedichte rezitiert. Die Straßen Amerikas sind voll mit Buskers.

Man hört also nicht die Weill-Songklassiker. Was dann?

Wir spielen einen eigenen zeitgenössischen musikalischen Mischmasch, Ska, Reggae, Jazz, Country, Disco, Rap. Wir beginnen in unserer Musiker-und-Bettler-Oper in London, in Soho, gehen nach New York, Las Vegas, Texas und Louisiana, in das rechte Amerika. Die Geschichte, die wir erzählen, ist von den Erlebnissen mit der „Dreigroschenoper“ inspiriert. Die hat uns zu Bettlern um die Aufführungsrechte gemacht. Schließlich erklärte uns Barbara Brecht-Schall mit Hinweis auf eine geplante „Dreigroschenoper“-Inszenierung in Berlin (von Johanna Schall am Maxim Gorki Theater, d. Red.), dass wir auf keinen Fall die Brecht-Rechte bekämen, selbst wenn wir uns mit der Weill-Foundation geeinigt hätten. Es war bitter, und dann haben wir darüber gelacht.

Sie sind Kanadier – und Sie gastieren in Berlin in der neuen Reihe „Spielzeit Europa“ mit einer kanadischen Produktion. Machen Sie europäisches Theater?

Der Stoff der „Busker’s Opera“ stammt aus Europa. Und das sagt eine Menge über Theater in Nordamerika. Das amerikanische Theater ist jung, nicht älter als hundert Jahre. Und es ist nach altmodischen europäischen Mustern geformt. In Amerika gab es nie eine Theaterrevolution, im Gegensatz zur amerikanischen Architektur. Leute wie Frank Lloyd Wright brachen aus der Tradition aus und kreierten eine amerikanische Architektur. Der Broadway ist schon lange kein Trendsetter mehr. Man importiert nur Stücke, die im Londoner West End erfolgreich getestet wurden. Theater als Risiko, das scheint nur für Europa zu gelten. Auch wir sind Opfer dieses Systems, und wir versuchen es mit der „Busker’s Opera“ aufzubrechen.

Hat sich das kanadische Theater nicht in den letzten Jahren als innovativ gezeigt, von der Broadway-Ästhetik emanzipiert und selbst europäische Bühnen inspiriert?

Es gibt zwei Kanadas, das englischsprachige und das französischsprachige. Das englischsprachige steht der US-amerikanischen Kultur nahe. Das frankophone Kanada besitzt eine verrücktere, risikofreudigere Szene – auch wegen der Sprachbarriere. Das frankophone Theatermilieu ist stark visuell geprägt, von der Regie, und weniger vom Text. Nur so kann man über die Grenzen hinaus wirken. Und: Quebec hat stärkere Verbindungen nach Europa, nach Frankreich natürlich. In Montreal haben Sie das Gefühl, in New York zu sein. Gleichzeitig ist die Mentalität sehr pariserisch. Wir Frankokanadier sind eine seltsame Mixtur. Erst wurden wir von den Franzosen kolonisiert, dann von den Engländern. Und jetzt werden wir von den Amerikanern kolonisiert. Davon versuchen wir uns zu befreien.

Apropos USA: Sie inszenieren derzeit für den Cirque du Soleil eine neue Show in Las Vegas. Amerikanischer geht es nicht.

Das wird eine Riesenshow. Der Titel ist „Ka“, das ist japanisch und bedeutet Feuer. Feuer hat viele Gesichter – auch ein zerstörerisches, bedrohliches. Las Vegas hat sich stark verändert. Es erinnert an das Florenz der Renaissance, mit diesen superreichen Leuten, die Künstler aus aller Welt anziehen und mit Kunst protzen und vorgeben, sie hätten Kultur. Das Interessante ist: Dieses Geld ist nicht mit Zensur verbunden, man genießt völlige künstlerische Freiheit – eine Freiheit, die am Broadway unmöglich wäre. Im letzten Jahrzehnt hat sich in Las Vegas vor allem das Publikum verändert: Junge Millionäre aus Kalifornien, die wissen, wer Bob Wilson oder Laurie Anderson ist, die in die Oper gehen und Designer Food essen. Daher finden Sie auf dem Strip all die Avantgarde-Leute aus den Achtzigerjahren, aus den Garagen, wie die Blue Man Group. Die spielen heute jeden Abend in den großen Casinos vor zweitausend Zuschauern.

Sie schwärmen von Las Vegas wie vom Gelobten Land.

Es ist eine Oase. Sie begegnen dort unglaublichen Leuten. Las Vegas liegt mitten in der Wüste, und es ist kein Zufall, dass sich die interessanten Künstler in den USA sich in die Wüste zurückgezogen haben. Ich versuche nicht, das Image von Las Vegas aufzupolieren, aber das ist ein Trend, den ich beobachte: Die Wüste ist im Moment vielleicht der einzige Ort in diesem Land, wo man sich künstlerisch frei ausdrücken kann.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

Ein Magier der Bühne und der Leinwand:

Robert Lepage wurde 1957 in Quebec geboren. Mit der „Dragon’s Trilogy“ wurde er 1985 weltberühmt. Eine Wiederaufnahme war letztes Jahr in Berlin zu sehen. Er brilliert als Performer in „Elsinore“, einer Hamlet-Fantasie, und in „The Far Side of the Moon“ , was er auch verfilmte. Kinofilme: „Le Confessionnal“, „Le Polygraph“, „Possible Worlds“. Mit „ The Busker’s Opera“ (uraufgeführt im Februar 2004 in Montreal) gastiert Lepages Gruppe „Ex Machina“, Quebec, vom 8. bis 11. Dezember im Haus der Berliner Festspiele.

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