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© Illustration: Simon Bisley/Panini

Science-Fiction-Comic: Die Leiden des Fluppenkaspers

Nichts ist real, außer der Gefahr: Die jetzt wiederveröffentlichte Kurzgeschichte "Bad Boy" von Frank Miller und Simon Bisley ist brachial statt subtil, selbstgefällig statt satirisch

Ein knabenhafter Ich-Erzähler wird nachts von seltsam lädierten Robotern über eine Wiese gejagt. Warum, weiß er selbst nicht, aber sein lakonischer Ton verrät, dass dies nicht zum ersten Mal geschieht. Trotz seiner kindlichen Statur bleibt er der klassische Miller-Noir-Held: Rauchen will er, und später wird sein Leben davon abhängen, dass er eine Erektion unterdrückt.

Jason ist ein skeptischer Knurrkopf, der sich offensichtlich im falschen Körper befindet. Und in einer irgendwie falschen Realität: Er wird geschnappt und seinen Eltern zugewiesen. Die werden schnell ob ihres schlechten Schauspiels als Lügner entlarvt, so wird alsbald der nächste zum Scheitern verurteilte Fluchtversuch angetreten. Wir sehen: Mit dieser Realität ist etwas nicht in Ordnung und offensichtlich scheint eine externe Kraft dafür sorgen zu wollen, eine Welt fernab von Hass, Gewalt, Gift, Drogen, Fleisch und Nikotin aufrecht zu erhalten. Und zwar mit drakonischen Maßnahmen, die gegebenenfalls auch tödlich ausfallen können.

Keine Transzendenz, bloß pubertäres Aufbegehren

Wenn der klassische Miller-Held immer gezwungen ist, durch die Transzendenz seinen Regress zu befördern, um überhaupt noch handlungsfähig (und für den Leser so erschreckend ambivalent) zu bleiben, so schildert dieser erstmals 1995 veröffentlichte Oneshot den umgekehrten Weg:

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Schön böse. Das Cover zu dieser Ausgabe stammt von Frank Miller, der im Buchinneren aber nur als Autor fungiert.

© Illustration: Miller/Panini

Der Held muss schlicht dieser äußeren Welt entkommen, um endlich handlungsfähig zu werden. Das macht ihn ergo nicht zu einer moralisch zweifelhaften, sondern zu einer unterdrückten Gestalt. Es gibt keine Moral, die gebrochen werden und diese Brüchigkeit für ihren Fortbestand zu integrieren lernen müsste, allenfalls die berechtigte Flucht, die sich einem Philip-K.-Dick-Szenario verdankt, in dem außer der Gefahr nichts real scheint – weder die Eltern, noch der rettende Sprung in den vermeintlich bedrohlichen Abgrund.

Ohne Zweifel will das Ganze als Allegorie auf das pubertäre Aufbegehren gelesen werden. Die dystopischen Elemente und Noir-Anteile installieren den freiheitshemmenden wie institutionalisierten Klammergriff, aus dem sich die Impulse der Rebellion ableiten, wie man sie wohl nur in dieser Lebensphase so rein erfährt: Wer will schon in solch einer Welt voller Schein und Qual leben müssen?

Hier bewahren einen mittlerweile auch die Insignien kindlicher Harmonie nicht mehr vor dem Elend, sondern pervertieren es: Beim erneuten Erwachen im Krankenhaus lugt am linken unteren Bildrand ein dämonisch grinsendes Kasperle hervor, während des letzten gemeinsamen Heimflugs mit den Eltern im Raumschiff muss sich selbst die fröhlich grinsende Sonne hinter den Wolken verstecken, und die sich daran anschließende finale Bruchlandung auf jener Wiese, wo alles seinen Anfang nahm, scheucht eine Schar niedlich und verdutzt dreinblickender Häschen auf. Wie schon der gesamte Storykorpus sind natürlich auch diese Insignien popkulturell geerdet: die jagenden Roboter gleichen in ihrer Physiognomie den Rollerern aus Frank Oz' Der Zauberer von Oz-Sequel, eine allwissende Katze (mit dem Namen Adolf, besitzt sie doch ein charakteristisches Bärtchen), die Jason den Weg in die Freiheit weist, besitzt die Funktion des Kaninchens aus Alice im Wunderland.

Cyborgtitten und Erektionsgefahr

Subtilität war Millers Sache nie, und wenn er, wie in dem hier arg begrenzten Rahmen, nur auf Typisierungen zurückgreifen kann, die jedoch ein Maximum an spaßig-bauernschlauer Kritik ausdrücken sollen, schlägt jeder Anschein von Satire in Brachialität um: Großformatige Panels – das erste ganzseitige ist opulenten Cyborgtitten gewidmet, die dann auch die eingangs genannte Erektionsgefahr hervorrufen –, deren Anordnung, Kolorierung und Zeichenstil egal sind, da sie bestenfalls die schnelle Überwältigung suchen, bilden die narrative Essenz dieser Erzählung, die in zweiter Ordnung eben auch tabubrechend, vielleicht sogar irgendeinen ominösen American Way of Life attackierend daherkommen will. Das mag man als stilistisches Zusammenspiel mit dem Sujet deuten oder bloß als selbstgefälliges Treiben im Sog der unterdrückten Paradigmen: Beides, Unterhaltung und Kritik, kann ungemein nerven, wenn es nur von sich erzählen will.

Frank Miller (Text)/ Simon Bisley (Zeichnungen): Bad Boy (Bad Boy, 2008). Aus dem Amerikanischen von Claudia Fliege. Panini Verlag, 48 Seiten. 12,95 Euro. Mehr unter www.paninicomics.de.

Sven Jachmann

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