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Neue Comics für den Lesernachwuchs : Gezeichnete Dialoge mit dem inneren Kind
Mit „Die Grille in der Geige“ hat jetzt auch Anna Haifisch ein Buch für Leser im Kitaalter veröffentlicht. Was reizt sie und Kollegen wie Flix, Mawil und Aisha Franz daran – und was sind die größten Herausforderungen dabei?
Stand:
Ihre Kunst wird international in Museen gefeiert. Ihre Illustrationen finden sich in namhaften Publikationen vom „New Yorker“ bis zur „Zeit“. Ihre Comics werden neben Deutschland auch in Frankreich, den USA, Taiwan, Schweden und Spanien veröffentlicht.
Jetzt hat die jüngst auch mit dem Leipziger Gutenberg-Preis und dem Sondermann für komische Kunst ausgezeichnete Künstlerin Anna Haifisch ein Werk für eine Zielgruppe geschaffen, die bislang nicht im Fokus ihrer Arbeit stand: Kinder. Kürzlich ist beim Rotopol-Verlag in Kassel das erste Bilderbuch der Leipziger Zeichnerin für Leserinnen und Leser ab vier Jahren erschienen: „Die Grille in der Geige“.
„Das wollte ich schon immer machen“, sagt Anna Haifisch. „Nur hatte ich immer zu viel Respekt davor.“

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Kinderbücher haben einen großen Einfluss, weiß die 1986 in Leipzig geborene Künstlerin auch aus eigener Erfahrung. Wenn man Erwachsene frage, was ihr liebstes Kinderbuch war, „leuchten immer sofort die Augen und allen wird ganz warm ums Herz“, sagt sie. „Bei mir war es Janosch, manche Sachen kann ich bis heute noch auswendig.“
Die Schwelle, nach vielen Werken für ein vornehmlich erwachsenes Publikum jetzt etwas für Menschen im Kindergartenalter zu schaffen, „lag seltsam hoch“, sagt Haifisch. „Und dann wiederum auch nicht, es gibt viele schreckliche Kinderbücher in Deutschland, ich wollte nicht noch ein schlechtes machen.“
Liebevoll gezeichnete Fabelwelt
Das ist ihr gelungen. „Die Grille in der Geige“ verbindet Bilderbuch- und Comicelemente und spielt in einer liebevoll gezeichneten Fabelwelt, die bewohnt wird von drolligen Insekten und anderen Kleintieren mit menschlichen Eigenschaften.

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Die Figuren sind mit Haifischs charakteristisch fragilem, leicht flirrendem Strich zu Papier gebracht. Die Seiten sind in den für sie typischen poppigen Farben koloriert. Die klar strukturierten Panels stecken voller charmanter Einzelheiten, an denen sich auch ältere Leser erfreuen können.
Ich habe versucht, mich zu erinnern, was ich selbst an den Kinderbüchern, die ich hatte, so geliebt habe.
Anna Haifisch
Die Hauptfigur der auf mehreren Ebenen zu lesenden Geschichte ist eine künstlerisch begabte Grille, die töpfert, ihre eigenen Nudeln zieht und vor allem eine begnadete Musikerin ist. Sie lebt zu Beginn des Buches in einer Geige, die jemand im Wald verloren hat, und bezaubert die Tiere der Nachbarschaft mit nächtlichen Konzerten.
Als ein langer, kalter Winter droht, muss die Geige jedoch als Feuerholz herhalten – was nicht nur die Grille in eine Krise stürzt. Doch die Tiergemeinschaft findet gemeinsam einen Ausweg.
„Ich habe versucht, mich zu erinnern, was ich selbst an den Kinderbüchern, die ich hatte, so geliebt habe“, beschreibt Anna Haifisch ihren Arbeitsprozess. „Als Kind hat es mich immer sehr interessiert, wie es bei den Figuren zu Hause aussieht.“ Bei Janosch sei immer alles „so herrlich unordentlich“ gewesen, und immer hing ein Pilz von der Decke. „Also habe ich mich viel um das Interieur meiner Figuren gekümmert: Wohnt da jemand in einem Pilz, einem Topf, einem Joghurtbecher oder in einer Nuss? Mir hat es Spaß gemacht, den Tieren ihre Wohnung einzurichten.“

