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Intergalaktischer Kammerjäger: Der Fear Agent, gezeichnet von unserem Autor.

© Illustration: Bela Sobottke

Science-Fiction-Comic „Fear Agent“: Im Himmel ist die Hölle los

Der Science-Fiction-Kracher „Fear Agent“ ist für unseren Kolumnisten der Comic der Stunde. Kürzlich ist ein neuer Sammelband auf Deutsch erschienen.

Heath Huston, der letzte Fear Agent, hat bei einer Alien-Invasion seinen Sohn verloren. Die Erde wurde verwüstet und die halbe Menschheit ausgerottet, seine Ehe ging in die Brüche. Heath verdingt sich seither, emotional gezeichnet und alkoholkrank, als intergalaktischer Kammerjäger.

Retrofuturistisch: Eine Szene aus dem vierten Band von „Fear Agent“.
Retrofuturistisch: Eine Szene aus dem vierten Band von „Fear Agent“.

© Cross Cult

Dann droht eine weitere Invasion der Erde. Deutsche Intellektuelle würden nun vermutlich einen offenen Brief schreiben, um Heath zu raten, Mord, Plünderung und Misshandlung tatenlos geschehen zu lassen, damit die blutrünstigen Aliens flink ihre Ziele erreichen und sich flott ein Diktatfrieden einstellt.

Aber Stillhalten ist Heath Hustons Sache nicht, und so schießt, sticht und prügelt er sich durch diverse Alien-Sorten, reist gar durch die Zeit, um seinen Sohn (und mit ihm die Menschheit) doch noch zu retten. Und das sind erst die ersten zehn Hefte der im Original 31 Ausgaben umfassenden US-Serie „Fear Agent“.

Autor Rick Remender erschuf die Serie 2005 mit den beiden Zeichnern Tony Moore und Jerome Opena, die sich kapitelweise mit dem Zeichnen abwechselten. Sein erklärtes Ziel war es, eine Science-Fiction-Geschichte wie in den 50er Jahren zu erschaffen, als der Kalte Krieg tobte und die Menschheit sich vor Invasion und Atomschlag fürchtete.

Heute stehen wir vor ähnlichen internationalen Verwerfungen: Wir beobachten erneut einen Kampf der gesellschaftlichen Systeme und die Befürchtung eines Atomschlags ist so real wie lange nicht mehr. „Fear Agent“ ist der Comic der Stunde.

Der Ludwigsburger Verlag Cross Cult beweist gutes Gespür für relevante Genrestoffe zur richtigen Zeit, und hat die komplette Serie in drei schicken Hardcover-Ausgaben als deutsche Lizenzausgabe veröffentlicht.

Schleimige Monsterkakerlaken, blutrünstige Riesenzecken

Nun erscheint die Zugabe: In den Heften der US-Originalausgabe wurden damals kurze Bonusgeschichten im hinteren Teil abgedruckt, mit denen diverse andere Comicschaffende die Gelegenheit bekamen, ihre Interpretation des Fear Agents zu zeichnen. Diese „Tales of the Fear Agent“ wurden nun in all ihrer Vielfältigkeit im vierten Band versammelt.

Eine weitere Szene aus dem besprochenen Band.
Eine weitere Szene aus dem besprochenen Band.

© Cross Cult

Die 50er Jahre zeigen sich bei „Fear Agent“ nicht nur in der Handlung, sondern auch in den retrofuturistischen Designs. Dass die Macher ihren Wally Wood, diesen Großmeister des klassischen Science-Fiction-Comics, ausgiebig studiert haben, sieht man jedem Raumanzug und jeder Rakete an.

Das kommt in „Tales of the Fear Agent“ ganz besonders gut zur Geltung, denn die Kurzgeschichten fügen eine pulpige Qualität hinzu, die bei der Hauptgeschichte zugunsten der welt- und zeitumspannenden Handlung zurückgestellt wurde.

Heath bekommt es bei seinen Aufträgen mit allerlei riesigem Gewürm zu tun, mit schleimigen Monsterkakerlaken, blutrünstigen Riesenzecken, fleischfressenden Maden. Und obwohl er hauptsächlich dem möglichst schnellen Geld (und dem nächsten erlösenden Rausch) hinterherjagt, tut er doch immer wieder mal das Richtige.

In einer der Geschichten entscheidet sich Heath beispielsweise dagegen, Monsterspinneneier in seinem Körper abzutöten, sondern lässt die achtbeinige Brut unter eigener Lebensgefahr schlüpfen. Sie mögen eklig sein, aber sie sind doch Kinder!

In „A Dirty Job“ soll er den Mörder eines Minenbesitzers umbringen, stellt aber vor Ort fest, dass die außerirdischen Minenarbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften müssen, und schließt sich statt dessen ihrem antikapitalistischen Freiheitskampf an.

Vielfältig im Inhalt, knackig in der Form

Wunderbar vielfältig sind auch die verschiedenen Zeichenstile des Bandes. Hier geben sich diverse Talente des amerikanischen Indie-Comics die Klinke in die Hand.

Der Fear Agent auf dem Titelbild des vierten Sammelbands der Reihe.
Der Fear Agent auf dem Titelbild des vierten Sammelbands der Reihe.

© Cross Cult

Die oben erwähnte Spinnen-Geschichte wurde vom in Italien geborenen und später eingebürgerten Francesco Francavilla zu Beginn seiner US-Karriere im Jahr 2006 gezeichnet. Er gehört inzwischen zu den profilierten Horror-Zeichner in den Staaten (beispielsweise hat er in „Afterlife with Archie“ Zombies auf die altehrwürdige Figur Archie gehetzt), und es ist ein Vergnügen, diese frühe Arbeit von ihm wieder zu entdecken.

[Unser Autor Bela Sobottke ist Grafiker und Comiczeichner und lebt in Berlin. Er zeichnet deftige Genrecomics wie den gerade erschienen Band „Knüppeldick“.]

„A Dirty Job“ hingegen wurde vom hierzulande weitgehend unbekannten Zeichner Steve Mannion umgesetzt, der mich immer wieder mit seinen superpulpigen „Fearless Dawn“-US-Heften (zuletzt gar im Crossover mit Hellboy) begeistert hat.

Diese dicht und pointiert gezeichnete Sieben-Seiten-Miniatur ist sein erster Comic, der auch in Deutschland veröffentlicht wurde. Zeit wurde es! Hier zeigen sich wieder einmal die großen Vorzüge des Episodencomics: Vielfältig im Inhalt, knackig in der Form.

„Fear Agent“ schafft vorbildlich den Spagat zwischen Humor und Nachdenklichkeit und hat für eine Leserschaft, die vorübergehende Ablenkung vom Weltgeschehen sucht, gar kathartisches Potenzial.

Bela Sobottke

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