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Blütezeit: Ein Katzenjammer-Kids-Strip aus dem Jahr 1922. Für Komplettansicht auf das Kreuz-Symbol klicken.

© Promo

Comic-Pionier Rudolph Dirks: Hans und Fritz erobern Amerika

Zwei Prügelknaben und die Anfänge des modernen Comics: Ein sorgfältig edierter Katalog würdigt Rudolph Dirks, der in den USA eine ganze Kunstform miterfand.

Am Ende setzt es was. Darauf konnten sich die Leser der verschiedenen US-amerikanischen Zeitungen, in denen die „Katzenjammer Kids“ um 1900 erschienen, verlassen. Nach jedem Streich der beiden Lümmel Hans und Fritz wurden diese im Doppelpack übers Knie gelegt. Entweder von Mamma Katzenjammer oder vom Captain, dem Freund der Familie, der ab 1902 das Ensemble bereicherte.

Der 1877 im schleswig-holsteinischen Heide geborene Zeichner Rudolph Dirks hatte jene Comicserie erdacht, die erstmals am 12. Dezember 1897 unter der Überschrift „Ach, those Katzenjammer Kids!“ im „New York Journal“ erschien und schuf damit einen der ersten Comics überhaupt.

Das deutsch-englische Kauderwelsch, das zunächst in den Überschriften und in den Bildunterschriften, später in den Sprechblasen verwendet wurde, wurde schnell zum Markenzeichen der Serie, die sich bewusst an die deutsche Bevölkerung New Yorks richtete, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die größte Einwanderergruppe der USA bildete. Derlei sprachliche Brücken in einer ansonsten englischsprachigen Zeitung bedeuteten für die deutschen Neuankömmlinge einen leichten, humorvollen Einstieg in die Zeitungslektüre und erinnerten sie zugleich an die Heimat.

Ein Melting Pot der Einwanderergruppen

Und auch in der englischsprachigen Bevölkerung schien der rustikale Humor der Lausbubenstreiche und das kuriose Sprachgemisch gut anzukommen, denn die „Katzenjammer Kids“ erscheinen bis heute wöchentlich neu, was die Serie zum langlebigsten Strip der Comicgeschichte macht. Auch ästhetisch zählt der jeweils einseitige Strip in der prägenden Entstehungszeit des Comics zu den wichtigsten, wie die vor kurzem in Rudolph Dirks´ Geburtsort Heide gezeigte Ausstellung „Rudolph Dirks - Zwei Lausbuben und die Erfindung des Comics“ und der reich bebilderte wie mit kenntnisreichen Aufsätzen versehene Katalog (Autoren sind u.a. Benedikt Brebeck, Eckhart Bauer, Kai Gurski, Tim Eckhorst, Alexander Braun, Dirk Meier ) zeigt, der dazu im Bachmann Verlag erschienen ist und eine Lücke in der Einordnung dieses Klassikers schließt.

Wie alles anfing: Ein Katzenjammer-Kids-Strip aus dem Dezember 1897. Für Komplettansicht auf das Kreuz-Symbol klicken.
Wie alles anfing: Ein Katzenjammer-Kids-Strip aus dem Dezember 1897. Für Komplettansicht auf das Kreuz-Symbol klicken.

© Promo

Neben einer ersten umfassenden – im Übrigen sehr späten – deutschen Würdigung dieses Pioniers der Comickunst wird Dirks´ Werk anschaulich in den Zeitkontext eingebettet. Und auch sein jüngerer Bruder, der bereits 1902 im Alter von 21 Jahren verstorbene Gus Dirks, ist als Zeichner zu entdecken, der in seinen „Bugville Life“-Geschichten zu den ersten gehörte, der Tiercharaktere in den Mittelpunkt von Comics stellte.

