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Pushwagner 2015 im Kunstmuseum Luzern, wo er beim Fumetto-Festival mit einer Ausstellung geehrt wurde.

© Lars von Törne

Hariton Pushwagner (1940 – 2018): Mit der „Soft Pill“ in der Endlosschleife

Hariton Pushwagners Lebenswandel war so turbulent wie die Geschichte seines Pop-Art-Comics „Soft City“. Jetzt ist der Norweger mit 77 Jahren gestorben.

Dem Zeitgeist der späten Sechzigerjahre entsprechend, spielt der Comic-Roman „Soft City“ des Norwegers Hariton Pushwagner (bürgerlicher Name Terje Brofos,*1940) in einer futuristischen Zukunftswelt, in der Konsum und Ablenkung zum letzten Lebenssinn geworden sind. Pushwagner entwarf eine Gesellschaft, deren Einwohnerinnen und Einwohner über einen minutiös strukturierten Alltag in Endlosschlaufe kontrolliert werden. Die Menschen sind auf „Produktionseinheiten“ reduziert und arbeiten alle für die gleich Firma „Soft Inc.“. Morgens und abends schlucken sie ihre synthetischen Mahlzeiten in Form einer „Soft Pill“, die sie apathisch aber arbeitsam macht und ihre Träume instrumentalisiert.

Tristesse hinter einem überwältigenden Kosmos

Pushwagner hob die Wirkung dieser dystopischen Gesellschaft stilistisch hervor, indem er die nie enden wollenden Häuserfluchten, Autoreihen und Fließbänder in feinstem Tusche-Strich bis ins letzte Detail ausführte. Effizienz und Standards anstatt Freude und Fantasie prägen den Alltag der Menschen in seinem Werk.

Eine Doppelseite aus „Soft City“.
Eine Doppelseite aus „Soft City“.

© Promo

Ästhetisch lehnten sich seine Arbeiten bei der Pop Art an – was einen wunderbaren Kontrast zum kritischen Inhalt der Zeichnungen herstellte. Präzise und ironisch verführte der Künstler das Publikum dazu, die Tristesse hinter seinem überwältigenden Kosmos zu erkennen.

20 Jahre lang verschollen

Im Jahr 1969 in der kleinen norwegischen Stadt Fredrikstad begonnen, zehn Jahre später in der Metropole London fertig gestellt, ging das originale und einzige Exemplar von „Soft City“ jahrzehntelang verloren: Dies ist das Schicksal des eindrücklichen Comic-Romans von Pushwagner und Autor Axel Jensen (1932 – 2003). Der Künstler führte einen exzessiven Lebenswandel und fiel durch alle sozialen Netze. Nach seiner Vollendung blieb „Soft City“ auf mysteriöse Weise verschwunden, verstaut in einer kleinen ledernen Aktentasche, bevor das Werk nach zwanzig Jahren in einem Lagerraum in der Nähe von Oslo wiederentdeckt wurde.

Eine der Originalzeichnungen zu „Soft City“,die 2015 in Luzern zu sehen waren.
Eine der Originalzeichnungen zu „Soft City“,die 2015 in Luzern zu sehen waren.

© Lars von Törne

Nach dem vermeintlichen Verlust der Originalseiten von „Soft City” ging Pushwagner in London das ganze Projekt ein zweites Mal an (“A Day in the Life of Family Man“, 1980), und voll endete ebenfalls einige andere Hauptwerke (darunter „Selfportait“, 1973-1993). Pushwagner erzählte einmal, wie er sich damals in seinem Wohnzimmer befand mit seinem neugeborenen Kind auf dem Schoss, „gemütlich wie Kafkas Höhle in Prag, zufrieden, dass ich meinen Ehrgeiz im Fokus hatte“. Und als sein Werk fertig war, kamen viele berühmte Protagonisten der damaligen Londoner Szene um sich das Meisterwerk anzusehen. Pushwagner war überrascht, „da das Ganze eigentlich nur für seine Tochter gedacht war“.

In Norwegen ein nationaler Kunstschatz

Von der ersten Zeichnung bis zur tatsächlichen Veröffentlichung seines legendären Werkes „Soft City“ vergingen so fast 40 Jahre. In Norwegen wurde das fiktive Tagebuch mittlerweile zum nationalen Kunstschatz erhoben. Im Jahr 2008 wurden die 154 Originalseiten an den Biennalen in Berlin und Sydney ausgestellt, von Publikum und Kunstkritik gleichsam als geborgener Schatz bejubelt. 2015 ehrte das Comicfestival Fumetto Pushwagner mit einer Ausstellung im Kunstmuseum Luzern.

Eines von Pushwagners Gemälden, in denen er in späteren Jahren Motive aus „Soft City“ wieder aufgriff.
Eines von Pushwagners Gemälden, in denen er in späteren Jahren Motive aus „Soft City“ wieder aufgriff.

© Lars von Törne

In der Nacht auf den 24. April starb Hariton Pushwagner an Lungenkrebs, wie mehrere norwegische Zeitungen jetzt berichten.

Unsere Autorin ist künstlerische Leiterin des Fumetto-Festivals. Sie hat 2015 die Pushwagner-Ausstellung kuratiert und dafür den vorliegenden Text verfasst. Wir danken für die Erlaubnis, ihn aus aktuellem Anlass leicht überarbeitet zu veröffentlichen.

Jana Jakoubek

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