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Verglichen mit Werken für ein vornehmlich erwachsenes Publikum wie ihrer mehrbändigen Comicreihe „The Artist“ oder längeren Bilderzählungen wie „Residenz Fahrenbühl“ war der Arbeitsprozess an dem 32-seitigen Kinderbuch deutlich anders. „Ich würde sagen, dass es auf eine Art einfacher ist“, sagt Anna Haifisch. „Ich zeichne das, was auch im Text steht.“
Das sei bei Erwachsenencomics nicht so. „Aber bei Büchern für so kleine Leser ist es wichtig, dass sie die Dinge aus dem Text in den Zeichnungen wiederfinden.“ Die geringere Seitenzahl habe ihr zudem ermöglicht, sehr lange an allen Details auf einer Doppelseite zu zeichnen. „Das wäre bei einem Buch mit nahezu 100 Seiten um einiges schwieriger“, sagt Haifisch.

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„Die Grille in der Geige“ soll nicht ihr einziges Kinderbuch bleiben: „Es gibt eine Mausgeschichte, die sich langsam auf meinen Tisch schleicht“, sagt die Künstlerin. „Ich hoffe, dass ich sie 2026 zeichnen kann.“
Auf ein anderes Humorlevel einlassen
Mit ihrem Buch für den Lesernachwuchs befindet sich Anna Haifisch in guter Gesellschaft. Zahlreiche deutsche Comiczeichnerinnen und -zeichner, die sich lange vor allem mit Werken für ein älteres Publikum profiliert haben, haben in letzter Zeit Werke für Kinder veröffentlicht.
Man kann endlich mal ein paar infantile Gags benutzen, die, mit denen man sonst Erwachsene nicht nerven würde.
Mawil, Berliner Comiczeichner, hat inzwischen fünf Kinderbücher veröffentlicht.
„Nachdem wir selbst Kinder bekommen hatten, lagen bei uns plötzlich ganz viele Kinderbücher rum, die ich dann natürlich auch vorlesen musste“, erinnert sich der Berliner Zeichner Mawil an seinen Einstieg als Autor von Kindercomics. „Wenn man viel Zeit mit Kindern verbringt, dann passt man wahrscheinlich irgendwann sein Humorlevel etwas an. Jedenfalls hatte ich plötzlich Lust, auch mal sowas zu machen.“

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Mawil wurde 1976 in Ost-Berlin geboren. Er ist unter anderem mit der autobiografisch angehauchten Graphic Novel „Kinderland“ über das Ende der DDR und seinem Hommage-Album „Lucky Luke sattelt um“ auch international erfolgreich.
Er hat inzwischen fünf Kinderbücher veröffentlicht: „Mauer, Leiter, Bauarbeiter“ für Leserinnen und Leser ab sechs Jahren sowie „Power-Prinzessinnen-Patrouille“, „Papa macht alles falsch“, „Die Feuerwehr macht Urlaub“ und „Fritzi Frühaufsteher“ mit einem empfohlenen Lesealter ab drei Jahren.
Die Arbeit für ein so junges Publikum im Verhältnis zu einer älteren Leserschaft – Mawil hat viele Jahre lang auch einen regelmäßigen Comic für den Tagesspiegel gezeichnet – ist einfacher und schwieriger zugleich, sagt der Künstler: „Sie sind auf jeden Fall nicht zu lang, man muss nicht ewig an einer Graphic-Novel-Dramaturgie feilen, sondern kann eine Menge Gags zu einem Thema an einer einigermaßen logischen Geschichte auffädeln.“

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Bei so kurzen Werken – seine Kinderbücher haben jeweils 32 Seiten – komme jedem Panel eine größere Bedeutung zu, sagt Mawil: „Man hat weniger Bilder, aber bei denen sollte man sich dann aber mehr Mühe geben, weil die nicht nur einmal gelesen werden, sondern immer wieder.“ Er bemühe sich, die Bilder so anzulegen, dass es immer wieder etwas Neues zu entdecken gebe, „Stichwort Wimmelbilder“.