Kurz nach Aufkommen der ersten farbigen Sonntagsseiten in der Wochenendbeilage amerikanischer Zeitungen entwickelte der irischstämmige Zeichner Richard F. Outcault für die von Joseph Pulitzer herausgegebene Zeitung „New York World“ eine neuartig gestaltete Seite namens „Hogan´s Alley“. Darin zeichnete er in realistischem Illustrationsstil einen verdichteten „Schnappschuss“ einer typischen New Yorker Straße, in der sich ein bunter Melting Pot aus unterschiedlichen Einwanderergruppen tummelte. Conférencier dieser Seite war die Figur des „Yellow Kid“, ein leicht karikiert gezeichneter chinesischer Junge, der die Geschehnisse im Viertel kommentierte. Meist waren diese ironischen Kommentare der alltäglichen Turbulenzen im „Kiez“ als Text auf seinem langen gelben Hemd lesbar.

„Something like Max und Moritz“

„Hogan´s Alley“ wird durch diese neuartige Text-Bild-Kombination von vielen Comic-Kennern als erster moderner Comic angesehen. Doch haben die meisten dieser farbigen Seiten noch keinen sequenziellen Charakter, es handelt sich eher um Wimmelbilder, deren einzelne Teile in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können.

Rudolph Dirks hingegen entwickelte mit seinen „Katzenjammer Kids“, die 1997 zunächst als Konkurrenzprodukt zur beliebten „Hogan´s Alley“ entstanden, als einer der ersten Zeichner – zusammen mit seinen zeitgleich beim „Journal“ arbeitenden Kollegen James Swinnerton („Little Jimmy“, „Little Bears“) und Frederick Burr Opper („Happy Hooligan“, „Maud“) - eine Form der Bildergeschichte, die der heutigen Form des Comic nahe kam. Bereits 1884 wanderte die Familie Dirks in die USA ein. Dirks entdeckte früh sein Zeichentalent, entwarf Werbeillustrationen und erste Karikaturen, und wurde vom Verleger William Randolph Hearst neben Burr Opper und Swinnerton dazu ausgewählt, eine farbige Sonntagsbeilage mit regelmäßigen, unterhaltsamen Bild-Beiträgen zu füllen, die mit denen des Konkurrenzblattes von Pulitzer mithalten sollten.

Zeitlos. Ein jüngerer Katzenjammer-Kids-Strip von Hy Eisman.
Zeitlos. Ein jüngerer Katzenjammer-Kids-Strip von Hy Eisman.

© King Features/Promo

Der Legende nach wünschte sich Hearst von Dirks „something like Max und Moritz“, also Geschichten, die dem Modell der Bilderbögen von Wilhelm Busch folgten, die auch in den USA populär waren. Rudolph Dirks kannte die Bilderbögen selbstverständlich aus seiner Heimat und orientierte sich in den ersten „Katzenjammer“-Comics vor allem an den Lausbubenfiguren in Buschs „Plisch und Plum“ sowie „Max und Moritz“. Sowohl stilistisch imitierten Dirks´ Zeichnungen anfangs deutlich Buschs Bildergeschichten, wie sie auch inhaltlich deren Erzählschemata (sich endlos wiederholende Lausbubengeschichten) und viele visuelle Motive aus der Biedermeierzeit aufgriffen (Zipfelmützen, Langhalspfeifen).

Insofern erscheinen die frühen „Katzenjammer“-Strips heute wie besonders dreiste Plagiate, die zunächst ebenfalls den Text unter die Bilder setzten - oft auch in Reimform. Doch nach 1900 wurde Dirks sicherer im Umgang mit den neuen Möglichkeiten des Comics, die seine Kollegen zum Teil bereits früher als er selbst entdeckten: vor allem die standardmäßige Verwendung von Sprechblasen für Dialoge sowie Bewegungslinien (Action-, Speedlines), lautmalende Worte und die Aufteilung der Seite in Panels setzte Dirks als erster Zeichner so konsequent durch, dass sie von anderen übernommen wurden.

