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Donald Duck wird 70

© Illustration: Disney

Disney: Dem Jubilar auf der Spur

75 Jahre wird Donald Duck dieses Jahr alt. Dass er in Entenhausen lebt, weiß jeder. Aber wie sieht es da eigentlich genau aus? Jürgen Wollina, in Bayern lebender Berliner, hat es dreizehn Jahre lang erforscht und kürzlich den ersten vollständigen Stadtplan von Donalds Heimat vorgelegt.

Da sitzt er also ganz gelassen. Auf einer Bank vor dem Bahnhof im niederbayerischen Pocking. Eine schwarze Mütze auf dem Kopf, die Beine übereinandergeschlagen, lässt er sich die Sonne ins graubärtige Gesicht scheinen. Jürgen Wollina, der Mann, der sich in den vergangenen dreizehn Jahren damit beschäftigt hat, den »einzig wahren Stadtplan von Entenhausen« zu zeichnen. Statt eines bayerischen »Grüß Gott« kommt ihm ein Berliner »Tachchen« über die Lippen. Obwohl er seit Jahren hier im Süden lebt, hat der Dialekt noch nicht auf ihn abgefärbt. »Das wird auch nicht passieren«, prophezeit er grinsend.

Wollina bezeichnet sich selbst als »Urberliner«. Dort sind seine Wurzeln. Und wer seine Faszination für Donald Duck und Entenhausen verstehen will, muss mit ihm in Gedanken dorthin zurückreisen. Ins Kreuzberg der frühen 1950er Jahre. Der 61-Jährige erzählt lebhaft aus der Zeit, in der die »Amerikaner«, klebrige Kuchenstücke mit Zuckerguss, noch tellergroß waren und nicht mehr als einen Groschen kosteten. Die Bilder aus Kindheit und Jugend haben sich fest eingeprägt. Damals fand der erste Kontakt mit der Welt der Comics statt. Da ist der Bäckerladen gleich nebenan, im Hochparterre. Auf den drei Stufen vor dem Eingang saßen die älteren Jungs mit Comic-Heften in den Händen und lachten. In den Augen vieler Eltern waren Comics Teufelszeug, der Niedergang der Kultur. Aber für Wollina waren die Heftchen vor allem ein Anreiz, lesen zu lernen. Er wollte wissen, was die großen Jungs so witzig fanden. Aber immer wenn er ihnen über die Schulter blickte, sah er nur gezeichnete Bilder und verstand nichts. »Ich war eifersüchtig, weil die sich krümelig lachten«, erinnert sich Wollina. Er lernte das Alphabet, noch bevor er in die Schule kam. Schon bald stand ein Sanella-Karton unter seinem Bett – randvoll mit Comics. »Wir haben die Hefte immer getauscht«, sagt Wollina. In kleinen Krämerläden oder Kiosken, zwei gelesene Hefte gegen ein neues.

"Du musst im Leben einmal mehr aufstehen als hinfallen – wie Donald"

Wenn er erzählt, blitzt auch heute noch die kindliche Begeisterung in seinen Augen auf, die ganz offenbar auch der Schlüssel zu seiner Arbeit ist. Wie sonst könnte ein erwachsener Mann dreizehn Jahre lang Stadtplanforschung für die Fantasiestadt Entenhausen betreiben? Seine Frau Gundula bewundert ihn dafür. »Ich bin wirklich fasziniert von seiner Begeisterung«, sagt sie. Und er ist fasziniert von ihrer Geduld. Schließlich habe sie ihn in der langen Forschungszeit auch mit seiner Leidenschaft teilen müssen.

Schon als Kind haben ihn vor allem die Geschichten rund um Entenhausen interessiert. Weniger die der »unsäglichen Maus«, wie Micky von vielen Duck-Fans genannt wird. Die Maus ist auch Wollina zu glatt und sauber, der makellose Held, dem scheinbar alles mühelos gelingt. Da ist ihm Donald schon lieber und auch näher. Donald, der ewige Chaot, einer, der sich nach jedem Rückschlag wieder hochrappelt.

