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Von Man Ray verewigt: Eine Szene aus dem Buch.

© Carlsen

Comic-Biografie: Die Muse vom Montparnasse

Sie inspirierte Künstler wie Man Ray und war ihrer Zeit in manchem voraus. Die Künstlerbiografie „Kiki de Montparnasse“ ist ein Sittengemälde aus dem Paris der 1920er Jahre

Der Künstlermuse Alice Prin, aka Kiki de Montparnasse, ist die gleichnamige Comic-Biografie der Zeichnerin Catel Muller und des Autors José-Louis Bocquet gewidmet. Die Idee hat per se viel für sich - sich nebenher in ein (kunst-)historisches Thema einzulesen, verleiht der Lektüre den Nimbus des Nützlichen. Und: Bei aller Faszination, die das Paris der 1920er Jahre samt illustrer Künstlerszene auch in der hundertsten Darstellung noch ausübt, ist es doch ein charmanter Gedanke, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und sich mit einem weniger bekannten Namen zu befassen. Kiki de Montparnasse ist dabei ein ergiebiges Sujet.

Über sie weiß man gemeinhin wenig, dabei ist ihre Biografie durchaus bewegt, von der Kindheit in ländlicher Armut bis mitten unter die Pariser Prominenz – als Modell, Freundin und/oder Geliebte von Künstlern wie Man Ray, Moise Kisling oder Tsuguharu Foujita.

Namedropping wie bei Woody Allen

Selbst ebenfalls sporadisch künstlerisch tätig, doch vor allem erfolgreich in ihrer Selbstinszenierung als Marke, ist sie in zahlreichen Werken ihrer Zeitgenossen bis heute präsent. Auf dem Titel des Hardcovers prangt denn auch das Comic-Abbild einer der bekanntesten Fotografien, die Man Ray von ihr gemacht hat: ihr nackter Rücken mit den beiden f-förmigen Öffnungen analog zu denen eines Cellos.

Aufgebaut ist der Band chronologisch und in handliche, nach den Wohn- und Wirkungsstätten der Alice Prin betitelte Kapitel unterteilt. Es gefällt den Autoren, diese Episoden mit einer Pointe zu beenden, gerne mit einem Bonmot der derb-lebensfrohen Muse, was stellenweise etwas gewollt daherkommt. Alles in allem jedoch wird sie als facettenreiche Persönlichkeit dargestellt. Ihrer Freiheitsliebe und Energie, ihrer sexuellen Selbstbestimmtheit und ihrem Lebenswillen wird der Band ebenso gerecht wie ihrer Abhängigkeit von verschiedenen Rauschmitteln und Männern. Und nach der glamourösen Zeit verschweigt er auch nicht ihren körperlichen Verfall in den letzten Jahren vor ihrem Tod 1953.

Ein inszeniertes Leben: Das Covermotiv des Buches.
Ein inszeniertes Leben: Das Covermotiv des Buches.

© Carlsen

Ob die karikaturesken Zeichnungen dem genügen, ist wiederum fraglich. Zwar erhalten die Figuren mit forschem Strich oft ein erstaunlich klares Profil, aber bei der Fülle an Charakteren, die sich hier die Klinke in die Hand geben, können Verwechslungen schon mal vorkommen. Sich durch deren Funktionen und die Beziehungen untereinander zu wühlen, bleibt dem Leser überlassen. Dass eifriges Künstler-Namedropping gepflegt wird, versteht sich von selbst. Das gerät aber deutlich weniger aufdringlich als aktuell in Woody Allens „Midnight in Paris“, der dieselbe Epoche in die Kinos bringt, und ist daher verzeihlich.

Die Autoren waren außerdem so freundlich, im Anhang nicht nur einen ausführlichen chronologischen Lebenslauf der Titelfigur, sondern auch je ein bis zwei Seiten biografische Notizen zu den wichtigsten Personen ihres Umfelds zur Verfügung zu stellen. Mit ein bisschen Forschergeist kann man so auch ohne umfassende Vorbildung einen tauglichen Überblick über die Kunstszene der Zwischenkriegszeit gewinnen. Und selbst beim weniger ehrgeizigen Lesen bleibt noch genug hängen, um im Smalltalk zu glänzen. Gut recherchiert und in griffigen Anekdoten erzählt, erfüllt der Band so seinen Zweck: Wissenslieferung auf die unterhaltsame Tour.

Catel Muller und José-Louis Bocquet : „Kiki de Montparnasse“, Carlsen, 416 Seiten, 36 Euro

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