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Comics als journalistische Form: Über den Horizont

Wie Comics als journalistische Form funktionieren, zeigen neue Bände des Recherchebüros Correctiv.

Von Carsten Werner

Es könnte ja auch alles ganz anders sein: Diese Triebfeder hat der Journalismus mit den Künsten gemeinsam, und gelegentlich finden beide heute auch wieder zusammen. Dass die Theater aktuelle Informationen übermitteln, ist zwar weitgehend Geschichte, und auch in der Justizberichterstattung sind nur noch vereinzelt Gerichtszeichner aktiv. Die verführerische Chance, eine ganz andere Wirkung und vielleicht auch ein anderes Publikum zu erreichen als mit klassischen Nachrichten- und Reportage-Medien, nutzen dafür immer wieder journalistische Comics. Thomas Kögel hat sie in seinem Blog „Comicgate“ als „didaktisches U-Boot für Lesefaule“ bezeichnet.

Die verführerische Chance, mit Comics eine ganz andere Wirkung und vielleicht auch ein anderes Publikum zu erreichen als mit klassischem Nachrichten- und Reportage-Journalismus, birgt verschiedene Herausforderungen: Was emotionaler und subjektiver wirkt, schafft ja nicht unbedingt Klarheit.

Von Riad Sattoufs Kinder-Biografien aus dem Nahen Osten über Sarah Gliddens Kriegsreportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei bis hin zu Catherine Meurisses sehr persönlicher Aufarbeitung des mörderischen Terroranschlags auf ihre Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ in Paris, den sie überlebte - auf einem schmalen Grat zwischen Doku und Fantasy, zwischen Information und Manipulation balancieren diese Werke naturgemäß. Fiktion und Konstruktion sind ja grundsätzlich integrale Elemente von Comics: Zeichner und Illustratoren schaffen eigene Bilder - verfremdet, ergänzt oder zugespitzt, szenisch und gedanklich erweitert. Die Autoren verweben Recherchen, gesammeltes Wissen und Meinungen, erzeugen neue Rahmen und Bezüge durch eigene Dramaturgie, Schnitte, Sprünge und assoziiertes Material.

Der Comic geht über Fakten hinaus

Nicht immer bleibt dabei ganz klar, ob Zusammenhänge - streng journalistisch definiert – berichtete Realität sind, oder aber im Detail vorhandene Recherche- und Indizienlücken füllen. Künstlerisch ist das so naheliegend wie legitim.

„Claiming und Framing“ (Behaupten und Rahmen), als politisches Instrument viel diskutiert, bedeutet immer die besondere Deutung, Öffnung oder Zuspitzung eines Themas. Darin liegt der Reiz auch von Comic-Reportagen. So nennt David Schraven, Gründer und Geschäftsführer des Recherchebüros „Correctiv“, das auch mit dem Tagesspiegel zusammenarbeitet, sein neues Buch „Unter Krähen“ (152 S., 20 €) im Nachwort explizit „eine Erzählung, inspiriert von tatsächlichen Ereignissen“. Er stellt klar, dass „die Grenzen des Journalismus weit überschritten“ werden, wenn er und der Zeichner Vincent Burmeister Drogenkonsum, Gewaltvorwürfe und Kinderpornografie im Bundestag, geschredderte Akten, Verbindungen zwischen Politik und Geheimdiensten zu einer rasanten Comic-Kolportage verspinnen.

Die beiden haben schon 2013 mit „Kriegszeiten“ einen Doku-Comic über die Afghanistankriege veröffentlicht, 2015 hat sich Schraven mit den Strukturen der Neonazi-Szenen Deutschlands beschäftigt und Ermittlungen zum NSU-Terror mit fiktionalen und assoziativen Elementen verbunden. Im Bundestags-Krimi „Unter Krähen" lässt er jetzt die Dokumentation hinter sich, verbindet und vermengt kolportierte Aussagen, echte und echt erscheinende Zitate, erfundene oder vorstellbare Situationen. Damit springen, düsen und zoomen er und Burmeister in monochrom-schwarzweißen Bildern und dystopischen Stimmungen wild und hektisch durch klar erkennbare Handlungsorte im realen Berlin. So erzählen sie eine Geschichte, die nie stattgefunden hat, die aber Realitäten spiegelt und Autoren und Lesern die Freiheit gibt, sie weiterzudenken.

Parallel sind, ebenfalls bei „Correctiv“, zwei weitere Sach-Comics erschienen: „Chancen im Netz“ (128 S., 15 €) von Jonathan Sachse und Vincent Burmeister ist ein Vademecum für Aktivisten: Im Stil von Bedienungsanleitungen porträtiert er Projekte von Nachbarschaftsinitiativen, NGOs und Netzjournalisten und vermittelt spielerisch Möglichkeiten und Strukturen zur politischen Beteiligung.

Nach dem Massaker. Eine Szene aus „Made in Germany“. Die Graphic Novel beschäftigt sich mit den Langzeitfolgen der deutschen Kolonialgeschichte.
Nach dem Massaker. Eine Szene aus „Made in Germany“. Die Graphic Novel beschäftigt sich mit den Langzeitfolgen der deutschen Kolonialgeschichte.

© Illustration: El Marto/Correctiv

„Made in Germany: Ein Massaker im Kongo“ (112 S., 15 €) zeichnet grafisch und textlich die immer noch wirksamen kolonialen Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika nach. Der Comic beginnt verstörenderweise in der Gegenwart: Eine ruandische Miliz, deren Anführer in Deutschland leben, massakriert im Ostkongo die Zivilbevölkerung. Der burkinische Künstler El Marto hat für das Projekt mit dem Journalisten Frederik Richter eigens ein Stipendium von „Correctiv“ erhalten.

Es könnte, es wird wahrscheinlich alles auch anders sein: komplexer und verwirrender, subjektiver und emotionaler - oder auch banaler: Diesen Konjunktiv spielen journalistische Comics immer mit. Unausgesprochen stellen sie so oft mit ins Zentrum, was Journalismus eben immer auch ausmacht: Was wir nicht wissen - die Lücken und Brücken zwischen Informationen; die Rahmungen und Hintergründe, die subjektiv gedeutet werden müssen; die Geschichten hinter, vor und neben jeder Geschichte. So könnte Comicjournalismus helfen, eine etwas verkümmerte Unterabteilung der Medienbildung zu entwickeln: Kontextkompetenz.

https://shop.correctiv.org/graphic-novel/

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