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Trauerarbeit: Nur die Raben kennen den Weg

"Jakob" von Felix Mertikat und Benjamin Schreuder ist eine kluge Fabel über den Umgang mit dem Tod - mit einem verstörenden Ende.

"Jakob", das Ergebnis eines Diplomprojekts an der Filmakademie Baden-Württemberg (Ludwigsburg), weist alle Qualitäten eines klassischen Kinderbuches auf, aber es reicht weiter, als der erste Blick vermuten lässt. Surreale Szenen wechseln sich ab mit tiefsinnigen philosophischen Überlegungen über den Wert des Lebens und den Umgang mit seinem Ende.

Jakob, der Protagonist, wird zu Beginn der Geschichte mit dem Tod seiner Mutter konfrontiert, natürlich reagiert der Achtjährige zunächst mit Unverständnis auf die Erklärungsversuche der Erwachsenen, hier werden die erste Parallelen zu dem inspirierenden Werk von Antoine de Saint-Exupéry sichtbar. Jakob versteht die metaphorische Bedeutung der langen Reise, auf die seine Mutter aufgebrochen sein soll, nicht, er glaubt an eine herkömmliche, harmlose Landpartie.

Die Antwort kennen nur die Raben

Zwar ist er verwundert, dass sie ihn nicht informierte, aber keineswegs misstrauisch. Und so passiert es, dass er den Sargträgern folgt, welche seiner Mutter das letzte Geleit geben und dabei schnappt er eine Formulierung auf, die für den weiteren Verlauf der Geschichte relevant sein wird: „Frag nur, frag, niemand weiß die Antwort auf deine Fragen. Denn nur die Raben kennen den Weg. Nur die Raben.“

Nächste Station Fabelland. Jakob schlägt sich direkt vom Trauerzug ins Feld und trifft einen weinenden Raben, der ihn stadtwärts schickt, wenn er seine Mutter wiederfinden möchte. Jakob trifft auf verhaltensauffällige, verwaiste Mütter, sprechende Füchse und einen sonderbaren Schildkrötenjungen. Viele der Bilder sind mehrdeutig und suggestiv – rein grafisch ist an diesem Kinderbuch/Comic nichts zu bemängeln.

Leider weist das Storyboarding einige vernachlässigbare Unebenheiten auf. Der bewusst zurückhaltende, reduzierte Text ist an manchen Punkten der visuellen Kraft der Zeichnungen einfach nicht gewachsen und so bilden sich dort leichte Bruchstellen und Deformationen. Nichtsdestotrotz harmonieren Zeichner und Autor während des Großteils des Werks.

Zeichner und Autor Felix Mertikat (lins) und Co-Autor Benjamin Schreuder.
Zeichner und Autor Felix Mertikat (lins) und Co-Autor Benjamin Schreuder.

© Promo

"Kleiner Prinz" trifft "Drei Schatten"

Jakob erinnert in angenehmer Weise nicht nur an den „Kleinen Prinzen“, sondern auch an Cyril Pedrosas Graphic Novel „Drei Schatten“, in dem auch das vergebliche Anstürmen gegen die Härten des Schicksals thematisiert wird. Die Tiere, die Menschen, alle vertrösten ihn auf die Nachwelt, in der er seine Mutter wieder treffen wird,. Aber Jakob will nicht geduldig sein, er will jetzt zu seiner Mutter zurück und er ist auch bereit, für die Erfüllung dieses Wunsches das größte aller Opfer zu bringen.

Eine kluge Fabel, kreisend um die Fragen nach dem adäquaten Umgang mit dem Tod, der kindlichen Unfähigkeit, metaphorisches Sprechen zu verstehen und der Schmerzbewältigung beim Verlust geliebter Menschen. Auch hier nimmt der Sympathieträger den Leser am Ende nicht an der Hand und führt ihn in ein pastellfarbenes Happyend, nein, auch Jakob stirbt. Er wird zwar nicht durch den Biss einer Schlange am Horizont aus dem Leben gerissen wie sein französischer Nachgänger, sondern labt sich an einem giftgrünen Trank, den ihm ein schlauer Fuchs vermachte, der ihn trotz aller Mahnungen zur Vorsicht nicht von seiner endgültigen Entscheidung abbringen konnte. Ein konsequentes Ende ohne Scheu vor verstörten Lesern – mutig!

"Jakob" von Felix Mertikat und Benjamin Schreuder. Cross Cult Verlag, Querformat, HC, farbig, 64 Seiten, 16,80 Euro.

Mehr von unserem Autor Markus Dewes finden Sie auf seinem Blog derdigitaleflaneur.blogspot.com, mehr seiner Beiträge für den Tagesspiegel gibt es unter diesem Link.

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