Irgendwie passt diese Figur auch besser zu ihm. Der Vergleich mit Donald gefällt ihm. »Du musst im Leben einmal mehr aufstehen als hinfallen – wie Donald«, sagt er. Und er weiß, wovon er spricht. Wollina hat selbst einige Rückschläge erlebt. Die schwierigste Zeit begann am 30. Dezember 1969, seinem 23. Geburtstag. Er stand an der Kasse eines Getränkemarktes, wollte sein Leergut abgeben und Getränke für eine kleine Feier am Abend besorgen. »Plötzlich war es so, als hätte jemand die Luft aus meiner linken Körperhälfte gelassen«, sagt er. Wollina erlitt eine Durchblutungsstörung im Gehirn, einen Schlaganfall. Er sackte zusammen, Speichel lief ihm aus dem Mund, er konnte nicht mehr sprechen. Es begann die schwierigste Zeit seines Lebens. Die linke Körperhälfte war erschlafft. Er konnte seinen Beruf als gelernter Kartograf nicht mehr ausüben. Seine Frau verließ ihn. Er habe aus der Situation das Beste gemacht, sagt er heute trotzig. Wollina studierte und wurde Diplom-Ingenieur für Landkartentechnik. Obwohl er seit seinem Schlaganfall schwerbehindert ist, hatte er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben mit 51 Jahren weniger Fehlzeiten als manch anderer, der gesund ist. Umgerechnet habe er mehr als 80 Berufsjahre auf dem Buckel, scherzt Wollina deshalb.

Hätte ihn der Schlag nicht getroffen, säße er heute nicht jeden Morgen mit seiner jetzigen Frau bei einer Tasse Kaffee zusammen. In der gemeinsamen Wohnung findet man kaum Anhaltspunkte für das Ducksche Forschungszentrum des Jürgen Wollina. Bücher stehen in den Regalen: schwere Ausstellungskataloge, Klassiker und viel russische Literatur. Das Bild wandelt sich erst, wenn man Wollinas Arbeitszimmer betritt. Dort sind die Regale voller Comics, hauptsächlich Duck- Geschichten, einige Micky Maus, vereinzelt aber auch Asterix, Tim und Struppi oder Die Peanuts.

Die donaldistische Leidenschaft entbrannte in einer Ausstellung

Originalcomics aus seiner Kinderzeit sind nicht darunter. »Die sind alle perdu, also verschütt«, sagt Wollina. Schon früh hat er sie gegen anderen Lesestoff eingetauscht. Mit 12 oder 13 Jahren wechselte er zu den Geschichten von Jerry Cotton. Parallel dazu verschlang er Bücher und zeichnete selbst kleine Comics. Von den Fröschen »Quaak und Grunz« oder den Strichmännchen »Pips und Paps«, die auf hoher See Abenteuer erlebten – sein »Frühwerk«, das er schon mit neun Jahren abschloss.

Aber die Liebe zu Donald und den Geschichten aus Entenhausen war nur vorübergehend eingeschlafen. Im Laufe der Jahre erwachte sie wieder. Zum Beispiel im Urlaub an der Ostsee mit Freunden, als Wollina deren Tochter ein Taschenbuch mit den tollsten Geschichten von Donald Duck kaufte. Oder als er einen Zeitungsbericht las über die D.O.N.A.L.D. (Deutsche Organisation der nichtkommerziellen Anhänger des lauteren Donaldismus). Und schließlich entbrannte die donaldistische Leidenschaft in der Helnwein-Ausstellung in Hannover über das Barkssche Lebenswerk.

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In Entenhausen unterwegs. Das Kennzeichen von Donalds Auto interpretieren viele Fans als klares Indiz dafür, dass er am 13.3. zur Welt kam - in den USA wird der Monat vor dem Tag angegeben.

