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Mit Schirm und Cape: Auftakt von "Classic Open Air" am Berliner Konzerthaus.

© dpa

"Classic Open Air" am Berliner Gendarmenmarkt: Wir sind ja nicht aus Zucker!

Bei der Eröffnung von „Classic Open Air“ auf dem Gendarmenmarkt begeistern Strauß, Verdi und Max Mutzke – und die Wetterfestigkeit des Publikums.

Ausgerechnet den kältesten, nassesten Tag in diesem bisher knochentrockenen, überheißen Berliner Sommer haben Gerhard Kämpfe und Mario Hampel für den diesjährigen Start ihres „Classic Open Air“-Festivals erwischt. Doch die beiden Freiluftveranstalter sind Kummer gewohnt.

Gemeinsam haben sie schon so manche Krise überstanden in den drei Jahrzehnten seit der Gründung des Gendarmenmarkt-Spektakels. Finanzielle Engpässe gab es immer wieder, ebenso meteorologische Herausforderungen: unvergesslich zum Beispiel jener Sturm, bei dem sogar große Restaurantsonnenschirme durch die Luft wirbelten.

Auch das Stammpublikum gehört eindeutig in die „Wir sind doch nicht aus Zucker!“-Kategorie. Am Donnerstag ist der Platz bestens gefüllt – und das ändert sich bis zur Pause auch kaum, trotz des Dauerregens, der um 19.15 Uhr eingesetzt hat. Um 19.42 bittet Kämpfe noch um „ein wenig Geduld“, zehn Minuten später kommen die Berliner Symphoniker auf die Bühne, die vor dem Konzerthaus aufgebaut ist, um 20 Uhr schließlich hebt Dirigent Robert Reimer den Taktstock zur „Fledermaus“-Ouvertüre.

Die exzellente Soundanlage übertönt mühelos das Geprassel auf Tausenden Schirmen und Regencapes, und in der Strauß-Operette findet sich das perfekte Motto für diese „First Night“: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“.

Klassische Musik? Längst gibt's auch Jazz, Schlager, Pop und Rock

Dann jazzt und trommelt sich Joja Wendt, frei nach Edward Grieg, durch „Die Halle des Bergkönigs“, die hier definitiv eine Tropf- steinhöhle ist. Lars Redlich intoniert die Leonard-Cohen- Hymne „Hallelujah“, kann damit den Himmel aber auch nicht besänftigen, trotz des prächtigen Bombast-Pathos-Arrangements.

Gestartet ist „Classic Open Air“ im Jahr 1992 als Festival mit sehr spitzer Zielgruppe, nämlich ausschließlich mit klassischer Musik. Ganze Abende waren seitdem einzelnen Komponisten oder Ländern gewidmet. Da gab es zum Beispiel „Wagner in Licht und Feuer“, ein „Rendezvous mit Mozart“, Programme mit italienischen Arien, „Wiener Blut“-Walzerseligkeit oder auch die „Russische Nacht“. Carl Orffs „Carmina Burana“ wurde auf dem Gendarmenmarkt ebenso aufgeführt wie Carl Maria von Webers „Freischütz“.

Mit den Jahren aber weiteten sich die Programme stilistisch immer mehr, erst kam Swing dazu, dann Filmmusik, Soul, schließlich Schlager, Pop und Rock. Statt der Klassikstars – 1992 wurde José Carreras bejubelt, es folgten Gwyneth Jones, Jochen Kowalski, Montserrat Caballé, Lucia Aliberti und Jose Cura – bekamen nun Publikumslieblinge anderer Genres ihre Solo-Abende: Helmut Lotti, Chris de Burgh, Unheilig, die Söhne Mannheims, Katie Melua. In diesem Sommer ist Howard Carpendale der Top-Act.

Immer populärer ist das Programm geworden, man könnte auch sagen: demokratischer. In jedem Fall massentauglicher. Der Name ist nur noch bedingt Programm, lässt sich aber nicht so leicht an die klingenden Realitäten anpassen – „Ein Kessel Buntes“, der Titel der einst so beliebten DDR-Unterhaltungsshow, wäre womöglich treffender.

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Doch „Classic Open Air“ ist in drei Jahrzehnten zur echten Marke geworden, mit einem Bekanntheitswert, den kein Kulturmanager ohne staatliche Subventionen im Rücken durch eine Umbenennung aufs Spiel setzen möchte.

An diesem Donnerstag wird nun „Singing in the Rain“ praktiziert: Die Sopranistin Lindsay Funchal und der Tenor Alexander Geller präsentieren, stadttheatertauglich, zwei Arien aus Verdis „Rigoletto“, der baskische Akkordeonvirtuose Enrique Ugarte spielt solo auf seinem Instrument eine Kurzversion des „Concierto de Aranjuez“ – und dann kommt Max Mutzke.

Er ist über die Maßen angetan von der Wetterfestigkeit der Besucherinnen und Besucher und begeistert seinerseits mit einer hoch emotionalen Power-Performance, als er mit vollem Orchester „The Way We Were“ und „Welt hinter Glas“ singt sowie, ganz intim, zu Ugartes Akkordeon „You Are So Beautiful“.

Wer bis nach der Pause durchhält, bekommt mehr von Joja Wendt und Lars Redlich zu hören, wird mit einem Auftritt der wunderbaren Katharine Mehrling belohnt und erlebt das traditionelle „First Night“-Feuerwerk über dem Konzerthaus, zu „Star Wars“-Klängen von John Williams. Möge die Macht mit den Festivalmachern sein bei den weiteren Open-Airs bis zum kommenden Montag!

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