Ebenso wesentlich war, dass er ein in jeder Folge wiederkehrendes Figurenensemble etablierte (die beiden Racker Hans und Fritz, Mamma Katzenjammer, „Der Captain“ und dessen Kumpan, „Der „Inspector“ bilden den harten Kern der Katzenjammer-Familie), und die Figuren in stilisierter, karikierender Weise zeichnete und allesamt aus runden Formen heraus konstruierte.

Auch Quentin Tarantino bezog sich auf die Katzenjammer Kids

So entwickelte sich allmählich ein einheitlicher, typischer Funny-Zeichenstil, der Schule machte. Auch narrativ prägte Dirks den „comic“- Stil der Sonntags-Bildergeschichten, indem er auf Slapstick-Humor setzte und jede Seite mit einem Gag enden ließ. So bekamen die „Katzenjammer Kids“ allmählich, etwa um 1905-08, ihren unverwechselbaren Charakter.

Ihre Editionsgeschichte ist jedoch komplizierter: Während eines Rechtsstreits verließ Dirks 1912/13 das „Journal“ und wechselte zu Pulitzers „World“, wo er ab 1914 seine Serie zunächst unter dem Namen „Hans und Fritz“, dann unter dem Titel „The Captain and the Kids“ weiterzeichnen konnte. Im „Journal“ hingegen wurde die Serie unter dem Titel „The Original Katzenjammer Kids“ von Harold H. Knerr (ab November 1914) übernommen, der Dirks Figurenensemble wie auch dessen Stil 1:1 übernahm.

Ab den 1950er Jahren beteiligte sich Rudolph Dirks´ Sohn John am Zeichnen der Serie „The Captain and the Kids“, übernahm sie komplett um 1956. Er führte die Serie auch nach dem Tod seines Vaters 1968 weiter, bis zum Ende der Serie im Jahr 1979, während die „Katzies“, wie sie von der Leserschaft genannt werden, weiterhin von wechselnden Zeichnern (u.a. Charles H. „Doc“ Winner, Joe Musial, Hy Eisman) bis heute fortgeführt werden.

Das Cover des besprochenen Katalogs.
Das Cover des besprochenen Katalogs.

© Bachmann-Verlag

Während die Serie sich in den USA bis heute großer Popularität erfreut, sowohl in Zeichentrickserien, Comics (z.B. von Art Spiegelman, „Im Schatten keiner Türme“), Literatur (Stephen King) und Film munter auf sie angespielt wird (so lässt etwa Quentin Tarantino in seinem Film „Inglourious Basterds“ 2009 Brad Pitt auf die Frage, ob es korrekt sei, dass er fließend deutsch spreche, antworten: „Like a Katzenjammer Kid“), ist die Serie in Deutschland trotz Dirks´ Herkunft weitgehend unbekannt, wurde nur in den 70er Jahren sporadisch in verschiedenen Kinder-Comicheften veröffentlicht.

Somit bietet der sorgfältig edierte Katalog neben einer Vielzahl selten abgedruckter Strips (den Exponaten der Ausstellung) einen facettenreichen, bis dato weitgehend unbeachteten Einblick in die Geschichte der „Katzies“ und seiner verschiedenen Varianten, die Einwanderungsbewegung von Schleswig-Holstein nach Amerika, sowie in Dirks´ künstlerisches Umfeld, etwa die Künstlerkolonie in Ogunquit an der Atlantikküste, zu der der auch als Landschaftsmaler bekannte Zeichner gehörte.

Nebenbei wird auch die schwierige Genese einer Ausstellung erwähnt, die im besten Falle zu einem Dirks-Museum führen könnte. Verdient hätte es dieser Amerikaner norddeutscher Herkunft, der immerhin eine ganze Kunstform in den USA miterfand.

Museumsinsel Lüttenheid, Benedikt Brebeck: Rudolph Dirks – Zwei Lausbuben und die Erfindung des modernen Comics, Christian A. Bachmann Verlag, 136 Seiten, 19,99 €

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