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CITY Lights: Das verfinsterte Jahrzehnt

Zu den Spätzeiten der Weimarer Republik waren die Massen bloß am schnellen Vergnügen interessiert, und nur eine winzige Gruppe von Intellektuellen bekämpfte die Gefahr von rechts. So weit das Klischee, das unzählige Bücher und Filme vermitteln, und an Klischees ist immer etwas dran.

Zu den Spätzeiten der Weimarer Republik waren die Massen bloß am schnellen Vergnügen interessiert, und nur eine winzige Gruppe von Intellektuellen bekämpfte die Gefahr von rechts. So weit das Klischee, das unzählige Bücher und Filme vermitteln, und an Klischees ist immer etwas dran. Andererseits, wie wäre da ein engagierter Film wie Dreyfus (Mittwoch in den Eva-Lichtspielen) einzuschätzen, der unmissverständlich den Antisemitismus in höchsten militärischen Kreisen anprangert – und damals ein breites Publikum begeisterte?

Bei einer Umfrage unter Kinobesitzern nach dem erfolgreichsten Film der Saison 1930/31 landete „Dreyfus“ auf dem siebenten Platz, „Der blaue Engel“ erst auf dem zehnten. Dabei verzichtet der Regisseur Richard Oswald sogar ganz auf reißerische Effekte. Im Stil eines nüchternen Dokudramas hakt er die Stationen der Spionageaffäre ab, in der ein jüdischer Offizier wegen Landesverrats verurteilt und erst infolge einer engagierten Kampagne begnadigt wurde, die Émile Zola angeführt hatte. Dreyfus wird von Fritz Kortner gespielt, und als der große französische Romancier ist Heinrich George zu sehen. Derselbe Stoff wurde 1937 in Hollywood unter dem Titel „The Life of Emile Zola“ verfilmt. Anders als bei Oswald fällt dort kein einziges Mal das Wort „Jude“. Es sollte auch in den amerikanischen Anti-Nazi-Filmen während des Zweiten Weltkriegs kaum fallen. Die Hollywoodproduzenten, darunter viele jüdische Flüchtlinge, setzten hier lieber auf Verdrängung statt Aufklärung.

Den absoluten Gegensatz zu „Dreyfus“ bilden, als Protagonisten eines negativen deutschen Filmkanons, die zehn Jahre später gedrehten Hetzfilme „Jud Süß“ und „Der ewige Jude“. Erich Waschnecks Die Rothschilds (Mittwoch im Zeughauskino), 1940 ein Kassen-Flop, ist weniger bekannt – so wenig, dass Mitwirkende wie Bernhard Minetti und Gisela Uhlen sich nie für ihn rechtfertigen mussten, und aufgrund positiver, von der SED ausgestellter Charakterzeugnisse konnte Waschneck später sogar einen Vertrag mit der Defa unterzeichnen. Aus heutiger Sicht wirkt das Werk über die berühmte Bankiersfamilie allerdings weniger antisemitisch als langweilig. Statt greller Propagandaeffekte inszeniert der Film Verhandlungen zwischen Bankiers und Politikern. Wie in der Zeughaus-Reihe „Unter Vorbehalt“ üblich, gibt es auch hier eine kritische Einführung und die Gelegenheit zur Diskussion.

Aus aktuellem Anlass präsentiert das Babylon Mitte einen vergessenen Italowestern. Am 1. Oktober ist der 75-jährige Giuliano Gemma an den Folgen eines Autounfalls gestorben. In Giorgio Ferronis Ein Loch im Dollar (1965) verkörpert er einen Kopfgeldjäger, der nach dem Ende des Bürgerkriegs zwischen die Fronten gerät und scheinbar getötet wird, doch eine Dollarmünze in seiner Brusttasche rettet ihm das Leben (Sonnabend in der Reihe „Nachtschicht“). Gemma war ursprünglich Leistungssportler und kam als Stuntman zum Film. Er bekam Nebenrollen in „Ben Hur“ und „Der Leopard“ und war zuletzt in Woody Allens „To Rome with Love“ zu sehen. Für „Ein Loch im Dollar“ nahm er das Pseudonym Montgomery Wood an, das klingt immer noch besser als die Pseudonyme einiger Crew-Mitglieder: An der Kamera stand ein Tony Dry, der Ausstatter nannte sich Harry Horse. Liebhaber des schrägen Films kommen hier ganz auf ihre Kosten.

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