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Kultur: Charmeur, Finanzjongleur

Dieter Wedel inszeniert „Jud Süß“ bei den Nibelungenfestspielen in Worms

Die 10. Nibelungenfestspiele in Worms haben sich einen heiklen Stoff ausgesucht: „Die Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß“, inszeniert vor dem Dom von Joshua Sobol und Dieter Wedel. Ein Stück jenseits der Nibelungensage, wenn auch mit Parallelen: Die Nazis missbrauchten die Nibelungen für ihre Propaganda ebenso wie die Geschichte vom Finanzberater am Stuttgarter Hof – in Veit Harlans antisemitischem Film „Jud Süß“. Dabei ist der Justizmord an dem unschuldigen Oppenheimer vor allem ein Exempel für die Rückständigkeit und Engstirnigkeit einer deutschen Provinz.

Die wahre Historie hat es in sich. 1734 ist das Herzogtum Württemberg pleite, der neue Regent Carl Alexander engagiert den jüdischen Geschäftsmann Joseph Süß Oppenheimer als Finanzberater. Dieser reformiert das Steuersystem und die Naturalwirtschaft zu einer modernen Geldwirtschaft. Seine Fiskalpolitik ist erfolgreich, schafft ihm allerdings viele Feinde, da auch Adel und Großbürgertum Steuern zahlen müssen. Die wälzen die Ausgaben auf ihre Pächter ab, so dass der Finanzberater am Ende auch vom Volk gehasst wird. Hinzu kommen persönliche Feindschaften und Frauengeschichten.

Zunächst bieten Sobol und Wedel nicht mehr als luxuriös bebilderten Geschichtsunterricht. Jedes Feature, jede Doku-Ficiton würde man für diese Umsetzung loben: Szenen aus dem Gericht werden mit Szenen am Hof gegengeschnitten. Ein überzeugendes Drama entsteht so nicht.

Ein weiteres Problem ist die Vielzahl der Figuren, deren Funktionen, gesellschaftliche Stellung und Interessen schwer einzuordnen sind. Immer wenn Wedel offenbar der Ansicht ist, dass ernste Passagen dringend aufgelockert werden müssten, inszeniert er barocke Festlichkeiten und Schäferstündchen, bei denen die Männer mal charmante, mal brutale Schürzenjäger sind und die Frauen ihre Reize für den gesellschaftlichen Vorteil einsetzen. Wobei der Herzog als wüster Lustmolch und sein Hofjude als bezaubernder Charmeur gezeigt werden – was politisch ebenso superkorrekt ist wie historisch falsch.

Ansonsten folgt das Textbuch den überlieferten Ereignissen, die der schwäbische Autor Hellmut G. Haasis dokumentiert hat. Dass dem Herzog eine Vergewaltigung mit Todesfolge unterstellt und sein Tod als Folge eines Mordanschlags auf Oppenheimer dargestellt wird, gehört jedoch zu den Freiheiten, die sich eine Theaterfassung herausnehmen darf.

Trotz eines beachtlichen Aufgebots an Prominenz aus der Film- und Fernsehszene bietet die Aufführung wenig Höhepunkte: etwa die Figur des rassistisch-aggressiven Landjunkers, den André Eisermann gestaltet, ebenso der alte jüdische Finanzier von Peter Striebeck. Während Jürgen Tarrach den Herzog als sensiblen Charakter anlegt, der mit Jud Süß eine fragile Männerfreundschaft pflegt, bleibt Rufus Beck in der Titelrolle eindimensional.

Das Bühnenbild ist einfallslos: eine Barockkulisse vor dem Dom, die keine neuen Schauplätze eröffnet. Verstärkt wird dieser Mangel an optischer Opulenz durch das Tageslicht. Da die Nibelungenfestspiele wegen Dieter Wedels Engagement bei den Dresdner Zwinger-Festspielen diesmal einen Monat früher stattfinden, wird es später dunkel und die dramatischen Finessen des Kunstlichts kommen erst später zum Tragen. „Die Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß“ ist nicht wirklich schlecht. Nur eben nicht besser als gutes Stadttheater – zu wenig für den Anspruch der Wormser Nibelungenfestspiele. Theo Schneider

Theo Schneider

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