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Ein Gespür dafür, was ein kindliches Publikum ansprechen könnte, bekommt Mawil vor allem, indem er auf das innere Kind in sich schaue. „Man kann endlich mal ein paar infantile Gags benutzen, die, mit denen man sonst Erwachsene nicht nerven würde.“ Derzeit sitzt Mawil schon an seinem nächsten Kindercomic-Buch, das im kommenden Frühjahr erscheinen soll: „Es wird das bescheuertste von allen bisher, sorry.“
Die Tochter als wichtigste Kritikerin
Aisha Franz wurde durch den Auftrag einer Zeitschrift zur Kindercomic-Zeichnerin. „Ich wurde vom Kindermagazin ,Zeit Leo’ angefragt, den Comic im Heft zu übernehmen und Thomas Wellmann (Autor von ,Nika Lotte Mangold!’; Anm. der Redaktion) abzulösen“, erzählt die in Berlin lebende Künstlerin. „Ich hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, Kinderbücher zu machen, aber brauchte wohl diesen Schubser, um es auch wirklich anzugehen.“

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Franz wurde 1984 in Fürth geboren und hat Visuelle Kommunikation in Kassel studiert und später auch gelehrt. Sie hat sich mit mehreren Graphic Novels vornehmlich für ein erwachsenes Publikum auch international einen Namen gemacht. Darunter war zuletzt das Buch „Work-Life-Balance“ über die moderne Arbeitswelt, das 2022 einen Max-und-Moritz-Preis als bester deutschsprachiger Comic bekam.

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Seit 2019 veröffentlicht die Zeichnerin bei „Zeit Leo“ ihren Kinder-Comic „Drei aus der Zukunft“ (Lesealter: 6+), ein erster Sammelband ist 2024 als Buch bei Reprodukt erschienen. Ihre Hauptfiguren sind drei Kinder, die im Jahr 2065 in einer retro-futuristischen Welt jede Menge witzige Abenteuer erleben.
Wir können uns alle erinnern daran, was wir cool und was wir doof fanden als Kinder. Das wieder wachzurufen ohne Moralapostel, ist ein guter Weg.
Aisha Franz, Berliner Comiczeichnerin, über ihre Kindercomic-Reihe „Drei aus der Zukunft“
Comics für Kinder erlaubten ihr, „meinen Hang zu Pathos und plattem Humor besser auszuleben“, erzählt Franz. „In der erwachsenen Kunst geht es meist darum, diese Dinge zu unterdrücken, aber es macht mir großen Spaß, Slapstick und Quatsch zu schreiben und zu zeichnen.“
Auf der anderen Seite sei es schwierig, die Balance zu finden und Inhalte für eine breite Altersspanne zu schaffen: „Ich habe den Anspruch, dass es für Fünfjährige so gut wie für Elfjährige funktionieren soll.“ Sich nicht zu oft zu wiederholen bezüglich Ablauf, Inhalt und Dialogen, sei eine weitere Herausforderung. „Die Geschichten müssen außerdem mehr auf den Punkt gebracht sein, weniger abschweifend“, sagt Franz.
Beim Entwickeln der Geschichte hilft es ihr, sich an ihre eigene Jugend zu erinnern, sagt Franz: „Wir können uns alle erinnern daran, was wir cool und was wir doof fanden als Kinder. Das wieder wachzurufen ohne Moralapostel, ist ein guter Weg.“
Sie habe dabei gelernt, „dass Kinder total darauf anspringen, sich identifizieren zu können“, wie sie sagt: „Themen wie Schule, Familie und Freunde sind Dauerbrenner.“ Darum gehe es auch in „Drei aus der Zukunft“, „aber eben in einer fantastischeren Welt, die nicht nach den gleichen Regeln wie unsere funktioniert.“

