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Stadt mit Charakter: Eine Szene aus Kreitz' Version von "Emil und die Detektive".

© Dressler

Interview: „Mir gefallen die Unregelmäßigkeiten“

Die Hamburger Zeichnerin Isabel Kreitz hat sich immer wieder mit Berlin beschäftigt, zuletzt für ihre Erich-Kästner-Adaption „Emil und die Detektive“. Im Kurzinterview erklärt sie, was sie an der Stadt fasziniert.

Tagesspiegel: Frau Kreitz, was ist aus zeichnerischer Sicht besonders reizvoll an Berlin als Kulisse?

Es mag ganz simpel an der Größe der Stadt liegen, oder auch an der isolierten Lage vor der Wiedervereinigung und der mangelnden Attraktivität des Standorts für Investitionen: Vom Vorkriegs-Berlin ist noch sehr viel vorhanden. Zusätzlich ist die Stadt durch Malerei, Grafik, Film und Foto sehr gut dokumentiert, ähnlich wie New York, Paris und einige andere Kulturmetropolen. Spielt eine Geschichte, die man umsetzen möchte, also in Berlin, wird sie natürlich schneller lebendig und vorstellbarer, als an Orten, die man erst mühsam rekonstruieren muss. Gerade in letzter Zeit habe ich mich sehr intensiv auch mit dem aktuellen Stadtbild beschäftigt. Nachdem "Pünktchen & Anton" fertig war, bekam ich den Auftrag, einen umfangreichen Berlin-Reiseführer zu gestalten. Dadurch habe ich auch das spannende Nebeneinander von alt und Neu schätzen gelernt. Auch, wenn ich es persönlich nicht immer für gelungen halte...

Was ist besonders schwierig oder weniger attraktiv bei der zeichnerischen Darstellung Berlins im Comic?

Mir gefallen Unregelmäßigkeiten in der Architektur, Schäden, abgeblätterter Putz, Backsteine, kaputte Leuchtreklamen, Ergänzungen und Reparaturen. Demzufolge ist die allzu austauschbare, moderne Glasfassade nicht besonders attraktiv. Selbst die Plattenbauten in Marzahn sind spannender und haben mehr "Gesicht". Glücklicherweise kann man in Berlin den Glasfassadenlandschaften noch gut ausweichen.

Verglichen mit anderen Städten, welche Atmosphäre oder Stimmung ist für Sie besonders mit Berlin als Handlungsort verbunden?

Berlin hat für mich viele Facetten, die häufig mit Literatur, Filmen und Fotos verbunden sind. Die Auswahl ist groß: In Fontanes „Schach von Wuthenow“ wird das preußische Berlin beschrieben. In Falladas „Kleiner Mann - was nun?“, Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“ und Kästners „Fabian“  kann man lesen, wie sich der Alltag der kleinen Leute im Berlin der 30er Jahre anfühlte. In Filmen wie „Berlin Alexanderplatz“, „Menschen am Sonntag“ und „Unter den Brücken“, kann man es sehen. In Heinrich Manns „Schlaraffenland“ wird das gesellschaftliche Leben der Upper Class lebendig, und auf Fotos von Heinrich Zille in und um Charlottenburg ist dokumentiert, in welchem Tempo sich die Stadt in dieser Zeit ausgebreitet hat. All dies und mehr prägt mein Berlin-Bild.

Wie haben Sie für Werke wie „Pünktchen und Anton“ oder zuletzt „Emil und die Detektive“ recherchiert, um Berlin in den beiden Büchern darstellen zu können?

Ich habe, soweit möglich, vor Ort Fotos der Schauplätze gemacht und in Berlin-Bildbänden mit historischen Aufnahmen recherchiert. In beiden Büchern habe ich versucht, den Schauplatz wiederzugeben, wie ihn Erich Kästner wohl gesehen haben muss, als er seine Bücher schrieb. Das macht eine solche Comicumsetzung für mich noch sinnvoller. Jüngeren Lesern fehlen die Bezüge um sich das Berlin der dreißiger Jahre zu vergegenwärtigen, und für ein Film-Set ist die Rekonstruktion zu aufwändig. Der aufmerksame Kästner- und Berlin-Kenner wird mir hoffentlich verzeihen, dass ich das Cafe Josty, in dem Herr Grundeis Eier im Glas frühstückt, von der Kaiserallee an den Potsdamer Platz verlegt habe. Von der dortigen Filiale habe ich die schöneren Fotografien gefunden.

Die Fragen stellte Lars von Törne. Die beiden Kästner-Adaptionen von Isabel Kreitz sind im Dressler-Verlag erschienen. Und bei Carlsen gibt es weitere Werke von ihr zu entdecken.

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