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Hipster mit 68. Tony Christie bei seinem Auftritt in Huxleys Neuer Welt.

© DAVIDS

Charismatischer Crooner: Tony Christie zu Gast in Berlin.

Natürlich bringt er den Hit, den man auf ewig mit ihm verbinden wird: „Is This The Way To Amarillo“. Aber auch mit seinen übrigen Song beweist der mittlerweile 68-jährige Tony Christie, dass er immer noch im internationalen Entertaimentbusiness mithalten kann

Von Jörg Wunder

Es gab schon beeindruckendere Comebacks: Zum Konzert von Tony Christie ist Huxleys Neue Welt mit viel Beinfreiheit bestuhlt, dennoch sind nicht alle Plätze besetzt. Da dürfte 2011 seine England- Tournee zum 50. Bühnenjubiläum in jeder Kleinstadt mehr Zulauf mobilisiert haben. Und wer glaubte, dass die letzten, unter Mitwirkung von Britpop-Größen wie Jarvis Cocker und Richard Hawley entstandenen Alben des Working-Class- Crooners aus Sheffield die Neugier jüngerer Pop-Hipster wecken müssten, sieht sich getäuscht: Der Altersschnitt des Publikums liegt deutlich über 50.

Doch Tony Christie hat schon schlechtere Zeiten erlebt. In den Achtzigern und Neunzigern war er von der Bildfläche verschwunden und wurde zur Rentnerbelustigung in britischen und spanischen Seebädern gebucht. Also versprüht der 68-Jährige von der ersten Sekunde an bemerkenswert gute Laune. Mit Scherzen wie „I’m 43 years LANGE PAUSE]... married“ sammelt er Sympathiepunkte und erzählt Schnurren wie die über seinen größten UK-Hit „I Did What I Did For Maria“. Damals, 1971, habe seine hochschwangere Frau gesagt, sie wolle ihr Kind erst entbinden, wenn der Song auf Nummer eins gestiegen sei. Das wurde durch den Nonsens- Song „Chirpy Chirpy Cheep Cheep“ von Middle Of The Road verhindert, aber Christies älteste Tochter durfte dennoch das Licht der Welt erblicken.

Im Gegensatz zu Tom Jones ist Christie kein röhrender Powergreis, sondern ein charismatischer, lässiger Performer. Mit Silbermähne und grauem Anzug gibt er den Gentleman und wagt auf bleistiftdünnen Beinen geriatrische Moonwalk-Variationen, während er sich mit frappierender Stimmfestigkeit durch die Höhepunkte seiner Karriere knödelt. Die siebenköpfige Begleitband mag nicht die Klangfülle entwickeln, die man von den Studioproduktionen kennt, macht aber mit drei Bläsern genügend Gegenwind für Christies voluminöses Organ.

Bis zur Pause ist die Handbremse noch angezogen, aber in der Stunde danach gibt Christie dem Affen Zucker. Er federt zum R’n’B-Stomper „Now’s The Time“ leichtfüßig über die Bühne, badet in der Grandezza der Jarvis-Cocker-Ballade „Born To Cry“, riskiert eine Raubtierpantomime zu „Walk Like A Panther“, seinem Comeback-Hit von 1999. Auch wenn die neuen Stücke wohlwollend beklatscht werden, richtig Stimmung kommt erst bei den Klassikern auf. Tony Christie hatte stets ein gutes Gespür, um aus bekannten Songs noch mehr herauszuholen. „Solitaire“ und „Jezebel“ etwa waren schon in den Originalversionen von Neil Sedaka und Frankie Laine effektive Schmachtfetzen, aber erst Christie verleiht ihnen diesen cremigen Schmelz, den man nicht mehr aus den Gehörgängen bekommt.

Endgültig von den Stühlen reißt es die Fans bei „Sweet September“, einer Art Zeitlupen-Sirtaki mit Schunkelgarantie, vor über 30 Jahren ein Hit in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und dann, als obligate Zugabe, der Song, den man auf ewig mit Christie verbinden wird: „Is This The Way To Amarillo“. Der Saal wird zur Hüpfburg, strahlende Gesichter, stehende Ovationen. Beim Hinausströmen in die arktische Kälte lautet das Fazit einer Gruppe Golden Girls: „Besser als Status Quo!“ Dem ist wenig hinzuzufügen.

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