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Ein Fest für Forscher: Auch die Erzählstruktur in Bill Wattersons Comicreihe „Calvin und Hobbes“, die auf Deutsch bei Carlsen erschienen ist, wird in dem Sammelband analysiert.

© Illustration: Watterson

Sekundärliteratur: Forsch' nicht zu den Schmuddelkindern

Ab diesem Donnerstag findet in Gießen die 5. Wissenschaftstagung der Gesellschaft für Comicforschung statt. Womit sich die Vereinigung in den vergangenen Jahren beschäftigt hat, vermittelt ein gelungener Sammelband, der kürzlich erschienen ist.

Die Gesellschaft für Comicforschung (kurz: ComFor) hat sich im Jahre 2005 in Koblenz zusammengefunden, um eine vernetzte, interdisziplinäre und internationale Comicforschung in Deutschland voran zu treiben. Man kann ihr also eine ähnliche Vorreiterrolle unterstellen, wie der deutlich dienstälteren Arbeitsstelle für Graphische Literatur (ArGL) in Hamburg, welche schon ehr früh bemüht war, den Nimbus des Schmuddelkindes, der im traditionellen akademischen Umfeld der verfemten Kunstform Comic noch immer anhängig ist zu mildern.

In Deutschland existieren zwar immer noch starke Vorbehalte gegenüber dieser Erzählform, aber ein Umdenken wird sichtbar, auch wenn der gegenwärtig omnipräsente „Graphic Novel“-Diskurs (und damit die perspektivischen Verengung auf textgebundene Erzählverfahren) ein wenig Überhand nimmt.

Im Auftrag der ComFor erschien vor Kurzem eine von Prof. Dietrich Grünewald betreute Anthologie, welche Konferenzbeiträge aus den Jahren 2006-2008 versammelt und sichtbar macht, wie vielschichtig und facettenreich die Forschungsbemühungen inzwischen in Deutschland sind.

Die 14 Beiträge kreisen um soziokulturelle Bewertungsdiskurse - der möglicherweise illegitimen Kunst - innerhalb der kunstgeschichtlichen Verortung, die didaktischen (und manipulativen) Möglichkeiten des Mediums im Geschichtsunterricht, die zahlreichen kulturell präfigurierten Darstellungsformen von Identität und Alterität und die Möglichkeiten von Subversion und Persiflage, aber auch kritische Inhalte wie die oftmals unhinterfragten Stereotypisierungsproblematiken und die Zensurbedingungen werden behandelt. Desweiteren werden Montagetechniken als spezifische Erzähltechnik des Comics und die Wechselwirksamkeit von visueller Narrativität und narrativer Visualisierung untersucht. Eine detaillierte Aufschlüsslung der Autoren und Beiträge ist hier zu finden.

Visuell, sequentiell: Das Plakat zur aktuellen Tagung der Comicforscher wurde von Sascha Hommer („Vier Augen“) gestaltet.
Visuell, sequentiell: Das Plakat zur aktuellen Tagung der Comicforscher wurde von Sascha Hommer („Vier Augen“) gestaltet.

© Promo

Am wissenschaftlichen Comicdiskurs Interessierte finden hier, insbesondere durch die Einspeisung aktueller theoretischer Überlegungen und Positionen zu den neuen Formen der visuellen Narration, wichtige Reformulierungen zu den kontrovers diskutierten Formen des sequentiellen Erzählens, welche lange Zeit durch Scott McCloud Deutungen dominiert wurden - Deutungsmuster, welche die Erzählmedien Bild und Text endlich auch gemeinsam zu denken versuchen.

Der Band beweist durch die Auswahl seiner Beiträge die lange marginalisierte (manchmal sogar geleugnete) gesellschaftliche Relevanz von Comics und deren kritisches Potential. Als anschaulichstes Beispiel wären hier der Beitrag von Rike Bolte unter dem Titel „Die Quadratur der Inka-Eier im Entennest oder wer oder wen provoziert Pato Donald. Der lateinamerikanische Comic als transkulturelles und autonomes Medium einer marginalisierten Moderne“ zu nennen, in dem die Autorin eine starke und kreativ wirksame Wechselwirkung zwischen den Polen Hommage und Unterwanderung, zwischen Selbstermächtigungspraktiken und augenzwinkernder Ironisierung der Vorbilder ausmacht.

Durch die offene Konfrontation einer alternativen, von der westlichen Deutung abweichenden Perspektive auf kulturelle Phänomene wird ein Resonanzraum geschaffen, ich welchem die altbekannten Figuren mehrfach neu besetzt werden und immer bruchhafter und facettenreicher werden. Somit kann im Bereich des Unterhaltungscomics durch die Einspeisung kulturpolitischer Codes eine zunehmend globalisierte, exotistische Stereotypen und Rahmungen kritisch hinterfragende und nicht ausschließlich kulturell fest verankerte Identifikation ermöglicht werden.

Die Anthologie lässt sich all jenen ans comicbegeisterte Herz legen, die sich mit den gegenwärtig vorherrschenden Theorieströmungen vertraut machen wollen, sich einen fundierten Einblick in mögliche zukünftige Forschungsfelder beschaffen wollen oder einfach nur ein Laieninteresse an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Comics haben.

Dietrich Grünewald (Hg.): Struktur und Geschichte der Comics, Ch. A. Bachmann Verlag, 336 Seiten, mit teils farbigen Abbildungen, 29,90 Euro, mehr zum Titel unter diesem Link.  Mehr Informationen zur 5. Wissenschaftstagung der Gesellschaft für Comicforschung vom 25. bis 27.11. an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Titel: Bilder des Comics – Visualität, Sequenzialität, Medialität) unter diesem Link.

Mehr von unserem Autor Markus Dewes finden Sie auf seinem Blog derdigitaleflaneur.blogspot.com, mehr seiner Beiträge für den Tagesspiegel gibt es unter diesem Link.

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