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Wichtige Inspirationen kommen inzwischen auch von ihrer neunjährigen Tochter: „Mittlerweile komme ich nicht ohne ihre Hilfe aus“, sagt Franz. „Sie liefert Ideen, wenn ich mal auf dem Schlauch stehe, ist aber auch die beste Kritikerin.“ Wenn ihre Tochter sage: „Das versteht man noch nicht so gut, Mama“, dann ändere sie die entsprechende Szene.
In Ländern mit einem ausgeprägteren Comicmarkt wie Nordamerika sind Kindercomics auch deswegen unter Zeichnerinnen und Zeichnern populär, weil sie sich zum Teil deutlich besser verkaufen als Comics für Erwachsene. Trifft das auch auf Deutschland zu?
„Ich denke schon, dass sie sich im Allgemeinen besser verkaufen“, sagt Aisha Franz. „Aber vor allem wird man mehr gebucht für Lesungen und Workshops, es gibt in Schulen und Büchereien viel Bedarf für diese Art von Vermittlung und es funktioniert auch einfach gut.“
Sie mache mittlerweile nichts lieber, als vor einem Kinderpublikum zu lesen, sagt Franz: „Es bringt einfach Aktion und Spaß – das motiviert mich, mehr Kindercomics zu machen.“ Der nächste Sammelband von „Drei aus der Zukunft” soll im kommenden Jahr veröffentlicht werden.
Lernen beim Vorlesen
Der Berliner Comiczeichner Flix („Glückskind“, „Held“, „Das Humboldt-Tier“, „Spirou in Berlin“), der ebenfalls einige Jahre auch für den Tagesspiegel gearbeitet hat, hat mit der Arbeit für ein junges Publikum schon mehrere Jahre Erfahrung gesammelt. Bereits seit 2009 veröffentlicht er zusammen mit Ralph Ruthe den Kindercomic „Ferdinand der Reporterhund“ im Monatsmagazin „Dein Spiegel“, beim Carlsen-Verlag sind inzwischen mehrere Sammelbände erschienen.

© Mari Bomann
Im vergangenen Jahr hat Flix mit „Das Zyx“ dann sein erstes gereimtes Vorlesebuch für Leserinnen und Leser ab vier Jahren beim Kibitz-Verlag veröffentlicht, der auf Kindercomics vor allem von deutschen Zeichnerinnen und Zeichnern spezialisiert ist. Außerdem ist kürzlich sein erster Roman für eine jugendliche Zielgruppe erschienen: „Immerland“.
Kinder sind ein gnadenloses Publikum: Denen ist egal, wie viele Preise Du gewonnen hast oder ob Du als renommierter Künstler giltst.
Der Berliner Zeichner Flix, der bereits seit vielen Jahren Comics für Kinder veröffentlicht
„Eigentlich denke ich nicht so sehr in Zielgruppen, eher in Geschichten“, sagt der 1976 geborene Künstler. Es gehe in erster Linie darum, ob er sie interessant finde oder nicht. „Und als Vater macht es mir Spaß, mir eben auch Geschichten auszudenken, die meinen Kindern gefallen könnten.“

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Gefragt, was im Vergleich zu Erwachsenen- oder All-Ages-Comics möglicherweise einfacher an einem Werk für Kinder ist und was schwieriger, sagt Flix: „Kinder sind ein gnadenloses Publikum: Denen ist egal, wie viele Preise du gewonnen hast oder ob du als renommierter Künstler giltst.“
Wenn sie eine Geschichte nicht sofort packte, eine Zeichnung oder ein Satz zu unverständlich seie dann zeigten Kinder das. „Gleichzeitig lassen sie mehr zu: mehr Fantasie und mehr Wahnsinn“, sagt Flix. Das gebe ihm als Autor eine Freiheit, die in der Erwachsenenliteratur oft nicht so geschätzt werde. Allerdings habe er auch gelernt: „Für Kinder muss man sorgsamer schreiben. Und sie tendenziell eher etwas überfordern. Denn Kinder mögen Aha-Effekte. Die muss man liefern.“

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Ein Gespür dafür, was ein kindliches Publikum ansprechen könnte, habe er vor allem durch Übung bekommen, sagt Flix: „Ich habe viel durchs Vorlesen mit meinen Kindern gelernt: An welchen Stellen sie lachen, welche Themen sie interessieren, wo sie abschalten.“
Das helfe ihm auch bei seinen eigenen Geschichten. „Ich glaube, man muss einfach Bock haben, sich auf Kinder und ihren Blick auf die Welt einzulassen“, sagt Flix. „Man darf nicht glauben, man wüsste schon, wie die so ticken.“
Dass Kindercomics sich grundsätzlich besser verkaufen, habe er zwar nicht festgestellt, sagt Flix. „Aber ich halte sie für wichtig, denn Comics berühren in Kindergehirnen an Stellen, da kommen Texte oder Filme nicht hin.“
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