© Disney

Es ist die Geschichte jenes Carl Barks, dessen Donald-Geschichten die Grundlage seiner Forschung bilden. Für Donaldisten ist der Amerikaner der einzig wahre Zeichner. Seine Comics heißen »Berichte«. Auch Wollina bewundert Barks und seine begnadete Übersetzerin ins Deutsche, Erika Fuchs. »Was die beiden geleistet haben – Barks zeichnerisch und Fuchs mit ihrer Übersetzung – ist einmalig«, sagt Wollina. Er ist stolz darauf, dass ein Exemplar seines Plans von Entenhausen im Rathaus von Schwarzenbach an der Saale, der Heimatgemeinde von Erika Fuchs, einen Ehrenplatz erhalten soll.

Den Begriff "aufgeben" scheint es in seinem Wortschatz nicht zu geben

1994 trat Wollina der D.O.N.A.L.D. bei. Ein Jahr später gründete er das kartografische Institut M.Ü.C.K.E. (Meisterhafte Überarbeitung chaotischer Kartengrundlagen Entenhausens). Die Arbeit am Plan begann. Unterstützt wurde er dabei von Anfang an von Christian Pfeiler, der heutigen PräsidEnte der D.O.N.A.L.D. Wollina brauchte vor allem bei den Reinzeichnungen Hilfe, da er seit seinem Schlaganfall die linke Hand nicht mehr gebrauchen kann. Die eigentliche Forschungsarbeit erledigte er aber allein.

Inzwischen umfassen die Dateien mit donaldistischen Forschungsinhalten auf seiner Festplatte 41 Gigabyte. Wollinas Forschung hat einiges zutage gebracht. So ist Donald in den etwa rund 700 Duck-Geschichten, die seinem Plan zugrunde liegen, 33 Mal umgezogen. Alle Wohnsitze sind eingezeichnet. Dagegen sind Wollinas 10 Umzüge ein Klacks. Als Nebenprodukt seiner Forschungen veröffentlichte er seit 1995 mehrere Nachschlagewerke von erheblichem Umfang. Darunter Das bildgenaue Barks/Fuchstext-Stichwortregister mit über 52313 Begriffen. 740 Seiten stark ist die Konkordanz, in der nahezu alle in Barks Donald- Berichten aufgetauchten Wörter, Buchstaben und Zahlen nach bestimmten Kriterien aufgelistet sind. Als er einen Verleger fragte, ob er das Werk drucken könne, habe der Verdacht geschöpft und ob des Zeitaufwandes, der in dem Buch steckt, zurückgefragt: »Mal ganz im Vertrauen: Haben Sie gesessen?«

Und dann war da noch der Plan. Auch wenn Wollina mindestens fünfmal wieder ansetzen musste, weil einige Informationen einfach nicht zusammenpassen wollten, hat er in den 13 Jahren nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht, seinen Plan aufzugeben. Den Begriff »aufgeben« scheint es in seinem Wortschatz nicht zu geben. Der Lohn für das Durchhaltevermögen war ein »irres Gefühl«, als die Arbeit endlich fertig war. Und ein Abendessen mit seiner Frau.

Die Karte ist vollendet. Gundula Wollina muss ihren Mann trotzdem weiter mit seiner Leidenschaft teilen. »Die Forschung geht weiter«, sagt er. Als Nächstes überarbeitet er sein Stichwortverzeichnis. Er wird wieder eintauchen in die wundersame Welt der kleinen Ente Donald Duck. Ein Stück sicher auch ins Berlin der frühen 1950er Jahre.

Mehr zum Vorgehen Wollinas erfahren Sie in diesem Artikel. Der Plan ist im DIN-A0-Format in einem Sonderheft der Zeitschrift für Donaldisten, Nr.55, erschienen. Weitere Informationen unter www.donald.org/stadtplan.

© DIE ZEIT

Jürgen Bröker

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